Ein kometenartiger Plasmaschweif bei der Venus

Durch Messungen der Raumsonde Venus Express gelangen neue Einblicke in die Interaktion zwischen der Venusatmosphäre und dem Sonnenwind. Sobald dieser Strom aus geladenen Teilchen nahezu vollständig abreißt, dehnt sich die Ionosphäre der Venus aus und bildet einen kometenartigen Schweif. Möglicherweise können dabei sogar Partikel der Venusatmosphäre in Erdnähe gelangen.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, ESA.

ESA, MPS
Diese Aufnahme der Venus wurde von der Raumsonde Venus Express erstellt und zeigt den Terminator – die Übergangszone zwischen der Tag- und der Nachtseite des Planeten.
(Bild: ESA, MPS)

Bereits seit längerem ist bekannt, dass von der Sonne ein steter Strom aus Protonen und Elektronen ausgeht, welcher sich mit einer hohen Geschwindigkeit durch das Sonnensystem erstreckt und dabei mit den Atmosphären der Planeten interagiert. Allerdings verhält sich dieser Sonnenwind sowohl in Bezug auf seine Dichte als auch in Bezug auf seine Geschwindigkeit sehr variabel. Unter normalen Bedingungen erreicht der Sonnenwind im Bereich der Umlaufbahn der Erde eine Partikeldichte von etwa fünf geladenen Teilchen pro Kubikzentimeter. Gelegentlich reißt der Strom aus geladenen Teilchen jedoch auch fast vollständig ab.

Solche nur selten auftretenden Ereignisse wurden in der Nähe der Erde, welche von einem starken Magnetfeld umgeben ist, bereits mehrfach untersucht. Über die Auswirkungen eines schwachen Sonnenwindes auf die Atmosphären andere Planeten unseres Sonnensystems war dagegen bisher nur sehr wenig bekannt. Am 3. und 4. August 2010 bot sich den Wissenschaftlern jedoch die Gelegenheit, ein solches Phänomen bei der Venus zu studieren.

Nach mehreren heftigen Teilchenausbrüchen, sogenannten koronalen Masseauswürfen kam der von unserem Zentralgestirn ausgehende Sonnenwind für einen Zeitraum von etwa 18 Stunden fast vollständig zum Erliegen. Messungen der NASA-Raumsonde STEREO-B zeigten, dass die Teilchendichte im Bereich der Erdumlaufbahn dabei auf einen bemerkenswert niedrigen Wert von nur noch 0,1 geladenen Teilchen pro Kubikzentimeter abgesunken war. Dieser geringe Wert blieb anschließend über einen Zeitraum von etwa 24 Stunden konstant. Die Venus erreichten in diesem Zeitraum nur noch 0,2 Teilchen pro Kubikzentimeter. An normalen Tagen sind es dagegen etwa 25 bis 50 Mal so viele.

„Phasen mit solch schwachem Sonnenwind kommen selten aber immer wieder vor“, so Dr. Markus Fränz vom Max Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) im niedersächsischen Katlenburg-Lindau. „Allerdings war das Ereignis im August 2010 das erste dieser Art seit dem Start der Raumsonde Venus Express vor etwa sieben Jahren“, fügt er hinzu. Dank der stark elliptischen Umlaufbahn der von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebenen Raumsonde um die Venus bot sich den Wissenschaftlern dabei die Gelegenheit zu untersuchen, welche Prozesse ein nur schwach ausfallender Sonnenwind in der Atmosphäre unseres inneren Nachbarplaneten auslöst.

ESA, AOES Medialab
Eine künstlerische Darstellung der Raumsonde Venus Express.
(Bild: ESA, AOES Medialab)

Wie unser Heimatplanet ist auch die Venus von einer Hülle aus Elektronen und Ionen, einer so genannten Ionosphäre, umgeben, welche die Venus in 150 bis 300 Kilometern Höhe umgibt. Die Ionisation der Gasmoleküle in der Hochatmosphäre eines Planeten erfolgt, sobald von der Sonne ausgehendes extrem kurzwelliges ultraviolettes Licht und Röntgenstrahlung über der Tagseite des Planeten auf dessen äußerste Schichten der Atmosphäre treffen.

Auf der Erde hält ein starke Magnetfeld die Teilchen gefangen. Sie rotieren deshalb im Gleichtakt mit der Erde und deren Magnetfeld um die Erdachse und erreichen so auch die Nachtseite. Auf diese Weise entsteht eine Hülle aus geladenen Teilchen, einem so genannten Plasma, welche die Erde vollständig umschließt.

„Auf der Venus ist dies völlig anders“, so Dr. Yong Wei vom MPS und Erstautor einer neuen Studie, welche im Dezember 2012 in der Fachzeitschrift „Planetary and Space Science“ publiziert wurde. „Unserem Schwesterplaneten fehlt nicht nur das eigene Magnetfeld. Auch die Drehung um die eigene Achse vollzieht sich hier deutlich langsamer.“ Immerhin benötigt die Venus für eine vollständige Drehung um die Rotationsachse fast 225 irdische Tage.

Dennoch lässt sich auch auf der Nachtseite der Venus eine Ionosphäre beobachten. „Messungen älterer Sonde hatten gezeigt, dass Elektronen und Ionen – im Fall der Venus hauptsächlich Sauerstoff-Ionen – von der Tag- zur Nachtseite strömen,“ so Dr. Markus Fränz. Der Antriebsmotor für diese Bewegung ist der hohe Plasmadruck, welcher auf der Tagseite der Venus vorherrscht. Ähnlich wie ein komprimiertes Gas, das aus einer Druckflasche entweicht, strömt das Plasma aus dem Gebiet mit hohem Druck in ein Gebiet mit geringerem Druck.

ESA, Wei et al 2012
Links: Unter normalen Bedingungen ist die Venus von einer Ionosphäre umgeben, welche sich in 150 bis 300 Kilometern Höhe konzentriert. Die induzierten Magnetfelder, angedeutet durch die gelben Linien, halten sie dort fest. Rechts: Bei einem sehr schwach ausfallenden Sonnenwind kann sich die Ionosphäre der Venus jedoch ausdehnen. An der Nachtseite entsteht dadurch eine Art Plasmaschweif.
(Bild: ESA, Wei et al 2012)

Mit Hilfe der beiden Instrumente MAG, einem Magnetometer zur Analyse des Magnetfeldes der Venus, und ASPERA-4 (kurz für „Analyzer of Space Plasmas and Energetic Atoms“, unter anderem einsetzbar für die Untersuchung des Einflusses des Sonnenwindes auf die Venusatmosphäre) an Bord der Raumsonde Venus Express konnten die Planetenforscher nun eine genauere Vorstellung über diese Vorgänge erlangen.

Im Rahmen ihrer Datenauswertungen zeigte sich, dass bei fehlendem Sonnenwind die Ionosphäre der Venus nicht magnetisiert wird. Unter normalen Bedingungen binden diese induzierten Magnetfelder die geladenen Teilchen der Ionosphäre in unmittelbarer Planetennähe. Bei schwachem Sonnenwind hingegen, kann sich die Ionosphäre innerhalb der Übergangsregion zwischen der Tag- und der Nachtseite ausdehnen.

„Die geladenen Teilchen können so einfacher und deshalb in größerer Zahl zur Nachtseite gelangen“, so Dr. Markus Fränz. Auf diese Weise bildet sich dort anschließend eine Art Plasmaballon, welcher sich schweifartig ins Weltall erstreckt. Die gesamte Venus-Ionosphäre erhält so eine tropfenförmige Gestalt, welche entfernt an einen Kometen erinnert. Die Messungen von Venus Express belegen, dass sich der Plasmaschweif bei dem beobachteten Ereignis innerhalb eines Zeitraumes von wenigen Stunden bis zu einer Distanz von etwa 15.000 Kilometern in den Weltraum ausdehnte.

„Er könnte aber auch deutlich länger sein und sich möglicherweise sogar über Millionen von Kilometern erstrecken“, so Dr. Yong Wei. Während der Messungen führte die vorgesehene Flugbahn Venus Express leider nicht direkt hinter die Venus, so dass sich diese Frage nicht abschließend beantworten lässt.

Ebenfalls unklar ist derzeit noch, ob sich die Ionosphäre der Venus auf diese Weise prinzipiell sogar bis zur Erde ausdehnen könnte. Im Jahr 1996 konnten Wissenschaftler des Max Planck-Instituts für Sonnensystemforschung durch die Auswertung von Messdaten des Weltraumteleskops SOHO Venusplasma in Erdnähe nachweisen. Möglicherweise bietet der Mechanismus, den die Wissenschaftler um Dr. Yong Wei jetzt beschrieben haben, eine Erklärung für solche Ereignisse.

„Vielleicht bieten Phasen extrem schwachen Sonnenwinds planetaren Teilchen die Möglichkeit, von den sonnennahen Planeten zu weiter außen gelegenen zu wandern“, so Dr. Yong Wei.

Die von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebene und mit sieben wissenschaftlichen Instrumenten ausgestattete Raumsonde Venus Express wurde am 9. November 2005 an Bord einer Sojus-FG/Fregat-Rakete vom kasachischen Weltraumbahnhof Baikonur gestartet. Nach einer Flugdauer von 153 Tagen trat die Raumsonde am 11. April 2006 in den Venusorbit ein. Nach dem derzeitigen Stand soll Venus Express die Erkundung unseres Nachbarplaneten noch bis zum 31. Dezember 2014 fortsetzen.

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