In der Nacht zum 30. Juli 2014 ist das ATV-5 zur Internationalen Raumstation (ISS) gestartet. Es ist der letzte Flug eines ATV. Mit dem rund sechsmonatigen Flug endet ein erfolgreiches Kapitel europäischer Raumfahrt.
Ein Beitrag von Roman van Genabith. Quelle: Arianespace, CNES, DLR, ESA.
Der Start erfolgte am 29. Juli 2014 um 20:47 Uhr und 38 Sekunden Ortszeit vom Startplatz Kourou im französischen Übersee-Departement Französisch-Guayana auf einer Ariane 5, was den frühen Morgenstunden des 30. Juli MESZ entspricht.
Nach einer Flugzeit von rund 64 Minuten wurde ATV-5, das nach dem belgischen Astrophysiker und Theologen Georges Lemaître, dem Vater der Urknalltheorie, benannt ist, von der Ariane in einer Höhe von rund 250 km ausgesetzt. Mit einem Gesamtgewicht von über 20 Tonnen ist ATV-5 die schwerste Nutzlast, die bislang von einer Ariane5 gestartet wurde. Laut Arianespace betrug die Startmasse des ATV-5 ohne Nutzlastadapter 19,926 Tonnen.
Etwa eine halbe Stunde nach dem Aussetzen wurden seine vier Solarzellenausleger annähernd x-förmig entfaltet. Mit voll entfalteten Solarzellenauslegern erreicht ATV eine Spannweite von 22,3 Metern bei einer Fläche von 33,6 Quadratmetern je Ausleger. Jedes der vier Segel richtet sich eigenständig auf die Sonne aus. Gemeinsam produzieren die Solarzellen eine Leistung von rund 4.800 Watt.
ATV-5 hat eine Länge von 10,27 Metern bei einem maximalen Durchmesser von rund 4,48 Metern und ist in ein Nutzlast- und ein Servicemodul aufgeteilt. Das Achtern gelegene Servicemodul beherbergt Antriebstechnik bestehend aus vier Haupttriebwerken und Korrekturdüsen nebst Treibstofftanks, sowie die Solarpanele und den Bordcomputer.
Das Nutzlastmodul, der Integrated Cargo Carrier (ICC), gliedert sich in eine größere unter Druck stehende, sowie eine kleinere nicht unter Druck stehende Sektion und verfügt über den Dockingmechanismus für das Ankoppeln an das in Russland gebaute ISS-Modul Swesda an seiner Spitze.
Am 12. August 2014 soll ATV-5 die ISS erreichen. Vor der Kopplung wird es die Station noch ein mal umkreisen, um ein neuartiges Lidar zu testen. Der experimentelle Laserinfrarotbildsensor „Liris“ soll Teil neuartiger Lenkungs-, Navigations- und Steuerungssysteme für den Anflug auf sogenannte „unkooperative Ziele“ wie etwa Weltraummüll werden.
Ausrüstung und Treibstoff
ATV-5 transportiert Lebensmittel, Kleidung, Geräte und wissenschaftliche Ausrüstung zur ISS. Ein interessanter Bestandteil der wissenschaftlichen Nutzlast stellt der elektromagnetische Levitator dar, ein von Airbus Defence and Space im Auftrag des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der ESA entwickeltes Magnetfeldexperiment.
Der tiegelfreie Schmelzofen basiert auf dem Prinzip der elektromagnetischen Schwebetechnik (Levitation und soll bei der Erforschung von Hightechlegierungen und Halbleiterkomponenten und deren Eigenschaften im geschmolzenen Zustand helfen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sollen zur Optimierung industrieller Gießvorgänge auf der Erde beitragen.
Zum Lebensmittelvorrat, der mit ATV-5 transportiert wird, gehören u.A. 50 kg Kaffee und das Lieblingsgericht des deutschen Besatzungsmitglieds Alexander Gerst, Käsespätzle. Die Versorgungsgüter für den täglichen Bedarf und die wissenschaftlichen Experimente sind im unter Druck stehenden vorderen Teil des Nutzlastmoduls von ATV-5 gelagert. Während des mehrmonatigen Aufenthalts der Transporter nutzen die Astronauten der Station diese Sektion gern als zusätzlichen Aufenthaltsraum, der ein Mehr an Privatsphäre bietet und das begrenzte Raumangebot an Bord der ISS ein wenig aufstockt.
Neben wissenschaftlicher Ausrüstung und Lebensmittel für die Besatzung transportiert auch dieses ATV in insgesamt 22 Tanks im hinteren Teil des Nutzlastmoduls Nachschub an Wasser, Sauerstoff und Treibstoff für die russischen Triebwerke der ISS, der über die Tankstutzen direkt in die Station gepumpt wird.
Daneben werden die Triebwerke von ATV-5 während seines Aufenthalts an der Station für die in regelmäßigen Abständen erforderlichen Bahnanhebungsmanöver eingesetzt, die aufgrund der durch die Restatmosphäre in rund 400 km Höhe erzeugte Reibung und daraus resultierendem geringem Höhenverlust von Zeit zu Zeit notwendig werden. Außer dem ATV ist momentan nur der russische Progress-Frachter zu solchen Reboosts fähig, früher wurden hierfür auch die inzwischen ausgemusterten Space Shuttles eingesetzt.
ATV-5 wird bis Anfang 2015 an die Station angedockt bleiben, bevor es schließlich mit Stationsabfällen beladen wird und beim Wiedereintritt in die Atmosphäre über dem Südpazifik verglüht.
Leistungsfähig und verlässlich
Ein ATV erreicht mit einer Nutzlast von gut 6,6 Tonnen eine höhere Zuladung als alle anderen derzeit genutzten Transporter. Nicht nur dieser Umstand macht das Fahrzeug zu einem außerordentlich erfolgreichen Stück europäischer Raumfahrttechnologie.
Wie der Name verrät, fliegt und koppelt ATV autonom an der ISS an und zwar höchst präzise: Mittels verschiedener Sensoren erfolgt der Anflug an die Station mit einer Abweichung von weniger als fünf cm bei einer Geschwindigkeit von 28.000 km/h. Der Roboterarm der Station, Canadarm, der etwa die Dragon-Transporter von SpaceX einfängt, wird für das Andocken nicht benötigt. Falls Probleme oder Ungenauigkeiten während des Anflugs auftauchen, ist ATV im Stande diese selbstständig zu korrigieren.
Auch ein ferngesteuertes Andocken ist möglich, kam allerdings bei keinem der bisherigen Flüge vor. Dennoch trainieren ESA-Astronauten während ihrer Ausbildung zahllose Fehler- und Notfallszenarien in Zusammenhang mit einem ATV-Anflug, wie die italienische ESA-Astronautin Samantha Cristoforetti in der elften Episode des Raumzeit-Podcasts zur Ausbildung von Astronauten berichtet. „Tatsächlich ist bislang noch nie etwas schief gegangen, aber in unseren Simulationen geht immer alles schief.“
Die Fähigkeiten von ATV seien derzeit einzigartig und machen es zum komplexesten, augenblicklich verwendeten ISS-Versorger, erklärt Volker Schmid, Leiter der Fachgruppe ISS beim DLR. Tatsächlich verlief der Anflug von ATV 4 sogar so präzise, dass der Dockingmechanismus nicht gegriffen habe und ATV noch mal Schub geben musste. Das Automated Transfer Vehicle (ATV) ist ein einzigartiges Raumfahrzeug: Es navigiert autonom und dockt auch selbstständig an der ISS an.
Mit seiner unter Druck stehenden Nutzlastsektion stellte ATV während der Planungsphase auch eine denkbare Alternative eines bemannten Raumschiffs dar. Technisch hätte sich ATV ohne Weiteres zum Transport von Astronauten zur ISS und wieder zurück geeignet, erzählt Schmid. Das Vorhaben scheiterte jedoch an fehlender Konsensfähigkeit der ESA-Mitgliedsstaaten bei der Finanzierung der Errichtung einer modifizierten Startanlage in Kourou, sowie der Verbesserung der Zuverlässigkeit der Ariane-5-Trägerrakete.
Ebenfalls durch knappe Etats erklärt sich die geringe Anzahl von fünf Flügen, ursprünglich waren deutlich mehr ATVs geplant gewesen. Doch auch als unbemannter Frachter erregte ATV bei den Partnern der Europäer wohlwollende Aufmerksamkeit.
Kein anderes Raumfahrzeug mit dieser Masse weist vergleichbare Fähigkeiten im autonomen Anflug auf. Aus diesem Grund hat die NASA die Europäer zur Mitarbeit an der Entwicklung des Servicemoduls für das Orion Multi-Purpose Crew Vehicle eingeladen.
Das MPCV ist das Raumfahrzeug, mit dem die NASA bemannte Missionen in den tiefen Raum, etwa zu Asteroiden durchführen möchte. Das Servicemodul des MPCV kann in Bremen gebaut werden, dem Herstellungsort der ATVs. Wie NASA-Direktor Charles Bolden unlängst während einer Podiumsdiskussion auf der Luft- und Raumfahrtmesse ILA in Berlin betonte, sei dies das erste Mal, dass die NASA andere Partner mit dem Bau entscheidender Komponenten eines Raumfahrtprogramms beauftragte.
Weitere Hintergründe über das ATV-Programm können u.A. in der 17. Episode des Raumzeit-Podcast über das ATV nachgehört werden.
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