Expedition 22

Die Mission der ISS-Expedition 22

Autor: Günther Glatzel & Thomas Weyrauch.

Maxim mit Pflanzen aus dem LADA-Gewächshaus. (Bild: NASA)
Beginn: 1. Dezember 2009
Ende: 18. März 2010
Dauer: 97 Tage
EVA: 1
Besatzungsmitglieder

Nach der Rückkehr der Besatzung von Sojus-TMA 15 zur Erde bestand die Stammbesatzung für rund drei Wochen nur aus Jeffrey Williams und Maxim Surajew. Beide waren mit Wartungs- und Überwachungsarbeiten (Luft- und Oberflächenqualität, Lebenserhaltungssysteme, Thermoregulierung, Trainingsgeräte, sanitäre Anlagen, Inventarisierung, Filter- und Alarmsysteme) sowie der Betreuung einiger Experimente beschäftigt. Dazu gehörten medizinische Untersuchungen wie der Psychomotoric Vigilance Self Test, die Überwachung körperlicher Funktionen im Schlaf (Sonokard), der Einfluss der Ernährung auf den Knochenstoffwechsel (Nutrition), Wechsel von Aktivität und Ruhe in Schlaf- und Wachphasen (SLEEP), die Erfassung der Herzaktivität bei verschiedenen Tätigkeiten (48-Stunden-EKG im Rahmen von Integrated Cardiovascular) sowie die Messung der äußeren Atemfunktionen (Dichanije). Gegenstand biologischer Experimente waren die Entwicklung von japanischen Salatpflanzen in der Schwerelosigkeit (Mizuna-Salat im LADA-Gewächshaus), das Wachstum von Cambium-Pflanzenzellen (Advanced Plant Experiments on Orbit) und die bildliche Erfassung von Algenblüten in den Weltmeeren (Seiner).

v.l. Timothy Creamer, Jeffrey Williams, Maxim Surajew, Oleg Kotow, Sōichi Noguchi
Bilder: NASA

Sowohl im amerikanischen als auch im russischen Segment wurden Vibrationsmessungen durchgeführt (SAMS II bzw. Izgib). Das Experiment Rusalka betraf die Sonnen- und Atmosphärenforschung. Hierbei werden Spektren der oberen Atmosphäre während eines Sonnenuntergangs erfasst. Dabei können die Anteile an Kohlenstoffdioxid und Methan erfasst werden.

Die drei kleinen, autonomen Innnenraumsatelliten SPHERES kamen ebenfalls zum Einsatz. Studenten hatten deren Bewegungssteuerung programmiert. So musste das Schwappen einer Flüssigkeit im Inneren eines der Satelliten so gut wie möglich ausgelichen werden, ein Satellit automatisch einem anderen, von Jeff Williams gesteuerten, ausweichen und drei Satelliten einander finden und einen Formationsflug anstreben. Der Test war das Finale eines Wettbewerbs im Rahmen des ZERO Robotics Pilot Program der NASA.

Zur Abklärung von Problemen mit einem der Anstellmotoren für die Solarzellenpaneele auf der Backbordseite der Station (2A Beta Gimbal Assembly) wurden etwa 200 Fotos angefertigt und zur Erde übermittelt. Allerdings wurden keine Auffälligkeiten gefunden. Aufgrund einer längeren Abschattungsphase vermutete man die Ursache für höhere Reibungswiderstände in einer vorübergehend verminderten Elastizität des Schmiermittels.

Das Serviceteil legt ab, Poisks Andockstutzen wird frei. (Bild: NASA-TV)

In der Nacht des 8. Dezember (0.16 Uhr UTC) wurde das Serviceteil des Spezial-Transporters Progress-M MIM 2 abgesprengt und später zum Verglühen in die Erdatmosphäre gesteuert. Damit wurde an der ISS der fünfte verwendbare Kopplungsstutzen freigelegt. Progress-M MIM 2 war am 10. November 2009 von Baikonur aus gestartet und hatte zwei Tage später am Zenit-Kopplungsstutzen von Swesda angelegt. Damit wurde nach einer längeren Pause der Ausbau des russischen Teils der Internationalen Raumstation wieder aufgenommen. Poisk, so der Name des Moduls, ist ein Ersatz für Pirs und wird ebenso wie dieses als Kopplungs-, Ausstiegs- und Experimentiereinheit verwendet. Allerdings ist Poisk mit 4,6 Metern Länge und einem Durchmesser von 2,3 m ein eher kleines Modul.

Bis zur Ankunft des Raumschiffs Sojus-TMA 17 mit der zweiten „Hälfte“ der Expedition 22 wurde intensiv weitergearbeitet. Regelmäßige Kontrollen und Wartungsarbeiten wurden an allen Lebenserhaltungssystemen durchgeführt. Turnusmäßig kontrolliert wurden auch Luft-, Wasser- und Oberflächenqualität. Dazu wurden Abdeckungen und Paneele an verschiedenen Stellen kurzzeitig entfernt und Abstriche der normalerweise verdeckten Oberflächen genommen. Diese wurden dann sowohl auf chemische Filme als auch auf biologische Kontaminationen durch Bakterien oder Pilze untersucht. Begleitet wurden die Arbeiten von Filterreinigungen, Untersuchung der Luft auf Konzentration potenziell gefährlicher Chemikalien, die Überprüfung von Dichtungen an Luken und Absperrventilen sowie Schnelltrennern für Kabelverbindungen und Schläuche. Auch ein Notfalltraining wurde absolviert in dessen Verlauf die Sokol-Rettungsanzüge, Feuerlöscher, Atemmasken und Anleitungen für Notfälle überprüft wurden.

Dubais künstliche Inseln aus dem All. (Bild: NASA)

Medizinische Forschung betraf Maßnahmen gegen Knochen- und Muskelschwund, wie die Einnahme spezieller Medikamente (Bisphosphonates), tägliches Training mit verschiedenen Apparaturen, Messung von Körpermasse, Wadenumfang und Kondition, Strahlungsmessungen innen und außen sowie an einem dem menschlichen Körper nachempfundenen Torso (ALTEA-DOSI, Matrjoschka-R), Lärmmessungen an verschiedenen Stellen der Station, ein Hörtest, eine kardiologische Studie zur bioelektrischen Aktivität des Herzens in Ruhephasen (Puls und EKG), Untersuchungen zum Biorhythmus (mobiles 24-Stunden-EKG) sowie psychologische Studien. So wurde per Fragebogen die Qualität der Zusammenarbeit zwischen den Besatzungsmitgliedern und der Bodenstation erfasst (Interactions/Wsaimodeistwije). Bei Pilot-M/Neuro wurden Surajews Augenbewegungen und Reaktionsfähigkeit gemessen, die während verschiedener Tests am Computer auftraten. Dazu gehörten auch die Spiele Minesweeper und Tetris. Über einen längeren Zeitraum lassen sich dadurch Veränderungen in Wahrnehmung und Reaktion sowie Stresszustände einschätzen. Im Rahmen von Tipologija wurden außerdem Hirnströme gemessen. Mit ähnlichem Equipment absolvierte Williams eine Serie WinSCAT (Spaceflight Cognitive Assessment Tool for Windows). Dabei wurde ein Fragebogen ausgefüllt, bei dem es auf Konzentration, Aufmerksamkeit, Gedächtnisleistungen, räumliches Vorstellungsvermögen und mathematische Fähigkeiten ankommt. Der Test wurde im Abstand von 30 Tagen wiederholt.

Objekte von Erdbeobachtungen waren im Rahmen von Crew Earth Observation (CEO) u. a. eine Reihe von Inseln (Malediven, Seychellen, St. Helena, Togo, Grenada, Trinidad, Tobago, Mauritius, Jamaika) und Großstädten (Neu Delhi, Tripolis, Bangkok, Santiago de Chile, Havanna) sowie im Rahmen von Uragan der Kollea-Gletscher und der Panamakanal.

Maxim Surajew „amateurfunkt“ mit Studenten und Mitarbeitern der TU Kursk. (Bild: NASA)

Öffentlichkeitswirksam wurde die Besatzung durch eine Reihe von Amateurfunkkontakten, überwiegend mit Schülern in den USA, in Russland und Italien sowie durch Live-TV-Übertragungen für Bildungszwecke. Weitere wissenschaftliche Untersuchungen betrafen das Verhalten von Colloiden in der Schwerelosigkeit (BCAT 5), optische Diagnosegeräte zur Untersuchung des Einflusses von Vibrationen auf die Diffusion in Flüssigkeiten in einer Handschuhbox (Selectable Optical Diagnostics Instrument) sowie Veränderungen im Erbgut von Pflanzenzellen durch Schwerelosigkeit und Strahlung (Transgeneic Arabidopsis Gene Expression System im Advanced Biological Research System). Dazu wurden genetisch veränderte Zellen verwendet, die u. a. einen grün fluoriszierenden Marker enthielten. Dessen Menge und Aktivität ließ sich über eine Kamera überwachen.

Am 17. Dezember wurde der Stellmotor zur Ausrichtung des Solarzellenpaneels 2A reaktiviert und am folgenden Tag ein Belastungstest durchgeführt. Dazu waren die Gelenke zur Drehung der Gitterelemente P4/5/6 sowie S4/5/6 (Solar Alpha Rotary Joints) und vier der acht Gelenke zur Ausrichung der einzelnen Solarzellenpaneele in Nullstellung arretiert. Die Schwingungen bei den insgesamt 5 Antriebsimpulsen mit den Stationstriebwerken wurden mit verschiedenen Messkomplexen erfasst. Dazu gehören interne und externe Drahtlos-Sensorennetze, MAMS und SAMS zur Messung von minimalen Beschleunigungen unterschiedlicher Frequenz und das Structural Dynamic Measurement System (SDMS). Außerdem wurden Fotos angefertigt. Eine Weile beschäftigt war man auch mit der Aktualisierung bzw. Umstellung einiger Computer und mit einer PC-Problemanalyse (JAXA System Laptop Terminal 1).

Der 23. Dezember war Kopplungstag. Das zwei Tage zuvor gestartete Raumschiff Sojus-TMA 17 legte an Sarja-Nadir an, 6 Minuten vor der geplanten Zeit. Zuvor waren Fenster verschlossen, Solarzellenpaneele arretiert, Handbücher für Notfallprozeduren aktualisiert und bestimmte Gerätschaften abgeschaltet worden. So können die Stöße beim Andocken empfindliche Experimente stören. Umgekehrt können aber auch Funksysteme auf der ISS den automatischen Datenaustausch zwischen den Kopplungspartnern behindern. Nach der obligatorischen Sicherheitseinweisung von Timothy Creamer, Oleg Kotow und Soichi Noguchi wurden verschiedene Systeme aktiviert, Umweltmessungen durchgeführt und empfindliche Güter entladen.

An den folgenden Tagen war man mit Übergabeaktivitäten, medizinischen Erstuntersuchungen, Wartungsarbeiten und Eingewöhnen beschäftigt. Zudem gab es auch Gründe zum Feiern und Schlemmen: Weihnachten und der Jahreswechsel.

Soichi Noguchi arbeitet an der Reparatur des Selectable Optical Diagnostics Instrument. (Bild: NASA)

Zu den regulären Wartungsaufgaben gehörten neben den oben bereits genannten auch die Untersuchung der Wasserqualität (Brauchwasser und Trinkwasser getrennt), die Leerung von Kondenswasserbehältern, Batteriewechsel bzw. -aufladung, Trockenhaltung und Überprüfung der individuellen Schutzanzüge, Überprüfung von Messgeräten für Luftreinheit, Feuer-, Dekompressions- oder Rauchalarm, regelmäßiges Neubooten von Computern, Reinigung der Toiletten, Austausch von Luftfiltern, Einspielen von Software-Updates, Überprüfung von Ventilatoren zur Verteilung der Luft und von Luftstromsensoren sowie das Nachfüllen von Wasser in den Elektrolyseur des Sauerstoffgenerators Elektron. Außerdem gab es für die Besatzungsmitglieder regelmäßige private Familienkonferenzen, vertrauliche medizinische Gespräche, wöchentliche Planungskonferenzen und Medienkontakte per Video. Dazu zählten auch Grußbotschaften vom russischen Raumfahrtmuseum in Moskau anlässlich der 50sten Jahrestage des Raumfluges von Sputnik 5 mit den Hündinnen Bjelka und Strelka sowie der Gründung des sowjetischen Kosmonautencorps.

Vor allem aber blieb mehr Zeit für wissenschaftliche Forschungen. Dazu gehörten neben der Fortführung vieler Experimente auch die Messung der Menge roter Blutkörperchen (Hemakrit), die während eines längeren Aufenthalts im Weltall beständig zurückgeht, die langfristige Untersuchung von Veränderungen der Haut sowie der Schleimhäute in Ohr, Nase und Mundraum (BIMS), die Beobachtung und fotografische Erfassung von Auswirkungen industrieller Standorte auf die Erdatmosphäre (EKON), Beobachtung von Gletschern und Eisbergen (Uragan), Mustererkennung in der Schwerelosigkeit (BISE), das Verhalten von überhitzten oder unterkühlten Flüssigkeiten in der Mikrogravitation (Device for the Study of Critical Liquids & Crystallisation), die Messung des pH-Wertes vom morgendlichen Urin der Raumfahrer (Pro K), die Erfassung der Lungenfunktion (Pulmonary Function) sowie „Dewey’s Forest“. Hierbei handelt es sich um ein für Bildungszwecke von Schülern zusammengestelltes Pflanzenarrangement. Dieses wird tiefgefroren ins All gebracht und zu einem bestimmten Zeitpunkt „zum Leben erweckt“. Dann entwickeln sich die Pflanzen, sehr zur Freude der jungen Forscher am Boden und der Raumfahrer in der Station. Der „Wald“ bestand in alter Gartentradition aus indischen Scheinerdbeeren, Nelken, Antitussivum und Pfefferminze. Der Name „Dewey’s Forest“ geht auf den Science-Fiction-Film „Silent Running“ (deutscher Titel: „Lautlos im Weltraum“; USA, 1971) zurück, in dem ein Roboter namens Dewey den letzten irdischen Wald in einem riesigen Gewächshaus, welches den Saturn umläuft, betreut.

Zu Beginn des Jahres haben Jeffrey Williams, Soichi Noguchi und Timothy Creamer im Inneren der Station einen Manipulator zusammengebaut und für den Außeneinsatz vorbereitet, mit dem besonders feinfühlige Arbeiten vorgenommen werden können. Allerdings ist auch der Small Fine Arm nur vergleichsweise „fine“. Es wurde am 10. März durch eine im japanischen Labormodul Kibo befindliche Schleuse nach außen gebracht.

Am 11. Januar wurde die externe Lagerplattform ESP 3 (External Stowage Platform) mittels Stationsmanipulator Canadarm2 vom oberen Teil des Gittersegments P3 auf der Backbordseite (Portside) entfernt und auf dem mobilen Transporter zur Steuerbordseite gefahren. Hier wurde ESP 3 am nächsten Tag an der Unterseite des Gittersegments S3 (Starboard) installiert. Damit stehen später für Experimente je zwei Montagepunkte an der Ober- und an der Unterseite zur Verfügung. Die Lagerplattform trug zu diesem Zeitpunkt eine Ersatzantenne, ein Pumpenmodul und verschiedene robotische Austauschkomponenten.

Kotow bei Außenbordarbeiten (Bild: NASA)

Oleg Kotow und Maxim Surajew bereiteten sich derweil intensiv auf ihren Ausstieg vor. Das neue russische Mini-Forschungsmodul Poisk dient auch als Ausstiegsschleuse und Andockstelle. Zuvor mussten aber noch einige Vorbereitungen getroffen werden. Zu denen gehörte das Anbringen einer Antenne für das Annäherungssystem Kurs sowie eines optischen Kopplungsziels. Dies wurde von Oleg Kotow und Maxim Surajew am 14. Januar 2010 bei einem fünfeinhalbstündigen Außenbordeinsatz erledigt. Der Ausstieg begann mit dem Öffnen der Ausstiegsluke im Modul Pirs gegen 10:10 Uhr UTC und endete nach 5 Stunden und 28 Minuten. Außerdem wurden mehrere zusätzliche Handläufe installiert und planmäßig ein außen angebrachter Experimentcontainer (Biorisk) geborgen, mit dem die Auswirkungen kosmischer Strahlung auf biologische Substanzen und Organismen untersucht wurden. Die Proben wurden zur genaueren Untersuchung zur Erde zurückgebracht. Für Oleg Kotow war dies der dritte Ausstieg seiner Laufbahn, für Surajew der erste. Beide trugen die neuen Orlan-MK-Raumanzüge.

Am 21. Januar 2010 koppelten Surajew und Williams ihr Raumschiff Sojus-TMA 16 vom Heck der Station ab und 21 Minuten später erstmals am neuen russischen Modul Poisk wieder an. Um 10:24 Uhr UTC war der mechanische Kontakt zwischen Sojus-TMA 16 und der Internationalen Raumstation wiederhergestellt, nachdem das Zubringerraumschiff um 10:03 Uhr UTC vom Stationsmodul Swesda abgedockt hatte.

Sojus-TMA 16 wechselt die Anlegestelle.
(Bild: NASA)

Seit dem 22. Januar können die Bewohner der Internationalen Raumstation das Internet (fast) direkt nutzen. Dabei greifen Sie im Verlaufe von Zeiten, in denen via Ku-Band-Antenne eine schnelle Datenverbindung zwischen Station und Erde besteht, per Remoteverbindung auf einen Rechner in einer NASA-Einrichtung zu, der ans Internet angebunden ist. Sie sehen also auf ihrem Computerbildschirm den Inhalt des Desktops des ferngesteuerten Rechners und können hier auch Eingaben machen. Hauptzweck der neuen Kommunikationsmöglichkeit ist der verbesserte Kontakt der ISS-Besatzung mit Bekannten, Verwandten und Interessierten weltweit. Timothy Creamer machte davon sogleich Gebrauch, indem er einen Eintrag in Twitter selbst vornahm. Bisher wurden die Botschaften per Mail zum Boden übermittelt und dann von Mitarbeitern der NASA bzw. von Roskosmos oder Jaxa veröffentlicht. Weiterhin zur Verfügung stehen den Raumfahrern Dienste wie eMail, IP-Telefonie und Videokonferenzen. Letztere gibt es vor allem bei besonderen Anlässen. Sonstige private, dienstliche oder medizinisch-beratende Kontakte finden überwiegend via Audio statt.

Am 22. Januar 2010 wurden zwei Triebwerke des Servicemoduls Swesda an der Internationalen Raumstation testweise in Betrieb genommen. Die beiden als KD 1 und KD 2 bezeichneten Motoren am Ende der Station waren um 10:06 Uhr UTC gezündet worden. Während der 54 Sekunden dauernden Brennphase wurden rund 125 Kilogramm Treibstoff verbraucht und die Bahn um 1,75 Kilometer angehoben. Der eigentliche Reboost fand am 24. Januar statt. Um 9.01 Uhr UTC, wurden die Triebwerke gezündet und waren zweieinhalb Minuten in Funktion. Die Operation steigerte die Geschwindigkeit der ISS um 2,85 Meter pro Sekunde und hob die Bahn der Station um rund 5 Kilometer an.

Der Kopplungsadapter PMA 3 wurde zuvor am 23. Januar 2010 planmäßig von der Backbordseite des Moduls Unity zum oberen Port auf Harmony umgesetzt. Dies geschah mit dem Hauptmanipulatorsystem der ISS, dem Canadarm2. Das Umsetzen begann gegen 9:15 Uhr UTC und dauerte etwa 2 Stunden und 16 Minuten. Notwendig wurde der Transport, um den linken Kopplungsstutzen an Unity für das Andocken des letzten Verbindungsknotens des US-basierten Teils der Station freizumachen. An dieses Modul namens Tranquility wurde PMA 3 am 16. Februar erneut umgesetzt.

Wie erst Ende Januar bekannt wurde, hatte Maxim Surajew in den davorliegenden Wochen Pflanzen der Weizensorte Superkarlik ungenehmigt herangezogen. Sie gediehen im Unterschied zu einem früheren Versuch an Bord der russischen Raumstation Mir gut, woraus man folgerte, dass das unzureichende Wachstum damals an der äthylenreichen Bordatmosphäre der alten Station gelegen haben könnte.

Am 3. Februar 2010 startete das automatische Versorgungsschiff Progress-M 04M von Baikonur aus zur Internationalen Raumstation und koppelte 2 Tage später um 4.26 Uhr UTC automatisch an deren Heck an. Unter den 2.686 Kilogramm Fracht an Bord des Versorgers befanden sich 250 kg Treibstoffe für die ISS, 21 kg Luft, 28 kg Sauerstoff, 45 kg Wasser, 27 kg für ein Wärmeregulierungssystem, 6 kg Material für Instandhaltungen, 32 kg Hygieneausrüstung, 133 kg Nahrungsmittel, 96 kg medizinisches Gerät, 17 kg Ausrüstung für das Modul Sarja, 4 kg Material für das Modul Poisk, 29 kg Borddokumentationen und persönliche Pakete für die Besatzung sowie 496 kg Lebensmittel, Verbrauchsgüter und Ersatzteile für die NASA-Angehörigen auf der ISS. Bei diesem Flug waren auf Wunsch der Raumfahrer übrigens keine Zwiebeln und kein Knoblauch dabei, davon hatte man noch ausreichend auf der Station. Stattdessen wurden 5,5 kg Äpfel, 4 kg Orangen, 3 kg Grapefruits und 2,5 kg Essiggurken verladen und anschließend von den Raumfahrern genossen.

Blick aus der der Erde zugewandten Kuppel der Station (Bild: NASA)

Am 10. Februar (4.06 Uhr UTC) machte die 2 Tage zuvor gestartete US-Raumfähre Endeavour am Bug der Station fest. Während des neuntägigen gemeinsamen Fluges wurden das neue Stationsmodul Tranquility an der Backbordseite von Unity angekoppelt, die zuvor längsseits installierte Cupola an die Unterseite von Tranquility und PMA 3 an dessen nach Backbord zeigende Spitze umgesetzt, die seit Monaten kränkelnde Wasseraufbereitungsanlage repariert, mehrere Tonnen Versorgungsgüter und Ausrüstungen in die Station transportriert und im Verlaufe dreier Außenbordeinsätze vom Schleusenmodul Quest aus die neuen Module an Energie-, Daten- und Kühlkreislauf der Station angeschlossen Schutzabdeckungen entfernt sowie Außenplattformen und Handgriffe verlegt bzw. installiert.

Jeffrey Williams arbeitet an der Reparatur des Wasseraufbereitungssystems. (Bild: NASA)

Im Inneren der Station wurden nicht nur neue Gerätschaften installiert sondern auch zunächst an vorläufigen Positionen untergebrachte Systeme in Tranquility bzw. Cupola verlegt. Dazu gehörten Einrichtungen des Lebenserhaltungssystems, eine Toilette, Trainingsgeräte wie das zweite Laufband und insbesondere auch eine Steuereinheit für das aus Kanada stammenden Hauptmanipulatorsystem der ISS, Canadarm2. Diese grundlegende Umkonfiguration beschäftigte die Stammbesatzung auch nach dem Abflug der Endeavour am 20. Februar noch einige Zeit weiter. Zwei Tage zuvor wurde die ISS-Bahn mit Hilfe der Shuttle-Triebwerke um etwa 2 Kilometer angehoben. Eine weitere Bahnanhebung, diesmal um 6,5 Kilometer besorgte das am Heck der Station angekoppelte Frachtschiff Progress-M 04M durch eine rund 26 Minuten dauernde Antriebsphase einige Stunden nach dem Ablegen der Raumfähre.

Kotow arbeitet mit Aseptik im Miniforschungsmodul Poisk (Bild: NASA)

Die folgenden Wochen waren erneut mit Installations-, Wartungs- und Forschungsarbeiten angefüllt. Große Aufmerksamkeit widmete man dabei der Reinhaltung von Luft und Wasser. So wurden häufig in verschiedenen Bereichen der Station Luftproben genommen und untersucht oder konserviert (Ecosfera, Biodegradatsija, Air Quality Monitoring). Auch wurden Abstriche von normalerweise abgedeckten Oberflächen gemacht bzw. spezielle Messungen vorgenommen. BAR-Expert befasst sich beispielsweise damit. Gemessen werden Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftstrom und Oberflächenveränderungen wie Mikrorisse. In eine ähnliche Richtung zielen Untersuchungen im Rahmen von Mycological Evaluation of Crew Exposure to ISS Ambient Air (Pilzkonzentration in der Luft), Biodegradazija (biologisch verursachte Korrosion) und Aseptik (Wirkungsdauer einer Oberflächensterilisation). Das Trinkwasser unterliegt ohnehin einer täglichen Kontrolle. Zudem sorgen mehrere automatisch arbeitende Geräte für eine laufende Gefahrenüberwachung.

Fortgeführte Forschungen waren Untersuchungen zu Gesundheit sowie körperlichen und geistigen Veränderungen der Raumfahrer (Pulmonary Function, Health Status, Pro K, SLEEP, BIMS, Reaction Self Test, BISE, Nutrition, Bisphosphonates, Pilot-M/Neuro, Biorhythm, Wsaimodeistwije/Interactions, WinSCAT, Hörtests, Lärmmessungen, Dichanije, Integrated Cardiovaskular, Sonokard, Tipologija), Beschleunigungsmessung (MAMS, SAMS, Izgib), Proteinkristallisation (Commercial Generic Bioprocessing Apparatus 5 & 6), Pflanzenwachstum (APEX Cambium, Dewey’s Forest, Rastenija 2), Atmosphärenuntersuchungen (Rusalka), Erdbeobachtung (Crew Earth Observation, Uragan) und Strahlungsmessung (Matrjoschka-R). An verschiedenen Lokationen an der Außenseite der Station lief eine Vielzahl von Materialexperimenten sowie Strahlungsmessungen weiter (z. B. Exposure-R, MAXI).

Es gab aber auch eine ganze Reihe neuer oder wiederaufgelegter Studien. So wurde im Rahmen von TROPI 2 das Wachstum von Kressepflanzen bei verschieden starken Andruckkräften untersucht. Die Container mit den Pflanzen befanden sich dazu in einer Zentrifuge, deren Rotationsdauer den Andruck bestimmt. Dazu wurde das European Modular Cultivation System genutzt. In diesem können Multigenerationenexperimente unter kontrollierten Bedingungen durchgeführt werden. Sie beinhaltet zwei Zentrifugen mit je 4 Containern für biologische Proben inklusive aller notwendigen Steuerungstechnik. So lassen sich Beleuchtung (0-100 W/m²), Luftzusammensetzung (O2, N2, CO2), Temperatur (18 – 40 °C), Luftfeuchtigkeit (50 – 95%) und Beschleunigung (0 – 20 m/s²) einstellen. Über Kameras lassen sich Veränderungen an den Pflanzen sehr genau beobachten (Auflösungsvermögen besser als 0,1 mm). Nachts kann die Beobachtung über eine Infrarot-Beleuchtung ebenfalls sichergestellt werden.

Neu für die Expedition 22 waren auch Untersuchungen zum Einsatz von Medikamenten gegen ungewollte körperliche Veränderungen (Pille-MKS), Augenspiegelungen zur Messung der Durchblutung der Netzhaut (PanOptic), die Herstellung von Nanomaterialproben aus Titanoxid in der Measurement Experiment Unit in Kibo (Sedimentation der Kristalle mit wabenförmiger Struktur), Messung von Blutdruck und Volumen unter erhöhter Salzzufuhr (CARD), Studium verschiedener Parameter des Herz-Lungen-Systems über EKG, Widerstandskardiogramm, Phonokardiogramm, Pneumotachogramm und Photopletismogramm (Pnevmokard), Untersuchungen zu Veränderungen des Immunsystems (Integrated Immune), die Messung von Veränderungen im Organvolumen (KardioMed) sowie die Feststellung von Veränderungen in der Motorik, die aus einer veränderten optischen Wahrnehmung resultieren (3D Space).

Der Small Fine Arm am japanischen Manipulator. Passt! (Bild: NASA)

Ende Februar wurde vor allem von Soichi Noguchi viel Zeit dafür aufgewendet, den Small Fine Arm, eine Erweiterung des japanischen Manipulators, vorzubereiten, die Schleuse in Kibo zu testen, den Arm auszuschleusen, an Versorgungs- und Datenleitungen anzuschließen und die korrekte Funktion zu überprüfen. Mit dem SFA sollen in Zukunft auch filigrane Arbeiten auf der japanischen Experimentierplattform durchgeführt werden können.

Am 21. Februar kam es zu einer größeren Computerfehlfunktion. Verursacht durch ein fehlerhaftes Kommando aus Oberpfaffenhofen an den Vital Telemetry Telecommand Computer im ESA-Labormodul Columbus wurden Daten für das interne Steuerungssystem falsch formatiert. Daraufhin wechselten der Command & Control Multiplexer/Demultiplexer Computer und sein Backup in einen Ruhemodus. Dabei kam es auch bei weiteren Steuerungsrechnern im amerikanischen und im russischen Segment zu Fehlern. In der Folgezeit wurde das Problem analysiert und die Computer wieder in Funktion gebracht. Außerdem wurden Prozeduren erarbeitet, die eine ähnliche Fehlerkette verhindern sollen.

T.J. Creamer am Rechner in Kibo (Bild: NASA)

Weitere Probleme hatte man überwiegend mit Computertechnik in allen Teilen der Station sowie mit verschiedenen Messkomplexen (Selectable Optical Diagnostics Instrument – Diffusion Soret Coefficient, BioLab, ALTEA). Oft waren längere Analysen und mehrere Reparaturversuche notwendig. Die Raumfahrer fungierten hierbei als universelle Mechaniker, Elektroniker und Informatiker.

Gegen Ende der Mission wurden die Ergebnisse von Experimenten verpackt, ganz frische Proben zur schnellen Untersuchung auf der Erde genommen, zusätzliche körperliche Belastungen vorgenommen (z. B. Training mit Unterdruckhose), Systeme des Rückkehrraumschiffs getestet und persönliche Sachen geordnet. Eine langjährige Tradition auf russischer Seite ist das Stempeln von Weltraumpost. Dazu existiert ein spezielles Postsiegel, mit dem diesmal etwa 60 Briefe versehen wurden. Erstmals hatte dies 1977 Georgi Gretschko an Bord der Raumstation Salut 6 vorgenommen.

Die offizielle Übergabe des Stationskommandos von Jeffrey Williams an Oleg Kotow wurde am 17. März vorgenommen. Einen Tag später kehrten die Raumfahrer Jeffrey Williams und Maxim Surajew mit ihrem Raumschiff Sojus-TMA 16 und etwa 150 kg Fracht zur Erde zurück. Damit endete die Mission der ISS-Expedition 22, eine neue begann.

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