Ein schwarzes Loch und sein rätselhafter Begleiter

LIGO und Virgo finden ein weiteres überraschendes Doppelsystem. Eine Information des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut).

Quelle: Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut).

Noch ein außergewöhnliches Gravitationswellen-Ereignis aus dem dritten Beobachtungslauf (O3) von LIGO und Virgo gefunden: Heute wird ein neues Signal veröffentlicht, das von der Verschmelzung eines Schwarzen Lochs mit 23 Sonnenmassen mit einem 9-mal leichteren Objekt stammt. Dieses zweite Objekt ist rätselhaft: mit der gemessenen Masse befindet es sich in der sogenannten „Massenlücke“ zwischen den schwersten bekannten Neutronensternen und den leichtesten Schwarzen Löchern. Auch wenn sich die Forscher*innen über seine wahre Natur nicht sicher sein können, so ist doch eines klar: Die Beobachtung dieses ungewöhnlichen Paares stellt das derzeitige Verständnis der Entstehung und Entwicklung solcher Systeme in Frage.

Visualisierung des Zusammenpralls zweier Schwarzer Löcher, die einander umkreisen, verschmelzen und dabei Gravitationswellen aussenden. Das größere Schwarze Loch ist 9,2-mal so massereich wie das kleinere. Beide Objekte drehen sich nicht um sich selbst.
(Bild: N. Fischer, S. Ossokine, H. Pfeiffer, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), Simulating eXtreme Spacetimes (SXS) Collaboration)
Visualisierung des Zusammenpralls zweier Schwarzer Löcher, die einander umkreisen, verschmelzen und dabei Gravitationswellen aussenden. Das größere Schwarze Loch ist 9,2-mal so massereich wie das kleinere. Beide Objekte drehen sich nicht um sich selbst.
(Bild: N. Fischer, S. Ossokine, H. Pfeiffer, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), Simulating eXtreme Spacetimes (SXS) Collaboration)

„GW190814 ist eine unerwartete und wirklich aufregende Entdeckung“, sagt Abhirup Ghosh, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung „Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie“ am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut; AEI) in Potsdam. „Sie ist aufgrund zweier herausragender Merkmale einzigartig. Noch nie zuvor haben wir eine Gravitationswelle von einem System gemessen, in dem die Einzelmassen so unterschiedlich sind: Ein Schwarzes Loch mit der 23-fachen Masse unserer Sonne verschmilzt mit einem Objekt, das nur die 2,6-fache Masse der Sonne hat. Aber was es noch rätselhafter macht, ist, dass wir nicht genau wissen, was das leichtere Objekt ist. Wenn es sich tatsächlich um ein Schwarzes Loch handelt, ist es das leichteste bekannte, ist es hingegen ein Neutronenstern, so ist dies der massereichste, den wir je in einem Doppelsystem beobachtet haben.“

Aufgrund der so unterschiedlichen Massen sind die „Fingerabdrücke“ der Gezeitenverformung des Neutronensterns, die seine Anwesenheit verraten würden, in GW190814 schwer zu erkennen – und wurden auch nicht nachgewiesen. Daher bleibt unklar, ob das leichtere Objekt ein Schwarzes Loch oder ein Neutronenstern ist. Wenn es sich tatsächlich um einen Neutronenstern handelt, wäre er außergewöhnlich schwer. Das würde unser Verständnis davon, wie sich Neutronenstern-Materie verhält und wie massereich diese Objekte sein können, in Frage stellen.

„Weil die Massen der Objekte so unterschiedlich sind, konnten wir das Brummen einer höheren Harmonischen der Gravitationswelle, das den Obertönen von Musikinstrumenten ähnelt, eindeutig identifizieren“, sagt Jonathan Gair, Gruppenleiter in der Abteilung „Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie“ am AEI in Potsdam. „Diese Harmonischen – in GW190814 erst zum zweiten Mal überhaupt nachgewiesen – erlauben es uns, einige astrophysikalische Eigenschaften des Doppelsystems genauer zu messen und ermöglichen neue Tests von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie.“

Ein langsam rotierendes Schwarzes Loch
GW190814 wurde sowohl von den LIGO-Detektoren als auch vom Virgo-Detektor am 14. August 2019 während des dritten Beobachtungslaufs (O3) der Observatorien beobachtet – auf den Tag genau zwei Jahre nach GW170814, dem ersten von allen drei Instrumenten gemeinsam beobachteten Signal.

„Durch den günstigen Umstand, ein so lautes Signal mit ganz unterschiedlichen Komponentenmassen über eine Dauer von etwa 10 Sekunden beobachtet zu haben, konnten wir die bisher präziseste Messung der Eigenrotation eines Schwarzen Lochs mittels Gravitationswellen durchführen“, erklärt Alessandra Buonanno, Direktorin der Abteilung „Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie“ am AEI in Potsdam. „Das ist wichtig, weil die Eigenrotation eines Schwarzen Lochs Informationen über dessen Entstehung und Entwicklung enthält. Wir fanden heraus, dass sich dieses Schwarze Loch mit 23 Sonnenmassen ziemlich langsam dreht: weniger als 7% der von der Allgemeinen Relativitätstheorie erlaubten maximalen Eigenrotation.“

„Es ist wirklich schwierig, etwas über die Umgebung, in der dieses ungewöhnliche Doppelsystem geboren wurde, und über seine Entwicklung herauszufinden. Es ist anders als die meisten solcher Systeme, die wir aus Simulationen ihrer Population kennen“, sagt Frank Ohme, Leiter einer unabhängigen Max-Planck-Forschungsgruppe am AEI Hannover. „GW190814 und ähnliche zukünftige Signale könnten uns helfen, diese unerwartete neue Art von Doppelsystemen und die Prozesse, die zur Entstehung von schweren Neutronensternen oder leichten Schwarzen Löchern führen, besser zu verstehen“, fügt er hinzu.

Nach Vermutung der Astronom*innen hat sich das System mit größter Wahrscheinlichkeit entweder in jungen, dichten Sternhaufen oder in der Umgebung aktiver Galaxienkerne gebildet. Basierend auf ihren Schätzungen davon, wie viele solcher Systeme im Universum existieren und wie oft sie verschmelzen, gehen die Wissenschaftler*innen davon aus, dass sie in zukünftigen LIGO/Virgo-Beobachtungsläufen noch weitere solcher Systeme beobachten werden.

Jedes dieser vier Bilder zeigt eine andere Mode (oder: einen anderen Oberton) des Gravitationswellensignals in einer anderen Farbe. Von links nach rechts und von oben nach unten zeigen die Bilder die quadrupolare (orange), oktupolare (magenta), hexadekupolare (violett) und 32-polare (blau) Mode.
(Bild: N. Fischer, S. Ossokine, H. Pfeiffer, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), Simulating eXtreme Spacetimes (SXS) Collaboration)
Jedes dieser vier Bilder zeigt eine andere Mode (oder: einen anderen Oberton) des Gravitationswellensignals in einer anderen Farbe. Von links nach rechts und von oben nach unten zeigen die Bilder die quadrupolare (orange), oktupolare (magenta), hexadekupolare (violett) und 32-polare (blau) Mode.
(Bild: N. Fischer, S. Ossokine, H. Pfeiffer, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), Simulating eXtreme Spacetimes (SXS) Collaboration)

780 Millionen Lichtjahre in Richtung Sculptor
Die sehr unterschiedlichen Massen prägen sich in das ausgesandte Gravitationswellensignal ein, was wiederum den Forscher*innen ermöglicht, einige astrophysikalische Eigenschaften, wie z.B. die Entfernung zum System, genauer zu bestimmen.

Detaillierte Analysen der LIGO- und Virgo-Daten zeigen, dass die Verschmelzung in einer Entfernung von etwa 780 Millionen Lichtjahren von der Erde stattfand. Die Richtung zum Signalursprung konnte auf eine Fläche in Richtung des Sternbildes „Sculptor“ am Südhimmel eingegrenzt werden, die in etwa der von 90 Vollmonden entspricht.

Die Forscher*innen des AEI trugen sowohl zum Nachweis, als auch zur Analyse von GW190814 bei. Sie stellten genaue Modelle der Gravitationswellen von verschmelzenden Schwarzen Löchern bereit. Diese berücksichtigten erstmals die Präzession der Eigenrotationen der Schwarzen Löcher, Multipolmomente jenseits des dominanten Quadrupols sowie Gezeiteneffekte, die durch den möglichen Neutronenstern-Begleiter hervorgerufen werden. Diese in die Wellenform eingeprägten Merkmale sind entscheidend, um einzigartige Informationen über die Eigenschaften der Quelle zu gewinnen und Tests der Allgemeinen Relativitätstheorie durchzuführen. Die Hochleistungs-Computercluster „Minerva“ und „Hypatia“ am AEI Potsdam wurden zur Entwicklung der für die Untersuchungen verwendeten Wellenformmodelle eingesetzt.

Messung der Ausdehnung des Universums und Tests von Einsteins Theorie
Nachdem die Entfernung und die Himmelsposition genau bestimmt waren, nutzten die LIGO- und Virgo-Wissenschaftler*innen GW190814 (und ihre frühere Beobachtung einer Neutronenstern-Verschmelzung) dazu, mittels Gravitationswellen die Hubble-Konstante zu bestimmen. Diese beschreibt die Rate, mit der sich das Universum ausdehnt. Das Ergebnis ist genauer als frühere solche Messungen mit Hilfe von Gravitationswellen; es ist weniger genau als andere Messungen der Hubble-Konstante, aber in Übereinstimmung mit diesen.

LIGO- und Virgo-Wissenschaftler*innen verwendeten GW190814 auch dazu, um nach Abweichungen des Signals von den Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie zu suchen. Aber selbst dieses ungewöhnliche Signal, das eine neue Art von Verschmelzungsereignis darstellt, folgt den Vorhersagen der Theorie.

Ein verbessertes internationales Netzwerk von Detektoren mit gequetschtem Licht
Diese Entdeckung ist die dritte, die aus dem dritten Beobachtungslauf (O3) des internationalen Netzwerks der Gravitationswellen-Detektoren veröffentlicht wird. Die Wissenschaftler*innen an den drei großen Detektoren haben diese mehrfach technologisch aufgerüstet.

„Während O3 verwendeten wir gequetschtes Licht, um die Empfindlichkeit von LIGO und Virgo um 40% zu erhöhen. Wir haben diese Technik zur genauen Abstimmung der quantenmechanischen Eigenschaften des Laserlichts am deutsch-britischen Detektor GEO600 entwickelt“, erklärt Karsten Danzmann, Direktor am AEI Hannover und Direktor des Instituts für Gravitationsphysik an der Leibniz Universität Hannover. „Das AEI ist federführend bei den weltweiten Bemühungen, den Quetschgrad zu maximieren, und unsere Fortschritte in dieser Technologie werden allen zukünftigen Gravitationswellendetektoren zugute kommen.“

Mehr als 50 weitere Gravitationswellen-Kandidaten in O3
Die LIGO- und Virgo-Forscher*innen haben Beobachtungshinweise für 56 mögliche Gravitationswellen-Ereignisse (sogenannte Kandidaten) während O3, der vom 1. April 2019 bis zum 27. März 2020 dauerte, veröffentlicht. Bislang wurden drei Kandidaten bestätigt und publiziert. LIGO- und Virgo-Wissenschaftler*innen prüfen die verbleibenden 53 Kandidaten und werden all diejenigen veröffentlichen, für die detaillierte Folgeanalysen ihren astrophysikalischen Ursprung bestätigen.

LIGO-Scientific- und Virgo-Kollaborationen
LIGO wird von der National Science Foundation (NSF) finanziert und von Caltech und MIT betrieben, die LIGO konzipierten und das Projekt leiten. Finanzielle Unterstützung für das Advanced-LIGO-Projekt wurde hauptsächlich von der NSF geleistet, wobei Deutschland (Max-Planck-Gesellschaft), Großbritannien (Science and Technology Facilities Council) und Australien (Australian Research Council-OzGrav) signifikante Verpflichtungen eingingen und Beiträge zum Projekt leisteten. Rund 1.300 Wissenschaftler*innen aus der ganzen Welt sind durch die LIGO-Scientific-Kollaboration, zu der auch die GEO-Kollaboration gehört, an der Unternehmung beteiligt. Eine Liste weiterer Partner gibt es unter https://my.ligo.org/census.php.

Die Virgo-Kollaboration besteht aus rund 550 Mitgliedern aus 106 Instituten in 12 verschiedenen Ländern, darunter Belgien, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Italien, die Niederlande, Polen und Spanien. Das European Gravitational Observatory (EGO) ist die Dacheinrichtung des Virgo-Detektors nahe Pisa in Italien und wird vom Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) in Frankreich, dem Istituto Nazionale di Fisica Nucleare (INFN) in Italien und vom Nikhef in den Niederlanden finanziert. Eine Liste der Gruppen der Virgo-Kollaboration finden Sie unter https://www.virgo-gw.eu/about/scientific-collaboration/. Weitere Informationen finden Sie auf der Virgo-Website unter www.virgo-gw.eu.

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