Vor etwa zweihundert Jahren könnte ein Komet den Planeten Neptun getroffen haben. Zu diesem Ergebnis gelangte ein Wissenschaftlerteam, welches die Verteilung von Kohlenmonoxid in der Atmosphäre des Gasplaneten untersucht hat. Für ihre Forschungsarbeit werteten die beteiligten Wissenschaftler die Messungen des Herschel-Weltraumteleskops aus, welches seit Mai 2009 in ungefähr 1,5 Millionen Kilometern Entfernung von der Erde um die Sonne kreist.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: MPS, MPE, Wikipedia.
Als im Juli 1994 der Komet Shoemaker-Levy 9 in die Atmosphäre des Jupiter einschlug, waren Wissenschaftler auf der ganzen Welt vorbereitet. Neben einer Vielzahl von erdgebundenen Teleskopen wurden für die Beobachtung dieses seltenen Ereignisses auch verschiedene Instrumente an Bord der Raumsonden Voyager 2, Ulysses und Galileo sowie das Hubble Space Telescope eingesetzt. Die damals aufgezeichneten Daten helfen den Wissenschaftlern in der Gegenwart, Kometeneinschläge bei den Gasplaneten unseres Sonnensystems aufzuspüren, welche deutlich länger zurückliegen. Die beim Impakt der insgesamt 21 Fragmente von Shoemaker-Levy 9 gesammelten Daten haben gezeigt, dass diese „staubigen Schneebälle“ Spuren in der Atmosphäre des Gasriesen hinterlassen haben – unter anderem in Form von Wasser, Kohlendioxid, Kohlenmonoxid, Blausäure und Kohlenstoffsulfid. Diese Moleküle lassen sich in der Infrarot- und Submillimeter-Strahlung, die der Planet ins All abstrahlt, detektieren.
Bereits seit dem Jahr 2006 untersucht das von der Japanischen Weltraumbehörde JAXA betriebene Weltraum-Infrarotteleskop AKARI das Weltall. Die primären wissenschaftlichen Ziele dieser Mission sind dabei die Erforschung der Galaxienentstehung im frühen Universum und der Entstehung von Sternen und Planeten in unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße. Unter anderem wurde im Rahmen dieser Untersuchungen auch der äußerste Planet unseres Sonnensystems, der Neptun, abgebildet. Diese Beobachtungen zeigten, dass Neptun im Vergleich zu den Gasplaneten Jupiter und Saturn über deutlich mehr schweren Wasserstoff (Deuterium) verfügt.
Ebenfalls im Rahmen dieser Messungen konnte nachgewiesen werden, dass die Atmosphäre des Planeten über einen auffällig hohen Wert an Kohlenmonoxid verfügt, welcher sich zudem anscheinend in der Stratosphäre konzentriert. Als Erklärung für diese ungewöhnliche Kohlenmonoxid-Konzentration wurden zwei Modelle in Betracht gezogen. Zum einen könnte ein ständiger Strom aus interplanetaren Staub die oberste Schicht der Neptunatmosphäre „verschmutzen“, welcher durch die Gravitationskraft des Planeten „angezogen“ wird. Die zweite Erklärung wäre der Eintritt eines Kometen in die Atmosphäre des Planeten.
Nachdem Forscher vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) im niedersächsischen Katlenburg-Lindau bereits anfang des Jahres Hinweise auf einen Kometeneinschlag vor etwa 220 Jahren auf dem Saturn publiziert haben, hier ein Link zu der entsprechenden Veröffentlichung (engl.), deuten jüngste Messungen des Weltraumobservatoriums Herschel jetzt darauf hin, dass einstmals auch Neptun von einem ähnlichen Ereignis betroffen war. Das für die Messungen eingesetzte Instrument, das Photodetector Array Camera and Spectrometer (PACS), wurde unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching entwickelt. PACS ermöglicht es den Forschern erstmals, auch die langwellige Infrarot-Strahlung, also die von Neptun ausgehende Wärmestrahlung, zu analysieren.
In der Atmosphäre des äußersten Planeten unseres Sonnensystems, die sich zum größten Teil aus Wasserstoff (rund 80 Prozent) und Helium (rund 19 Prozent) zusammensetzt, stießen die Wissenschaftler, darunter Mitarbeiter des französischen Observatoriums LESIA in Paris, vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) und vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE), dabei vor allem auf eine ungewöhnliche Verteilung von Kohlenmonoxid. In der oberen Atmosphärenschicht des Neptun, der Stratosphäre, fanden sie eine höhere Konzentration dieses Gases als in der darunter gelegenen Troposphäre.
„Die Anreicherung von Kohlenmonoxid in der Stratosphäre von Neptun ist nur mit einer externen Quelle zu erklären“, erläutert Paul Hartogh vom MPS und Leiter des Herschel-Forschungsprogramms „Wasser und verwandte Chemie im Sonnensystem“. Normalerweise, so Hartogh, sollten die Konzentrationen von Kohlenmonoxid in Troposphäre und Stratosphäre in etwa gleich ausfallen oder aber nach oben hin abnehmen.
Die einzige plausible Erklärung für die erhaltenen Messergebnisse, so die Wissenschaftler, ist der Eintritt eines Kometen in die Neptun-Atmosphäre. Bei diesem Impaktereignis brach der Komet auseinander. Das Kohlenmonoxid, welches zuvor noch im Eis des Kometenkerns gebunden war, verteilte sich anschließend im Laufe der Jahre von der Einschlagstelle ausgehend über die gesamte Stratosphäre des Planeten.
„Aus der Verteilung von Kohlenmonoxid können wir deshalb auch auf den ungefähren Zeitpunkt des Einschlags schließen“, so Thibault Cavalié vom MPS, ein weiterer der an der Auswertung der Daten beteiligten Wissenschaftler. Die frühere Vermutung, dass ein Komet vor etwa zweihundert Jahren mit Neptun kollidierte, ließ sich dabei durch die aktuellen Messungen des PACS-Instrumentes erhärten. Die andere Theorie, der zufolge ein ständiger Strom winziger Staubteilchen aus dem All die Atmosphäre des Gasriesen mit Kohlenmonoxid versorgt, ist dagegen nicht mehr mit den jüngst erhaltenen Messergebnissen zu vereinbaren.
Bei ihren Untersuchungen entdeckten die Wissenschaftler außerdem, dass die Stratosphäre des Neptun eine höhere Methan-Konzentration aufweist als bisher erwartet. Das Verhalten von Methan in der Neptunatmosphäre ist in etwa mit dem Verhalten von Wasserdampf in der Atmosphäre der Erde vergleichbar. Wie viel Wasserdampf aus der Troposphäre in die Stratosphäre der irdischen Atmosphäre aufsteigen kann, bestimmt die Temperatur der sogenannten Tropopause.
Diese Tropopause bezeichnet eine Grenzschicht innerhalb der Atmosphäre, welche Troposphäre und Stratosphäre voneinander trennt. Je wärmer diese Luftschicht ist, desto mehr Methan kann in die Stratosphäre vordringen. Doch während die Temperaturen in der Erd-Tropopause nie unter minus 80 Grad Celsius fallen, ist die Tropopause des Neptun mit im Mittel minus 219 Grad Celsius deutlich kälter.
Für die erhöhte Methankonzentration in der Stratosphäre des Neptun scheint dabei eine Lücke in der Kältebarriere der Tropopause verantwortlich zu sein. Am Südpol ist diese Luftschicht stellenweise mit minus 213 Grad Celsius um sechs Grad wärmer als in der sonstigen Atmosphäre, so dass dort ein Gasaustausch zwischen Troposphäre und Stratosphäre leichter möglich ist. Das Methan, dessen Ursprung die Wissenschaftler auf dem Planeten selbst vermuten, verteilt sich somit vom Südpol ausgehend nach und nach in der gesamten Stratosphäre.
Die hier kurz vorgestellten Ergebnisse der Neptun-Untersuchung wurden am 16. Juli 2010 in der Fachzeitschrift „Astronomy and Astrophysics“ veröffentlicht.
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Publikationen:
- Lellouch et al (First results of Herschel / PACS observations of Neptune)
- Fletcher et al (Neptune’s atmospheric composition from AKARI infrared spectroscopy)