Erhöhter Natriumanteil in Sternen gibt Rätsel auf

Allgemein gehen Astronomen davon aus, das sonnenähnliche Sterne am Ende ihres Lebens einen Großteil ihrer Atmosphäre ins All schleudern. Neue Beobachtungen zeigen jedoch, dass entgegen aller Erwartungen der Großteil der untersuchten Sterne diesen Lebensabschnitt überspringt. Ein internationales Astronomenteam kam zu dem Ergebnis, dass die Menge an Natrium in diesen Sternen ein starker Indikator dafür ist, wie Sterne ihr Leben beenden.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESO. Vertont von Peter Rittinger.

ESO, IAU, Sky&Telescope
In dieser Karte ist die Position des im Sternbild Pfau (lateinisch „Pavo“) gelegenen Kugelsternhaufens NGC 6752 durch einen roten Kreis markiert.
(Bild: ESO, IAU, Sky&Telescope)

Viele Jahre lang gingen die Astronomen davon aus, dass die Art und Weise wie sich Sterne entwickeln und wie diese ihr „Leben“ beenden, bestens verstanden ist. Detaillierte Computermodelle führen zu dem Ergebnis, dass Sterne, welche über eine vergleichbare Masse wie unsere Sonne verfügen, während einer gewissen Zeitspanne in der Spätphase ihrer Existenz einen letzten Ausbruch nuklearer Fusionsreaktionen durchlaufen. Diese Phase wird auch als Asymptotischer Riesenast (englisch „Asymptotic giant branch“, kurz „AGB“) bezeichnet. Der Name leitet sich aus der Position solcher Sterne im Hertzsprung-Russell-Diagramm ab – einer Grafik, in der die Helligkeit von Sternen gegen ihre Spektralfarbe aufgetragen wird. Aus diesem Diagramm lässt sich dann das aktuelle Entwicklungsstadium eines Sterns ablesen.

Im Rahmen der dabei ablaufenden Prozesse wird ein Großteil der Masse dieser AGB-Sterne in Form von Gas in das umgebende Weltall abgestoßen. Für einen kurzen Zeitraum wird die abgestoßene Materie durch die starke ultraviolette Strahlung des Sternes zum Leuchten angeregt und bildet einen Planetarischen Nebel.

Aus dieser Materie bilden sich schließlich im Rahmen der bei einer Sternentstehung ablaufenden Prozesse die nächsten Generationen von Sternen. Dieser Zyklus des Massenverlustes und der Neuentstehung ist entscheidend für die Erklärung der Entwicklung der chemischen Zusammensetzung des Universums. Dieser Prozess liefert ebenfalls das Material, welches für die Bildung von Planeten und für die Entstehung von organischen Verbindungen notwendig ist.

Bei seiner Suche nach Hinweisen auf die AGB-Phase von Sternen in älteren Fachartikeln stieß der Astronom Simon Campbell, ein Experte für Sternentwicklungstheorien am Zentrum für Astrophysik der Monash University in Melbourne/Australien, jedoch auf einige Ungereimtheiten. Anscheinend, so seine Schlussfolgerung, scheinen einige Sterne einem anderen Entwicklungsweg zu folgen, bei dem sie die AGB-Phase überspringen und sich direkt zu Weißen Zwergen entwickeln.

„Für einen Wissenschaftler, der sich mit den Modellen der Sternentwicklung befasst, klingen solche Vermutungen verrückt! Nach unseren Modellen durchlaufen alle Sterne die AGB-Phase. Ich habe alle alten Publikationen noch einmal überprüft und dabei herausgefunden, dass diese Annahme nie wirklich angemessen untersucht wurde. Ich habe mich daher dazu entschlossen, selbst Untersuchungen durchzuführen, obwohl ich nur sehr wenig Erfahrung mit Beobachtungen hatte.“ Mit Hilfe des Very Large Telescope (kurz „VLT“) der europäischen Südsternwarte ESO untersuchten Campbell und sein Team daraufhin sehr sorgfältig das Licht, welches von den Sternen des Kugelsternhaufens NGC 6752 ausgeht.

ESO
Diese Aufnahme des Wide Field Imager am MPG/ESO 2,2-Meter-Teleskop am La Silla-Observatorium in Chile zeigt den Kugelsternhaufen NGC 6752 im Sternbild Pfau. Untersuchungen dieses Sternhaufens mit dem VLT der ESO haben überraschenderweise gezeigt, dass viele der dort befindlichen Sterne am Ende ihres Lebens keinen Massenverlust durchlaufen.
(Bild: ESO)

Der im südlichen Sternbild Pfau (lat. „Pavo“) gelegene Kugelsternhaufen NGC 6752 wurde im Jahr 1826 von dem schottischen Astronomen James Dunlop entdeckt. Er verfügt über eine scheinbare Helligkeit von 5,4 mag und einen Winkeldurchmesser von 20 Bogenminuten. Der Sternhaufen besitzt die etwa 160.000fache Masse der Sonne und einen Kerndurchmesser von rund 2,6 Lichtjahren. Die ältesten der mehr als 100.000 in NGC 6752 konzentrierten Sterne verfügen über ein Alter von etwa 13,8 Milliarden Jahren, was dem Alter des Universums entspricht.

Diese gewaltige, kugelförmige Ansammlung uralter Sterne bestehen sowohl aus einer ersten Generation von Sternen, als auch aus einer zweiten Generation, welche zu einem etwas späteren Zeitpunkt entstand. Diese beiden Sternpopulationen unterscheiden sich in ihrem Gehalt an leichten chemischen Elementen wie zum Beispiel Kohlenstoff, Stickstoff oder Natrium. Speziell der Natriumgehalt kann bei Beobachtungen anhand von qualitativ hochwertigen Daten ermittelt werden. Hierfür verwendeten die Astronomen das FLAMES-Instrument, einen hochauflösenden Multi-Objekt-Spektrografen des VLT.

Die Beobachtungsresultate waren für die Astronomen überraschend: Bei allen beobachteten AGB-Sternen handelte es sich um Sterne der ersten Generation, welche über einen niedrigen Anteil an Natrium verfügen. Von den Sternen der zweiten Generation, welche über einen höheren Natriumanteil verfügen, hat sich dagegen kein einziger zu einem AGB-Stern entwickelt. Rund 70 Prozent der von den Astronomen beobachteten Sterne durchliefen somit nicht die letzte Phase der nuklearen Fusionsreaktionen und des dabei erfolgenden Masseverlustes.

„Es hat den Anschein, als ob Sterne natriumarme ‚Nahrung‘ benötigen, um im hohen Alter die AGB-Phase erreichen zu können. Diese Beobachtung ist gleich aus mehreren Gründen von Bedeutung: Die AGB-Sterne sind die hellsten Sterne in Kugelsternhaufen. Es existieren also 70 Prozent weniger dieser hellsten Sterne, als die Theorie vorhersagt. Dies bedeutet wiederum, dass unsere Computermodelle der Sternentwicklung unvollständig sind und korrigiert werden müssen“, so die Schlussfolgerung von Campbell.

Die an der Untersuchung beteiligten Wissenschaftler vermuten, dass ähnliche Ergebnisse auch für andere Sternhaufen gelten und planen deshalb weitere Beobachtungen. Die Astronomen gehen bislang nicht davon aus, dass ein höherer Natriumgehalt die direkte Ursache für das abweichende Verhalten der Sterne darstellt. Allerdings muss der Natriumanteil eng mit der zugrundeliegenden Ursache verknüpft sein, welche zur Zeit allerdings noch ein ungelöstes Rätsel darstellt.

Die hier kurz vorgestellten Ergebnisse von Simon Campbell et al. wurden am 29. Mai 2013 unter dem Titel „Sodium content as a predictor of the advanced evolution of globular Cluster stars“ in der Fachzeitschrift „Nature“ publiziert.

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