Eine Spiralstruktur um den Riesenstern R Sculptoris

Ein Astronomenteam hat mit dem ALMA-Teleskop der Europäischen Südsternwarte (ESO) eine Spiralstruktur in einer Materiewolke entdeckt, welche den Stern R Sculptoris umgibt. Diese Beobachtung ermöglichte den Astronomen bisher einmalige Einblicke in die Spätphase eines Sternlebens.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESO.

ESO,  IAU, Sky & Telescope
Die Konstellation des Sternbildes Bildhauer (lat. „Sculptor“). Der rote Kreis markiert die Position des Sterns R Sculptoris.
(Bild: ESO, IAU, Sky & Telescope)

Bei dem im Sternbild Bildhauer (lat. „Sculptor“) gelegenen Stern R Sculptoris handelt es sich um einen sogenannten Roten Riesen. Sterne dieses Typs haben das letzte Stadium ihres Sternenlebens erreicht und den ursprünglich in ihrem Inneren befindlichen Vorrat an Wasserstoff bereits verbraucht. Stattdessen „verbrennen“ Rote Riesen jetzt den in ihren äußeren Schalen befindlichen und bisher inaktiven Wasserstoffvorrat zu Helium. Dabei verlieren sie zugleich einen Großteil ihrer ursprünglichen Masse, welche sich in Form von extrem starken Sternwinden in das umgebende Weltall entlädt. Rote Riesen gelten aufgrund dieses Vorganges als eine der Hauptnachschubquellen für das interstellare Gas, welches wiederrum den Großteil des für die Bildung von neuen Sonnensystemen benötigten Ausgangsmaterials darstellt.

Während der Rote-Riesen-Phase ereignen sich zusätzlich in regelmäßigen Zeitabständen sogenannte thermische Pulse. Hierbei handelt es sich um kurze, explosive Phasen, während derer die in einer Schale um den Zentralbereich des Sterns konzentrierten Heliumkerne zu Kohlenstoffkernen verschmelzen. Während eines solchen thermischen Pulses erhöht sich die Rate, mit der Materie von der Sternoberfläche in den umgebenden Raum strömt. Auf diese Weise bilden sich um den Stern herum ausgedehnte Schalen aus Gas und Staub. Nach dem Abflauen des Pulses sinkt die zwischenzeitlich deutlich erhöhte Massenverlustrate wieder auf den zuvor normalen Wert. Derartige thermische Pulse treten bei den Roten Riesen etwa alle 10.000 bis 50.000 Jahre auf und dauern üblicherweise jeweils nur wenige hundert Jahre an.

Ein internationales Astronomenteam hat kürzlich mit dem Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (kurz „ALMA“), einem von der Europäischen Südsternwarte (ESO) betriebenen Verbundteleskop, den Roten Riesen R Sculptoris untersucht. Die Beobachtungen führten zu dem Schluss, dass R Sculptoris vor rund 1.800 Jahren seinen letzten thermischen Puls durchlaufen hat, welcher etwa 200 Jahre andauerte. Während des Pulses lag die Masseverlustrate etwa 30 mal höher als normal. R Sculptoris verlor in diesem Zeitraum etwa 0,3 Prozent einer Sonnenmasse. Die Materie entfernte sich dabei mit einer Geschwindigkeit von 14,3 Kilometern pro Sekunde von dem Roten Riesen. Dies ist eine etwa dreimal höhere Verlustrate während des Pulses als eigentlich erwartet.

Außerdem haben die Astronomen eine bisher unbekannte Spiralstruktur innerhalb der Materiewolke entdeckt, welche den Stern umgibt. Das Vorhandensein der nicht erwarteten Spiralstruktur, so die Interpretation der Astronomen, deutet auf das Vorhandensein eines bisher nicht bekannten Begleitsternes hin, welcher R Sculptoris umkreist. Dieser Begleitstern brachte den von R Sculptoris ausgehenden Sternwind durch seine gravitativen Einflüsse in die jetzt beobachtete Spiralform.

ALMA (ESO, NAOJ, NRAO)
Daten des ALMA haben eine unerwartete Spiralstruktur in der Materieansammlung rund um den alten Stern R Sculptoris sichtbar gemacht. Eine derartige Struktur konnte noch nie zuvor beobachtet werden. Sie wurde vermutlich von einem bisher unbekannten Begleitstern verursacht, welcher den Hauptstern umkreist. Dieser Querschnitt durch die neuen ALMA-Daten zeigt die Hülle, welche den Stern umgibt, als äußeren, kreisförmigen Ring und die Spiralstruktur der Materie im Innenbereich.
(Bild: ALMA (ESO, NAOJ, NRAO))

Diese für die beteiligten Astronomen überraschende Beobachtung stellt in Kombination mit dem Nachweis einer weit außen liegenden Schale um einen roten Riesenstern eine astronomische Premiere dar. „Zwar konnten bereits zuvor Schalen aus ausgestoßenem Material um diese Art von Sternen beobachtet werden“, so Matthias Maercker vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn, welcher die Arbeiten geleitet hat. „Aber wir sind die ersten, die so eine Spirale aus Materie beobachtet haben, die von einem Stern ausgeht.“

Das Ergebnis der Beobachtungen stammt aus einer ersten Phase des wissenschaftlichen Betriebes des ALMA-Teleskops. Doch bereits jetzt übertrifft die Anlage in ihrer Leistungsfähigkeit deutlich die Leistungen anderer Submillimeter-Observatorien. „Während unserer Beobachtungen mit dem ALMA waren noch nicht einmal die Hälfte der vorgesehenen Antennen vor Ort. Man stelle sich vor, was ALMA leisten wird, wenn die Anlage ab dem Jahr 2013 komplett aufgebaut ist!“, so Wouter Vlemmings von der Chalmers University of Technology in Schweden, einer der beteiligten Wissenschaftler. Zuvor mit anderen Anlagen gewonnene Datensätze zeigten zwar eine kugelförmige Hülle um R Sculptoris, aber weder die Spiralstruktur noch Hinweise auf einen Begleitstern.

„Aufgrund der Tatsache, dass ALMA in der Lage ist, derart feine Details aufzulösen, können wir viel besser als bisher nachvollziehen, welche Prozesse sich vor, während und nach dem thermischen Puls abgespielt haben. Die dafür nötigen Informationen gewinnen wir aus der Form der Schale und der Spiralstruktur“, so Matthias Maercker. „Wir haben zwar durchaus damit gerechnet, dass ALMA uns einen ganz neuen Blick auf das Universum ermöglichen wird. Aber dass wir bereits mit einer der ersten Beobachtungen überhaupt völlig unerwartete und neue Dinge zu Gesicht bekommen, ist schon etwas ganz Besonderes.“

Um die Entstehung und die weitere Entwicklung der beobachteten Strukturen in der Umgebung von R Sculptoris nachvollziehen zu können, hat das Team um Matthias Maercker verschiedene Computersimulationen durchgeführt, mit denen die Entwicklung eines Doppelsternsystems modelliert werden konnte. Die daraus resultierenden Modelle decken sich hervorragend mit den neu gewonnenen ALMA-Daten.

ESO, Digitized Sky Survey 2, Davide De Martin
Eine Großfeldaufnahme zeigt die Himmelsregion um den Roten Riesen R Sculptoris. In dieser Himmelsgegend, weit ab von der Milchstraße, sind vergleichsweise nur wenige Sterne sichtbar. Dafür sind hier viele ferne und entsprechend lichtschwache Galaxien zu erkennen. Das hier gezeigte Bild wurde aus Aufnahmen für den Digitized Sky Survey 2 erstellt. Die orangefarbenen Kreise und Strahlen auf dem Bild, die von dem Stern ausgehen, sind Artefakte, welche durch die Bauweise des Teleskops und die Aufnahmetechnik bedingt sind.
(Bild: ESO, Digitized Sky Survey 2, Davide De Martin)

„Es stellt eine beachtliche Herausforderung dar, all die Details, welche ALMA liefert, auch theoretisch beschreiben zu können. Aber die Computermodelle haben uns gezeigt, dass wir definitiv auf dem richtigen Weg sind. ALMA hat uns einen hervorragenden Einblick darauf geliefert, wie sich diese Sterne verhalten – und somit auch darauf, wie sich unsere Sonne in ein paar Milliarden Jahren entwickeln könnte“, so Shazrene Mohamed vom Argelander-Institut für Astronomie und vom South African Astronomical Observatory in Südafrika, eine weitere an den Untersuchungen beteiligte Astronomin.

Durch weitere Beobachtungen mit dem ALMA erhoffen sich die Astronomen neue Erkenntnisse darüber, auf welche Art und Weise sich im Universum die interstellaren Gas- und Staubkonzentrationen bilden, aus denen letztendlich neue Sterne hervorgehen und aus denen sich auch die sie umkreisenden Planeten entwickeln. „Schon bald werden uns die ALMA-Beobachtungen von Sternen wie R Sculptoris dabei helfen, nachzuvollziehen, wie die chemischen Elemente, aus denen letztendlich auch wir Menschen bestehen, auf einen Planeten wie die Erde gelangt sind. Und auch über die ferne Zukunft unseres eigenen Heimatsterns dürfte uns ALMA einiges verraten“, so der Kommentar von Matthias Maercker.

Die hier kurz vorgestellten Forschungsergebnisse von Matthias Maercker et al. wurden unter dem Titel „Unexpectedly large mass loss during the thermal pulse cycle of the red giant star R Sculptoris“ in der Fachzeitschrift Nature publiziert. Es handelt sich hierbei um eine der ersten Veröffentlichungen aus der frühen Phase der wissenschaftlicher Beobachtungen mit dem ALMA.

Das für die Untersuchungen eingesetzte ALMA-Teleskop ist eine internationale astronomische Forschungseinrichtung, welche von verschiedenen Instituten aus Europa, Nordamerika und Ostasien in Zusammenarbeit mit der Republik Chile getragen wird. Bei der Entwicklung, dem Aufbau und dem Betrieb des Observatoriums ist die ESO zuständig für den europäischen Beitrag, das National Astronomical Observatory of Japan für den Beitrag Ostasiens und das National Radio Astronomy Observatory der USA für den nordamerikanischen Beitrag. Das Joint ALMA Observatory ist für die übergreifende Projektleitung – für den Aufbau, die Inbetriebnahme und den regulären Beobachtungsbetrieb – von ALMA zuständig. Die offizielle Einweihung des ALMA-Observatoriums ist für den 13. März 2013 vorgesehen.

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