ESTEC-Veranstaltung in Noordwijk zum letzten Shuttle-Start

Zum letzten Start eines Space Shuttle haben am 8. Juli 2011 mehrere ESA-Standorte zu Veranstaltungen eingeladen, so auch ESTEC im niederländischen Noordwijk.

Die Übertragung des Starts durch NASA-TV war auf einer Leinwand zu sehen.
(Bild: Kirsten Müller, Raumfahrer.net)

Die Gäste waren unter anderem ehemalige und heutige ESTEC-Mitarbeiter, niederländische Schüler, Angehörige der US-Botschaft in den Niederlanden und Vertreter verschiedener Medien. Prominente Teilnehmer waren der niederländische Spacelab-Astronaut Wubbo Ockels sowie ESA-Raumfahrer Thomas Reiter. Wubbo Ockels ist der einzige Niederländer mit Space Shuttle-Erfahrung (STS 61A/Challenger), der Deutsche Thomas Reiter hingegen verfügt sowohl über Erfahrungen mit der russischen Raumstation Mir (Sojus-TM 22/Mir 20, 1995-96) als auch mit ISS und Space Shuttle (STS 121/ISS 13/ISS 14/STS 116, 2006).

Die ersten Worte an das Publikum richtete Thomas Reiter, der kurze Informationen gab zum Shuttle und zu Europas Rolle im ISS-Programm. Das Shuttle konnte pro Flug 20 Tonnen Masse in den Weltraum und zurück bringen. Sobald sich das Ende des Programmes abzeichnete, fing man an, die logistische Planung nach und nach darauf abzustimmen.

Ausführlicher berichtete Daniel Laurini, Leiter der Abteilung für Entwicklungs- und Zukunftsprojekte im ESA-Direktorat für bemannte Raumfahrt. In den 60er Jahren fing man schon an, sich über ein wiederverwendbares Raumfahrtsystem Gedanken zu machen. 1972 fing man konkret mit der Entwicklung des Shuttles an. Am 12. April 1981 wurde mit John Young und Robert Crippen STS 1 (Columbia) gestartet, der erste von insgesamt 135 Shuttle-Flügen. Erster Europäer, der an einem Shuttle-Flug teilnahm, war in November/Dezember 1983 der Deutsche Ulf Merbold auf der Mission STS 9/Spacelab 1 (Columbia). Insgesamt nahmen 24 Westeuropäer an sowohl europäisch als auch national gesponsorten Space-Shuttle-Missionen teil. Außerdem flog auf insgesamt 86 Flügen ESA-Hardware mit.

Der erste Beitrag Europas am Space Shuttle-Programm war das Spacelab. Die Vereinbarung zwischen der ESRO (European Space Research Organisation, Vorgängerorganisation der ESA) und der NASA zur Zusammenarbeit im Spacelab-Programm wurde am 24. September 1973 in Washington D.C. unterschrieben. Das Spacelab selbst bestand aus 5 „pallets“: zwei Wohnmodulen, wovon jeweils eines bei einem Flug eingesetzt werden konnte, zwei „igloos“ und ein Instrument Pointing Subsystem (IPS) außerhalb des bemannten Spacelab-Moduls, mit dem man punktgenaue Messungen an der Erde, der Sonne oder anderen Himmelskörpern vornehmen kann. Die Teile wurden in verschiedenen Kombinationen geflogen. Zwischen 1983 und 1998 wurden auf 22 Shuttle-Missionen Spacelab-Komponenten eingesetzt. Auch hat Europa andere Beiträge zum Space Shuttle-Programm geleistet, so dass insgesamt auf 86 Flügen europäische Hardware an Bord war. Zur ISS trugen die ESA-Mitgliedsländer hauptsächlich das Columbus-Modul, Harmony (Node 2) und Tranquility (Node 3), Cupola, das Permanent Multipurpose Module Leonardo (PMM), das Automatic Transfer Vehicle (ATV) und den European Robotic Arm (ERA) bei, außerdem zwei Sätze Solarzellen und die Faint Object Camera (FOC). In der Zukunft könnte sich die ESA vielleicht an der Entwicklung des Multi-Purpose Crew Vehicle (MPCV) der NASA beteiligen.

Nächster Programmpunkt war eine Frage-und-Antwort-Session von Thomas Reiter mit einer Gruppe eingeladener Kinder. Über die Schwerelosigkeit berichtete er, es dauere eine Weile, sich daran zu gewöhnen. Sei man aber erstmal dran gewöhnt, dann mache es richtig Spass. Eine Frage galt der Möglichkeit, ab 2014 für 65.000 Euro (95.000 US-Dollar) von Curaçao (Niederländische Antillen) aus kommerzielle Flüge in den Weltraum zu machen. Das findet Reiter, wie er sagt, “phantastisch”. Über die Zukunftspläne der ESA konnte er nichts allzu Genaues sagen. Hätte er jedoch die Chance, nochmal in den Weltraum zu fliegen, und könne er sich sein Ziel aussuchen, so würde er sich für den Mond entscheiden.

Thomas Reiter beantwortet Fragen niederländischer Schüler
(Bild: Kirsten Müller, Raumfahrer.net)

Auch ging Reiter auf die Unterschiede zwischen dem Fliegen im Shuttle und in der Sojus ein. Beim Start eines Shuttle rüttelt es die ersten Minuten, bis die Solid Rocket Boosters abgetrennt sind, ziemlich stark, und wird erst danach etwas sanfter. Der Start der Sojus hingegen fühlt sich die ganze Zeit relativ geschmeidig an. Man fühlt zwar, dass man in den Stuhl gedrückt wird, es rüttelt aber nicht so stark.

Der Komfort ist beim Space Shuttle größer. Beim Start in einer Sojus teilen sich drei erwachsene Leute einen Raum von 1,2 m3, während man im Shuttle bequemer sitzt und mehr Platz hat. Auch die Landung ist beim Shuttle angenehmer. Hier hat man bloss 1,5 g (die anderthalbfache Erdbeschleunigung) auszuhalten, und die Landung ist relativ weich. Bloß ist das Aufstehen nach einiger Zeit in der Schwerelosigkeit ziemlich schwierig. Bei der Landung in der Sojus hingegen sind es 4 g und man landet ziemlich hart.

Was die Technik angeht, sind die Russen relativ pragmatisch in ihrer Vorgehensweise. Auf der Mir konnte man Fehler ziemlich schnell reparieren und die Systeme mit relativ einfachen Mitteln am Laufen halten. Das Columbus-Modul hingegen ist vom Bau her ziemlich komplex und auch das Reparieren gestaltet sich etwas schwieriger. Hier sieht man den Unterschied zwischen russischem Pragmatismus und amerikanischem Streben nach Perfektion.

Darüber, dass der Shuttle jetzt zum letzten Mal fliegt, ist Reiter zwar ein wenig traurig, er weiß aber, dass dafür ein guter Grund vorhanden ist und halt es heute für die richtige Entscheidung. Die NASA entwickelt neue Systeme, und die Zukunft sieht recht vielversprechend aus.

Da die ESA schon lange vom geplanten Ende der Shuttle-Ära wusste, konnte sie ihre logistische Planung darauf einstellen. Die größte Herausforderung besteht aus der jetzt beschränkten Ladekapazität auf Flügen zwischen ISS und Erde, die für Engpässe sorgen könnte. Jedoch besteht im Moment der größte Teil der experimentellen Ergebnisse auf der ISS aus Daten und nicht aus Proben. Sobald z.B. ein System wie die Dragon-Kapsel zur Verfügung steht, wird die ESA dieses nutzen.

Eine weitere Frage kam über die zukünftige Annahme von neuen ESA-Astronauten. Letztes Jahr hat es eine neue Gruppe gegeben, aber jetzt? Reiter gab an, dies sei eine politische Entscheidung. Erstmal müssten für die heutigen Astronauten genug Flugmöglichkeiten kommen; jetzt neue Astronauten anzunehmen wäre gegenüber den heutigen ein wenig unfair.

Wubbo Ockels kommentierte den Start der Atlantis
(Bild: Kirsten Müller, Raumfahrer.net)

Die Frage eines Kindes, wieso es mehr männliche als weibliche Raumfahrer gebe, beantwortete Reiter damit, dass das heutige Mann-Frau-Zahlenverhältnis im europäischen Astronautenkorps das Verhältnis in den Bewerbungen widerspiegele. Es bewürben sich nun mal mehr Männer als Frauen für diesen Job. Um dies zu verändern, müsse man versuchen, mehr Frauen für Naturwissenschaft und Technik zu interessieren. Der Frage-Antwort-Session mit Thomas Reiter folgte ab etwa 17.15 Uhr MESZ die Live-Übertragung des Countdowns.

Dieser wurde kommentiert von Wubbo Ockels, dem einzigen Niederländer mit Space Shuttle-Erfahrung, der sich 2003 aus der aktiven Teilnahme an der Raumfahrt verabschiedet hat und jetzt als Vollzeitprofessor für erneuerbare Energien an der TU Delft arbeitet. Beim Countdown-Stopp bei T-31 Sekunden hielten alle die Luft an. Schließlich erhob sich die Atlantis mit etwa 2 Minuten Verspätung dann aber doch zum letzten Mal in den Weltraum. Die Live-Übertragung blieb bis kurz nach der Abtrennung der SRBs an, und es wurde mit Sekt auf einen erfolgreichen Start und auf das Ende einer Ära in der bemannten Raumfahrt angestoßen.

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