Entfernung der Großen Magellanwolke exakt bestimmt

Nach fast einem Jahrzehnt sorgfältiger Beobachtungen konnte ein internationales Astronomenteam die Entfernung der Großen Magellanschen Wolke, einer der nächsten Nachbargalaxien unserer Milchstraße, so präzise wie nie zuvor bestimmen. Diese neue Entfernungsbestimmung verbessert auch das astronomische Wissen über die derzeitige Expansionsrate des Universums und ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zum Verständnis der Natur der Dunklen Energie, welche diese Ausdehnung wahrscheinlich noch weiter beschleunigt.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESO, Nature.

ESO, IAU, Sky&Telescope
Die Große Magellansche Wolke befindet sich im Grenzgebiet der beiden Sternbilder Schwertfisch (Dorado) und Tafelberg (Mensa) am südlichen Sternhimmel.
(Bild: ESO, IAU, Sky&Telescope)

In der unmittelbaren kosmischen Nachbarschaft zu unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, befinden sich zahlreiche Zwerggalaxien, welche die deutlich größere und entsprechend massereichere Heimatgalaxie dabei teilweise umrunden. Bei einer dieser Galaxien handelt es sich um die „Große Magellansche Wolke“, welche auch unter der englischen Bezeichnung „Large Magellanic Cloud“ (LMC) bekannt ist. Mit einer visuellen Helligkeit von 0,9 mag kann sie bereits mit dem bloßen Auge beobachtet werden.

Allerdings muss sich der interessierte Betrachter dazu auf der südlichen Erdhalbkugel befinden, denn nur von dort aus können die beiden Sternbilder Schwertfisch und Tafelberg beobachtet werden. Die Große Magellansche Wolke befindet sich im Grenzbereich zwischen diesen beiden Sternbildern. Erstmals schriftlich erwähnt wurde sie im Jahr 964 von dem persischen Astronomen Al Sufi in dessen „Buch der Fixsterne“. Der erste Europäer, welcher die Wolke beschrieb, war der portugiesische Seefahrer Ferdinand Magellan, der die LMC während seiner in den Jahren 1519 bis 1521 erfolgten Weltumseglung beobachten konnte.

Die Große Magellansche Wolke erweckt auch in der Gegenwart immer noch das Interesse der Astronomen. So hat zum Beispiel während des vergangenen Jahrhunderts die Bestimmung der genauen Entfernung der LMC eine Schlüsselrolle in der extragalaktischen Astronomie eingenommen. Die dabei erreichten Messresultate unterlagen allerdings einem relativ hohen Unsicherheitsfaktor, was zur Folge hatte, dass der Wert der Entfernung zwischen dieser irregulären Zwerggalaxie und unserer Galaxie mit etwa 143.000 bis 166.000 Lichtjahren angegeben wurde.

Die Entfernungsbestimmung im Universum
Für die Bestimmung der Entfernungen von weit weg liegenden Objekten im Universum zu unserer Galaxie ermitteln Astronomen zunächst die Entfernungen zu relativ nahegelegenen Objekten, welche über eine bekannte Leuchtkraft verfügen. Diese Standardkerzen werden anschließend verwendet, um die Abstände zu noch weiter entfernten Objekten im Universum zu bestimmen. Da weiter entfernte Objekte des gleichen Typs lichtschwächer erscheinen als näher gelegene, können Astronomen durch die Messung der beobachteten Helligkeit ihre Entfernung ableiten. Beispiele für solche Standardkerzen sind unter anderem Supernovae vom Typ Ia und eine besondere Klasse der Veränderlichen Sterne.

Bei diesen sogenannten Cepheiden handelt es sich um helle, instabile Sterne, welche pulsieren und daher periodisch ihre Helligkeit verändern. Zwischen der Pulsationsdauer und der Leuchtkraft existiert ein eindeutiger Zusammenhang. Cepheiden mit einer kurzen Pulsationsdauer sind weniger leuchtkräftig als solche mit einer langen Pulsationsdauer. Diese Perioden-Leuchtkraft-Beziehung der Cepheiden ermöglicht ihre Verwendung als Standardkerzen, um die Entfernung zu nahegelegenen Galaxien zu bestimmen.

ESO, L. Calçada
Diese künstlerische Darstellung zeigt ein bedeckungsveränderliches Doppelsternsystem. Während ihres gegenseitigen Umlaufs sieht man die beiden Sterne von der Erde aus vor dem jeweils anderen vorbeiziehen. Während der Bedeckung verringert sich dabei die Gesamthelligkeit. Über den Lichtwechsel können Astronomen zusammen mit weiteren Eigenschaften des Systems die Entfernungen von Bedeckungsveränderlichen sehr präzise bestimmen.
(Bild: ESO, L. Calçada)

Der Helligkeitsverlust hängt dabei in bekannter Weise von der Distanz der Lichtquelle ab. Je weiter sich deren Heimatgalaxie von unserem System entfernt befindet, desto lichtschwächer erscheinen diese Cepheidensterne dem irdischen Beobachter. Die Schwierigkeit bei diesem Verfahren liegt in der genauen Kalibrierung der Entfernungsskala. Hierzu werden üblicherweise besonders nahegelegene Exemplare dieses Sternentyps noch mit zusätzliche Messmethoden vermessen.

Die gesamte Kette der kosmischen Entfernungsskala ist allerdings nur so präzise wie ihr schwächstes Glied. Bis vor kurzem ist es den Astronomen zum Beispiel nicht möglich gewesen, die Entfernung der Großen Magellanschen Wolke exakt zu bestimmen. Da die in dieser Zwerggalaxie beheimateten Sterne jedoch dazu verwendet werden, um die Entfernungen zu noch weiter entfernten Galaxien festzulegen, ist ihre exakte Entfernung von sehr großer Bedeutung für die Astronomie.

Nach fast einem Jahrzehnt intensiver Arbeit konnte ein internationales Astronomenteam jetzt mittels der sorgfältigen Analysen der Beobachtungen einer seltenen Klasse von Doppelsternen einen präzisen Wert für die Entfernung der Großen Magellanschen Wolke zur Milchstraße ermitteln. Für ihre Forschungen beobachteten die Astronomen eng beieinander stehende Doppelsterne – sogenannte bedeckungssveränderliche Sterne. Während ihres gegenseitigen Umlaufs kann beobachtet werden, wie die Sterne jeweils vor ihrem Partner vorbeiziehen. Von der Erde aus betrachtet nimmt im Rahmen dieser gegenseitigen Bedeckungen die Gesamthelligkeit des Systems in periodischen Zyklen ab und dann wieder zu.

Der exakte Verlauf der Helligkeitsveränderungen hängt von verschiedenen Faktoren ab. Durch eine sorgfältige Messung der Helligkeitskurve bei einer gleichzeitig erfolgenden Bestimmung der Umlaufgeschwindigkeit können die Größe der Sterne, deren Masse und weitere Informationen über ihre Umlaufbahnen ermittelt werden. Kombiniert man diese Informationen mit der Gesamthelligkeit und den Spektren der Sterne, welche in nahinfraroten Wellenlängenbereichen des Lichts bestimmt werden, so lässt sich die Entfernung dieser Bedeckungsveränderlichen sehr genau berechnen.

163.000 Lichtjahre

ESO, R. Gendler
Eine Aufnahme der Großen Magellanschen Wolke. Die Positionen von acht seltenen kühlen Bedeckungsveränderlichen sind hier mit Kreuzen markiert (die Sterne selber sind zu lichtschwach, um im Bild direkt erkennbar zu sein). Über den Lichtwechsel können Astronomen zusammen mit weiteren Eigenschaften der jeweiligen Systeme die Entfernungen von Bedeckungsveränderlichen sehr präzise bestimmen. Eine lange Zeitreihe von Beobachtungen seltener kühler Bedeckungsveränderlicher hat nun zur bislang besten Bestimmung der Entfernung der Großen Magellanschen Wolke geführt.
(Bild: ESO, R. Gendler)

Laut der Resultate dieser Arbeit befindet sich die Große Magellansche Wolke demzufolge in einer Entfernung von 163.000 Lichtjahren.

„Ich freue mich sehr, dass uns das gelungen ist“, so Wolfgang Gieren von der Universidad de Concepción in Chile, einer der Leiter des internationalen Teams. „Einhundert Jahre lang haben Astronomen versucht, die Entfernung zur Großen Magellanschen Wolke so genau wie möglich zu messen. Es hat sich als unglaublich schwer herausgestellt. Jetzt haben wir dieses Problem endlich lösen können, und das mit einem Ergebnis, das auf zwei Prozent genau ist.“

Die für die Untersuchung verwendete Methode kam zwar bereits zuvor zum Einsatz, hatte allerdings immer nur relativ „heiße“ Sterne zum Ziel. Hierbei konnten jedoch aufgrund von Unsicherheiten bezüglich der physikalischen Natur dieser Sterne viele der benötigten Parameter nur annähernd bestimmt werden, so dass die Astronomen mit vielen nicht eindeutig bekannten Faktoren arbeiten mussten, was wiederrum zur Folge hatte, dass die Werte für die dabei ermittelte Entfernung relativ unpräzise ausfielen.

Kürzlich konnten die Astronomen jedoch erstmals acht extrem seltene bedeckungsveränderliche Doppelsysteme identifizieren, bei denen es sich bei beiden Sternen um relativ kühle Rote Riesen handelt. Diese Sterne wurden bei der Durchmusterung der rund 35 Millionen Sterne der Großen Magellanschen Wolke durch das OGLE-Projekt entdeckt und in der Folgezeit sorgfältig untersucht. Diese Doppelsternsysteme liefern besonders genaue Entfernungswerte, was eine Bestimmung der Entfernung mit einem Unsicherheitsfaktor von nur noch zwei Prozent ermöglicht.

Für ihre Untersuchungen nutzten die beteiligten Astronomen unter anderen auch mehrere Instrumente der Europäischen Südsternwarte (ESO) in den chilenischen Anden. „Die ESO hat genau die Teleskope und Instrumente, die man für dieses Projekt benötigt: Den HARPS-Spektrografen für hochpräzise Radialgeschwindigkeitsmessungen auch schwacher Sterne und SOFI für Helligkeitsmessungen im Infraroten“, so Grzegorz Pietrzyński von der Universidad de Concepción in Chile und dem polnischen Obserwatorium Astronomiczne Uniwersytetu Warszawskiego.

Noch besseren Aussagen über die kosmischen Entfernungen
Diese deutliche Verbesserung der Entfernungsangabe, frühere Messungen wiesen einen Fehlerwert von bis zu zehn Prozent auf, führt auch zu genaueren Entfernungswerten für die in der LMC beheimateten Cepheidensterne. Darauf basierend können zukünftig auch präzisere Aussagen über die Entfernungen von noch weiter entfernt gelegenen Galaxien getätigt werden. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die Bestimmung der Hubble-Konstante, mit welcher die derzeitige Expansionsrate des Universums ermittelt wird. Die Hubble-Konstante wiederum ist die Grundlage für die Durchmusterung des Universums bis hin zu den fernsten Galaxien, welche mit den heutigen Teleskopen zu beobachten sind.

Die jetzt bekannte präzise Entfernung der Großen Magellanschen Wolke reduziert damit auch die Ungenauigkeit der derzeitigen Messungen kosmologischer Entfernungen. Dies wiederum könnte Auswirkungen auf die Erforschung der bisher nur hypothetisch angenommenen dunklen Energie haben, mit der die beobachtete beschleunigte Expansion des Universums allgemein erklärt wird.

Die hier kurz vorgestellten Ergebnisse von Grzegorz Pietrzyński et al. wurden am 7. März 2013 unter dem Titel „An eclipsing binary distance to the Large Magellanic Cloud accurate to 2 per cent“ in der Fachzeitschrift Nature publiziert. „Wir arbeiten daran, die Methode weiter zu verbessern und hoffen so, innerhalb weniger Jahre auf eine Unsicherheit von nur noch einem Prozent für die Entfernung der Großen Magellanschen Wolke zu kommen. Das hätte nicht nur weitreichende Auswirkungen für die Kosmologie, sondern für viele Bereiche der Astronomie“, so Dariusz Graczyk, der Zweitautor des Nature-Artikels.

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Fachartikel von Grzegorz Pietrzyński et al.:

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