Der Exoplanet Gliese 436b ist offenbar von einer ausgedehnten Atmosphäre umgeben, welche einen gigantischen Gasschweif aus Wasserstoff ausbildet.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESA, Hubble Space Telescope, Exoplanet.eu. Vertont von Peter Rittinger
Als Exoplaneten werden in der Astronomie Planeten bezeichnet, welche nicht dem Planetensystem der Sonne angehören, sondern die vielmehr fremde Sterne umkreisen. Seit der Entdeckung des ersten Exoplaneten am 5. Oktober 1995 gelang den Astronomen der Nachweis von bisher 1.932 Exoplaneten. Bei einem dieser Objekte handelt es sich um den Exoplaneten Gliese 436b.
Der Exoplanet Gliese 436b
Entdeckt wurde GJ 436b – so eine andere Bezeichnung für diesen Planeten – bereits im Jahr 2004 durch die US-amerikanischen Astronomen Geoffrey Marcy und Robert Paul Butler, welche hierfür die Radialgeschwindigkeitsmethode anwendeten. Nachfolgende Analysen ergaben, dass GJ 436b seinen in einer Entfernung von etwa 30 Lichtjahren zu unserem Sonnensystem im Sternbild Löwe (lat. „Leo“) befindlichen Zentralstern, den Roten Zwerg Gliese 436, in einem Abstand von lediglich etwa 4,3 Millionen Kilometern umläuft. Für eine vollständige Umrundung des Sterns benötigt der Exoplanet dabei eine Zeitspanne von zwei Tagen, 15 Stunden und 27 Minuten.
Des weiteren konnte mit dem Weltraumteleskop Spitzer im Rahmen eines Transitereignisses ermittelt werden, dass dieser Planet über einen Durchmesser von etwa 54.000 Kilometern verfügt. Seine Masse wird mit einem Wert angegeben, welcher 22 Erdmassen entspricht. Es dürfte sich bei diesem Planeten somit um einen Vertreter aus der Exoplaneten-Kategorie der „Hot Neptunes handeln.
Durch weitere Untersuchungen konnte in den vergangenen Jahren zudem ermittelt werden, dass Gliese 436b offenbar über große Mengen an Wasser verfügt, welches hoch über der Oberfläche des Planeten Wolken aus Wasserdampf bildet. Dagegen scheint in der Atmosphäre dieses Exoplaneten ein ausgeprägter Methanmangel zu herrschen (Raumfahrer.net berichtete jeweils).
Der Zentralstern des Exoplaneten Gliese 436b verfügt über 40 Prozent der Sonnenmasse und erreicht lediglich rund 2,5 Prozent der Leuchtkraft des Zentralgestirns unseres Sonnensystems. Aufgrund des geringen Abstands zu seinem Stern wird GJ 436b aber dennoch so stark aufgeheizt, dass in dessen Atmosphäre Temperaturen von mehr als 500 Grad Celsius erreicht werden.
Neue Untersuchungen
Die Tatsache, dass es sich bei Gliese 436b um einen Transitplaneten handelt, der von der Erde aus betrachtet regelmäßig vor seinem Zentralstern vorbeizieht und dabei das von dem Stern ausgehende Licht ‚abdimmt‘, erleichtert dessen weitere Untersuchung ungemein. Für eine entsprechende Untersuchung von Gliese 436b setzte ein von David Ehrenreich vom Observatoire de l’Université de Genève/Schweiz geleitetes Astronomenteam jetzt auch zum wiederholten Mal das Weltraumteleskop Hubble ein.
Für einen Vorbeizug vor seinem Stern benötigt der Exoplanet GJ 436b einen Zeitraum von etwa einer Stunde. Pünktlich zum Beginn und zum Ende dieses Transits sollten sich – so die Theorie – eigentlich scharf umrissene Veränderungen in der Helligkeit des Sterns registrieren lassen. Dies deckt sich auch mit den im Wellenlängenbereich des sichtbaren Lichts gewonnenen Messergebnissen, wo im Zeitraum des Transits ein deutlich abgegrenzter Helligkeitsabfall von 0,7 Prozent registriert wird.
Ein kometenartiger Schweif
Allerdings stellten die Astronomen bei der Auswertung der entsprechenden Daten des Hubble Space Telescopes fest, dass im Bereich des ultravioletten Lichtspektrums bereits etwa zwei Stunden vor dem Beginn des eigentlichen Planetentransits ein deutlich erkennbares Absinken der Helligkeit des Zentralsterns zu beobachten ist. Bis zum Höhepunkt der jeweiligen Verfinsterungen sinkt die Helligkeit des Sterns dann auf einen Wert von nur noch 44 Prozent des Normalwertes ab. Und auch nach dem Ende des Transits ist die Helligkeit von GJ 436 noch für mehr als drei Stunden deutlich messbar reduziert.
Zwecks der Erklärung dieses Phänomens schlagen die an den Untersuchungen beteiligten Wissenschaftler folgenden Lösungsansatz vor: Die von Wasserstoffgas dominierte Atmosphäre des Exoplaneten Gliese 436b wird durch die Strahlung des Zentralstern so weit aufgeheizt, dass ein Teil der Planetenatmosphäre in das umgebende Weltall entweicht und dort zunächst eine ausgedehnte Gashülle ausbildet, welche das von dem Stern ausgehende ultraviolette Licht zu einem Großteil absorbiert.
Der Zentralstern verfügt jedoch über zu schwache Sternwinde, um diese aus der Planetenatmosphäre entweichenden Gase vollständig ‚wegzublasen‘. Aufgrund der Bewegung des Planeten um seinen Stern nimmt ein Teil dieser ‚Wasserstoffwolke‘ dabei die Form eines Schweifs an und ‚folgt‘ dem Planeten auf dessen Umlaufbahn um den Stern.
Dieser Schweif verfügt dabei laut der Beobachtungsdaten des Hubble Space Telescopes über eine Länge, welche etwa dem 50fachen Durchmesser des Zentralsterns entspricht. Sehr entfernt erinnert dieses Szenario an das Aussehen eines Kometen, welcher in Sonnennähe über eine Koma und einen Schweif verfügt.
Aufgrund der Ausdehnung der Gashülle und der Länge des Schweifs vermuten die Astronomen um David Ehrenreich, dass der Exoplanet pro Sekunde rund 100 bis 1.000 Tonnen Wasserstoff an seine Umgebung abgibt. Dies ist eine im Vergleich zu der Gesamtmasse von GJ 436b allerdings immer noch äußerst geringe Menge. Selbst über einen Zeitraum von Milliarden von Jahren, so die an der Untersuchung beteiligten Wissenschaftler, würde dies nicht ausreichen, um die Atmosphäre des Exoplaneten signifikant auszudünnen.
„Diese Wolke aus Wasserdampf ist schon sehr spektakulär“, so David Ehrenreich. „Aber auch wenn die derzeitige Freisetzungsrate keine Gefahr für die Planetenatmosphäre darstellt, so wissen wir doch, dass der Stern in der Vergangenheit stärker aktiv war. Dies hatte zur Folge, dass die Atmosphäre des Planeten während der ersten Jahrmilliarden Jahre seines Bestehens schneller als gegenwärtig der Fall verdampft sein muss. Insgesamt schätzen wir, dass der Planet bisher lediglich etwa 10 Prozent seiner Atmosphäre verloren hat.“ Das Alter des Sternsystems Gliese 436 und des dort befindlichen Exoplaneten wird auf mindestens sechs Milliarden Jahre geschätzt.
Ähnliche Beobachtungen eines ‚kometenartigen‘ Schweifs in der Umgebung von Exoplaneten erfolgten bereits in der Vergangenheit bei weiteren vier Exoplaneten (Raumfahrer.net berichtete über die entsprechende Entdeckung bei dem Planeten HD 209458 b). Allerdings wurden diese Strukturen bisher nur in der Umgebung von Exoplaneten beobachtet, welche deutlich massereicher als der Planet Gliese 436b ausfallen. Zugleich wiesen diese bei den Planeten HD 209458b, WASP-12b, 55 Cancri b und HD 189733b nachgewiesenen Schweife deutlich geringere Ausdehnungen auf. All diese Nachweise erfolgten dabei bisher ausschließlich im Bereich des ultravioletten Spektralbereichs des Lichts.
Die hier kurz vorgestellten Ergebnisse der Arbeit von David Ehrenreich et al. wurden am 25. Juni 2015 unter dem Titel „A giant comet-like cloud of hydrogen escaping the warm Neptune-mass exoplanet GJ 436b“ in der Fachzeitschrift Nature publiziert.
Verwandte Meldungen bei Raumfahrer.net:
- Geheimnisvolle Exoplaneten (1. Januar 2014)
- Ein Exoplanet mit einem Kometenschweif (19. Juli 2010)
- Methandefizit bei Gliese 436b (26. April 2010)
- Exoplanet besteht überwiegend aus Wasser (17. Mai 2007)
- Zwei weitere Exoplaneten entdeckt (31. August 2004)
Diskutieren Sie mit im Raumcon-Forum:
Verwandte Seite bei Raumfahrer.net:
Fachartikel von David Ehrenreich et al.:
- A giant comet-like cloud of hydrogen escaping the warm Neptune-mass exoplanet GJ 436b (Publikation in Nature, engl.)