Aus den umfangreichen Daten des europäischen Umweltsatelliten Envisat ergibt sich nun eine neue praktische Anwendung: Eine Live-Vorhersage der Ozonwerte. Weltweit.
Ein Beitrag von Karl Urban. Quelle: ESA.
Am 28. Februar 2002 startet der 10 Tonnen schwere Umweltsatellit Envisat der Europäischen Raumfahrtagentur ESA ins All. Die Aufgaben für und Erwartungen an den Satelliten sind vielseitig. Raumfahrer.net berichtete:
„Von seiner polaren Umlaufbahn in 800 km Höhe aus soll Envisat etwa alle 100 Minuten einmal die Erde umkreisen und mit seinen zehn Beobachtungsinstrumenten den Zustand verschiedenster Parameter von Erde, Wasser und Luft unseres Planeten registrieren. Etwa drei Tage werden die meisten Instrumente an Bord des Satelliten benötigen, um die gesamte Planetenoberfläche einmal zu scannen, bevor ein neuer Durchlauf beginnt.“
Seit 2002 liefert er nun regelmäßig Daten über die globale Erwärmung, Veränderungen der Ozonschicht und den Klimawandel auf der Erde. Envisat hat mittlerweile die Sonnenstürme der vergangenden Wochen gut überstanden. Auf der Basis seiner Daten bieten nunmehr belgische Wissenschaftler einen neuen Internet-Service an: die Ozonvorhersage für eine Woche.
Ozon: Das lebensnotwendige Gift
Ozon ist ein sehr reaktionsfreudiges Spurengas. Wir treffen es von der Erdoberfläche bis in eine Höhe von etwa 110 km an. Am Boden stellt Ozon als Hauptbestandteil des Smogs ein Gesundheitsrisiko dar. In höheren Bereichen ist es dagegen lebensnotwendig.
Die maximale Ozondichte liegt in der Stratosphäre zwischen 12 bis 30 km. Das stratosphärische Ozon ermöglichte vor Milliarden Jahren die Bildung von Leben auf diesem Planeten. Es absorbiert auch heute bis zu 98 Prozent der von der Sonne kommenden schädlichen Ultraviolettstrahlung (UV), die beim Menschen nicht nur zum Sonnenbrand führen, sondern auch Schädigungen der Haut bis hin zum Hautkrebs auslösen kann. Wir könnten nicht überleben, gäbe es kein Ozon in der Stratosphäre.
Die Reaktionsfreudigkeit des Ozons führt jedoch auch zu chemischen Reaktionen mit anderen Spurengasen in der Stratosphäre, wobei ein Teil des Ozons zerstört wird. Die meisten Spurengase sind dabei menschlichen Ursprungs, beispielsweise Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (FCKW). Die Folgen sind bekannt: Es sind jahreszeitlich variierende Löcher in der Ozonschicht, die zu unabsehbaren Folgen für die Menschheit führen können.
MIPAS: Das Instrument, das wertvolle Ozondaten liefert
Der Erforschung und Überwachung der Gaskonzentrationen sowie der chemischen Reaktionen in der Stratosphäre kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Eines der modernsten und komplexesten Forschungsinstrumente ist das Michelson Interferometer MIPAS auf dem ESA-Umweltsatelliten Envisat.
Das von der deutschen Astrium GmbH entwickelte und gebaute Messgerät liefert Tag und Nacht Daten über die Infrarot-Emission von bis zu 30 Spurengasen, aus denen die Wissenschaftler Rückschlüsse auf die chemischen Prozesse sowie den Transport in der Stratosphäre ziehen können. Gegenwärtig kann das ESA-Zentrum zur Auswertung der von Envisat gelieferten Messreihen allerdings nur für einen Teil der Spurengase die Daten an die Anwender ausliefern. Diese Daten müssen mittels mathematischer Algorithmen studiert und aufbereitet werden. Durch die Komplexität atmosphärischer Vorgänge kommt es zu einer erheblichen Verzögerung zwischen dem Zeitpunkt der Messungen einerseits und dem Vorliegen aussagefähiger Informationen andererseits.
Ozonvorhersage für eine Woche
Wissenschaftler des in Brüssel ansässigen belgischen Institute for Space Aeronomy haben deshalb einen Service entwickelt, der im Internet den interessierten Fachleuten nicht nur kurzfristige Vorhersagen zur Ozonkonzentration, sondern auch von weiteren 56 Spurengasen sowie deren Einfluss auf die Ozonschicht bietet. Der neue Dienst heißt BASCOE – Belgian Assimilation System of Chemical Observations from Envisat.
Die interessierten Nutzer erhalten wöchentliche Vorhersagen der Ozondichte sowie Karten mit der Verteilung von Stickstoff- und Chlorverbindungen, die an der Zerstörung der Ozonschicht beteiligt sind.
Die Forscher am BIRA-IASB haben dafür eine sehr komplexe Software erarbeitet, die ungefähr 50.000 Zeilen Code enthält. Auf der Basis der MIPAS-Daten ermittelt das Computer-Modell, das die chemischen Prozesse in der Stratosphäre simuliert, die Konzentration und Verteilung weiterer Spurengase. Der große Fortschritt besteht in der Verfügbarkeit der Ergebnisse innerhalb eines Tages.