Exobiologie: Sein oder Nichtsein – auch auf Titan die Frage

Neue Untersuchungen der Ergebnisse der Cassini-Mission deuten auf einen überraschend niedrigen Wasserstoff- und Ethinwert auf der Titanoberfläche hin. Ethin, der einfachste Vertreter der Alkine, ist landläufig auch unter seinem Trivialnamen Acetylen bekannt. Beides sind vorläufige Befunde, die nicht auf direkten Messungen beruhen, darüber hinaus ist im speziellen Hinblick auf die Wasserstoffabwesenheit der simulatorische Hintergrund hervorzuheben.

Autor: Lars-C. Depka.

Versteckt sich also hinter diesen Ergebnissen etwa der lang ersehnte Nachweis von existierendem exotischem Leben auf dem Saturnmond (Raumfahrer.net berichtete)? Ein solches Urteil zu fällen, wäre aktuell noch immer weit von einem belastbaren Beweis entfernt, was die Ergebnisse aber nicht uninteressanter macht, denn trotz allem könnte sich in ihnen der Nachweisansatz nicht wasserbasierter Organismen finden lassen. Aus astrobiologischem Blickwinkel betrachtet eine möglicherweise nicht unerhebliche Entwicklung.

Methanogene Archaeen gehören zu den ältesten Organismen der Erde. Sie leben oftmals in extremen Habitaten und nutzen wie diese Art Methan statt Sauerstoff für ihre Zellatmung.
(Bild: NASA)

Bereits kurz nach dem erfolgreichen Aufsetzen der europäischen Atmosphärensonde Huygens auf Titan im Jahre 2005 wurde erstmals über methanbasiertes Leben – methanogene Organismen – spekuliert, die ihren Energiebedarf durch Nutzung der exergonen (Energie freisetzenden) Methanogenese als Energiequelle (Verstoffwechselung von Wasserstoff, Ethin und Ethan (C2H6) decken, spekuliert. Hintergrund der Überlegung war seinerzeit schon die durch Benner et al. ein Jahr zuvor formulierte Hypothese einer gegenüber Wasser deutlicheren Reaktionsfähigkeit von Kohlenwasserstofflösungen im Hinblick auf eine komplexe organische Chemie.

Diese als Methanogenese bekannte letzte Stufe des obligat anaeroben (strikt sauerstofffreien) Biomasseabbaus ist bislang lediglich von Archaeen (Archaebakterien) bekannt. Kernaussage der in diesem Zusammenhang veröffentlichten Arbeit ist die durch Methanogenese herbeigeführte abnorm niedrige Konzentration von Wasserstoff und Ethin auf der Mondoberfläche. Gleichzeitig wird von dritter Seite die Idee verfolgt, dass nicht unerhebliche Mengen des fünfprozentigen Methanbeitrags innerhalb der Mondatmosphäre als Stoffwechselprodukt methanproduzierender Mikroorganismen angesehen werden könnten.

Diese vor fünf Jahren publizierten spekulativen Annahmen erfahren aktuell durch zwei Arbeiten jüngeren Datums durchaus einiges an Unterstützung. Wie auch schon McKay und Smith fünf Jahre zuvor, kommen Clark et al. in ihrem in Druck befindlichen Paper ebenfalls zu dem Ergebnis eines zu niedrigen Acetylengehalts auf der Titanoberfläche. Zusätzlich prognostiziert Strobel in seiner ebenfalls derzeit in Druck befindlichen Arbeit einen starken oberflächennahen Wasserstoff-Teilchenfluss.

Die Gegenwart verschiedenster organischer Moleküle auf Titan in nachweisbaren Mengen ist seit der Huygensmission ausreichend gut dokumentiert. Ungesättigte Kohlenwasserstoffverbindungen – die Alkine, zu denen das Eingangs erwähnte Ethin zählt, wie auch gesättigte Kohlenwasserstoffe (die Alkane wie Ethan) „flocken“ aus der dichten Atmosphäre aus und erreichen die Mondoberfläche, wo sie sich in den seit 2008 bestätigten Kohlenwasserstoffseen hauptsächlich um die Polregionen des Titan sammeln.

Allerdings eignen sich das Ethan und die aus ihm durch ultraviolette Einstrahlung gebildeten Tholine nur bedingt als Nahrungsgrundlage, da sie lediglich das absolute Minimum des auf der Erde für bakterielle metabole Aktivitäten notwendigen Energiebedarfs bereithalten. Acetylen hingegen offeriert ein etwa sechsfach erhöhtes Energiepotential pro Mol und ist darum immer mal wieder spekulativer Gegenstand planetobiologischer Diskurse, wie beispielsweise ebenfalls im Jahre 2005 die Arbeit Schulze-Makuchs und Grinsoons zeigte, die dem Wasserstoff auf Titan eine ähnliche Rolle wie dem Sauerstoff auf der Erde zugestehen, der von Organismen durch Verstoffwechselung zur Energiegewinnung genutzt wird.

Abfallprodukt eines spekulativen Wasserstoffmetabolismus auf Titan wäre demnach Methan, CH4. Jenes Alkan, welches einen deutlichen Prozentsatz in der Mondatmosphäre ausmacht und sich in flüssiger Form in großen Oberflächengewässern sammelt.

Wie zuvor schon erwähnt, eignet sich Acetylen wegen des besonders hohen Energiepotentials im besonderen Maße als Energielieferant metaboler Aktivitäten. Doch auch weniger geeignete Kandidaten, wie Ethan (C2H6) können einen gewissen Beitrag leisten, sofern in beiden Fällen die Umstände stimmen. Durch Reaktion der organischen Komponenten in Schokolade beispielsweise mit dem Sauerstoff der Luft hier auf der Erde, sollte Energie freigesetzt werden, was allerdings nicht bzw. nur in höchst unzureichendem Maße geschieht. Tatsächlich allerdings existieren bei diesem Beispiel drei Möglichkeiten, den (Reaktions)Prozess in Gang zu setzen.

Entweder erhitzt man die Schokolade auf hohe Temperatur, oder man setzt sie entsprechenden Katalysatoren aus, die die Reaktion anstoßen, oder aber drittens isst man die Schokolade und nutzt praktischerweise in unserem Körper vorhandene biologische Katalysatoren, die die Reaktion erzeugen. Um sich zu entwickeln und zu etablieren, benötigt Biologie also eine Umwelt reich an chemischer Energie und gleichzeitig einen Katalysator, der diese freisetzt. Nicht anders verhält es sich auf Titan.

Dunkle Bereiche auf den Radaraufnahmen der Titanoberfläche werden als flüssige Seen interpretiert.
(Bild: Cassini / NASA / ESA)

Die notwendige Umwelt, soviel ist gesichert, bietet Titan mit seinen großflächigen Methanseen in den Polgebieten. Überhaupt scheint flüssiges Methan weit verbreitet auf der Mondoberfläche vorzukommen. So existieren beispielsweise seit der Huygenslandung nahe des Äquators direkte Nachweise eines methandurchfeuchteten Grundes. In ihrer Arbeit sprechen McKay und Smith 2005 daher auch direkt die potentiell großräumige Verbreitungsmöglichkeit einer hypothetischen Titanbiologie unter Analogieverweis zur Erde an. Organismen stellen auf der Erde nicht zuletzt auch wegen der großräumigen Verbreitung flüssigen Wassers auf der Erdoberfläche ein gängiges Phänomen dar. Noch unbekannt sind weitere gleichermaßen wichtige Eigenschaften im Hinblick auf ein möglicherweise lebensfreundliches Klima der Seen auf Titan. So wie beispielsweise das Vorhandensein von Strömungen, die die einzelnen Bestandteile innerhalb der Lösung vermengen. Ohne die Anwesenheit solcher Mischkapazitäten blieben Wasserstoff und Alkine in separaten Schichten getrennt, was die nachhaltige Limitierung der chemischen Reaktionen zwischen ihnen nach sich ziehen würde.

Da Leben auf der Erde bekanntermaßen weit verbreitet ist, unterliegt unsere Umwelt demzufolge zwangsläufig früher oder später auch profunden Einflüssen, die direkt beobachtbare Effekte nach sich ziehen. So ist z.B. während der Frühlingsmonate ein signifikanter Abfall der CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu beobachten, da Kohlenstoffdioxid während dieser Phase verstärkt durch die Pflanzen zur Bildung der Blattorgane verbraucht wird. Durch das Zersetzen des Laubes in den Herbstmonaten verkehrt sich dieser Befund sodann jedoch ins Gegenteil.

Übertragen auf die Verhältnisse des Titans bedeutet dies in allen ernsthaft diskutierten chemischen Methoden zur organischen Energiegewinnung auf Titan (sowohl McKay und Smith, als auch Schulze-Makuch und Grinspoon) den Konsum oberflächennahen Wasserstoffs, der in globalen Skalen nachweisbar sein sollte und aktuell zumindest durch eine Modellberechnung erstmals nachvollzogen werden konnte.

Es ist zunächst darum auch im wesentlichen diese Modellrechnung, die den grundlegenden Unterschied zur bisherigen allgemeinen Gemengelage markiert. Denn trotz intensiver Bemühungen gelang es in der Vergangenheit nicht, den vor dem Hintergrund der bedingten Wasserstoffatmung potentieller Organismen prognostizierten oberflächennahen H-Verlust relativ zum Atmosphärenbestand aus den Huygensdaten belastbar zu extrahieren. Da kein anderer bekannter biologischer Prozess auf Titan ein entsprechendes Wasserstoffprofil zu etablieren in der Lage ist, wird ein solches oberflächennahes Missverhältnis allgemeinhin als entscheidendes Indiz metaboler Aktivitäten angenommen.

Vieles ist hinsichtlich der Fragestellung nach möglichem Leben auf Titan weiterhin hoch spekulativ und wird es mittelfristig wohl auch bleiben. Dass es allerdings weniger Ethan auf Titan gibt, als dies photochemische Modelle voraussagten, ist seit 2008 durch Lorenz et al. hinreichend sicher etabliert. In ihnen (den photochemischen Modellen) wurde eine global mehrere Meter mächtige Ethanschicht vorhergesagt, die allerdings durch Cassini bis zum heutigen Tage nicht bestätigt werden konnte. Clark et al. kommen in ihrer jüngsten Arbeit ebenfalls zu einem Mangel-Ergebnis. Sie stellen einen Mangel an C2H2 trotz der zu erwartenden Produktion in der Atmosphäre und dem darauffolgenden Absinken auf den Boden, fest. Gestützt wird ihre Untersuchung durch die Tatsache, dass ein C2H2-Negativ-Nachweis in den durch Huygens verursachten Ausgasungen (der Landescheinwerfer erwärmte seinerzeit den unmittelbaren Untergrund rings um den Lander) geführt werden konnte. Sowohl der beobachtete Ethan-, als auch der Ethinmangel ist aktuell daher weitgehend unstrittig.

Richtig signifikant werden beide Befunde aus astrobiologischem Blickwinkel indes erst durch den experimentell nachvollzogenen oberflächennahen Wasserstofffluss, der den Methan- und Ethinmangel eben nicht als Minderproduktion ausweist, sondern ihn in direkten Bezug zu einer Art chemischen Reaktion an der Oberfläche setzt. Leider handelt es sich bei dem durch Strobel postulierten Wasserstofffluss nicht um das Ergebnis von in-situ-Beobachtungen. Er ist vielmehr das Ergebnis einer Simulationsrechnung, die in ihrem Ursprung das Ziel verfolgte, die nachgewiesenen Wasserstoffkonzentrationen der unteren und höheren Atmosphärenschichten des Mondes kraftschlüssig nachvollziehen zu können. Es ist demzufolge nicht hinreichend klar, wie belastbar seine Ergebnisse und Interpretationen sind. Schließlich wurde der Algorithmus primär zu anderen Zwecken erstellt. Auch ist unsicher, inwieweit er Titans Chemie hinreichend präzise simuliert.

In der Gesamtbetrachtung lassen sich die derzeit vorgestellten Befunde anhand von vier möglichen Ursachen unterschiedlich hoher Wahrscheinlichkeiten erklären.

Quellen:

  • Schulze-Makuch, D. und Grinspoon, D.H. (2005)
  • McKay,C.P. und Smith, H.D. 2005
  • Lorenz et al. (2008)
  • Strobel, D.F . (2010, in Druck)
  • Eigene Recherchen

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