Einer der vielen Kandidaten für Dunkle Materie ist vor Kurzem wieder stärker in den Fokus der Wissenschaft gelangt, die so genannte ultra-leichte Dunkle Materie. Wissenschaftler am MPA haben nun in einem Überblick den aktuellen Status dieser Modelle und die Suche nach beobachtbaren Merkmalen vorgestellt, sowie eine neue Einteilung von ultra-leichter Dunkler Materie in drei verschiedene Klassen eingeführt. Eine Information des Max-Planck-Instituts für Astrophysik (MPA).
Quelle: Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA).
Die reiche Phänomenologie des führenden Dunkle-Materie-Kandidaten könnte bei der Beantwortung der großen Frage helfen: Was ist Dunkle Materie wirklich?
Die Natur der Dunklen Materie ist eines der größten Rätsel der Physik. Dieser unsichtbare Bestandteil des Universums ist verantwortlich für die großen Strukturen, die wir im Universum beobachten. Die Existenz Dunkler Materie wurde durch Beobachtungen auf verschiedenen Skalen nachgewiesen, von Galaxien über Galaxienhaufen bis hin zur großräumigen Struktur unseres Universums. Aus verschiedenen astrophysikalischen Messungen kann man ihre Eigenschaften ableiten: Um Strukturen bilden zu können, muss sie zusammenklumpen, sie wechselwirkt nicht (oder nur sehr schwach) mit sichtbarer Materie und sie dominiert den Materiegehalt des Universums, da sie etwa 85% der gesamten Materie ausmacht. Im Standardmodell der Kosmologie wird sie dann als „kalte Dunkle Materie“ (CDM) bezeichnet.
Bisher wurde die Dunkle Materie (DM) nur durch ihre gravitative Wechselwirkung mit der sichtbaren Materie im Universum erforscht. Es gibt keinen direkten oder indirekten Beweis für ein Teilchen, das die Dunkle Materie sein könnte. Das Rätsel ihrer Natur ist daher eine der wichtigsten Fragen der modernen Physik. Zur Erklärung der Natur der Dunklen Materie wurde eine Vielzahl von Modellen erdacht, die von neuen Elementarteilchen bis hin zu großen astrophysikalischen Objekten wie Schwarzen Löchern reichen (siehe Abb. 1). In den letzten Jahren hat sich eine neue und attraktive Klasse von alternativen Modellen der Dunklen Materie als führender Kandidat herauskristallisiert, die ULDM-Modelle (Ultra Light Dark Matter). Diese Klasse besteht aus den leichtesten Teilchen, die die Beobachtungen der Dunklen Materie erklären könnten, mit Massen, die um viele Größenordnungen leichter sind als die Masse des Elektrons.
Solche leichten Teilchen zeigen ein sehr interessantes Verhalten: Sie verhalten sich wie eine Welle, deren charakteristische Wellenlänge umgekehrt proportional zur ULDM-Masse ist. Das bedeutet, dass in dem Massenbereich, in dem ULDM als Dunkle Materie in Frage kommt, diese charakteristische Länge ähnlich der Größe von Galaxien ist. Innerhalb von Galaxien manifestiert sich damit die Wellennatur dieses DM-Kandidaten; die Galaxie ist „unscharf“ und weist eine Dynamik auf, die von der Standard-CDM abweicht. Am Rande und außerhalb von Galaxien, also bei größeren Entfernungen, kann ULDM aber effektiv als Teilchen behandelt werden, so dass die Beobachtungserfolge der CDM bestehen bleiben.
Die Wellennatur der ULDM auf kleinen Skalen kann zu vielen Auswirkungen auf Beobachtungen führen. Auf galaktischen Skalen interferieren und überlagern sich die ULDM-Wellen und bilden eine kollektive makroskopische Welle innerhalb der Galaxie. Der von der ULDM ausgeübte Druck verhindert in diesem Regime, dass die Dunkle Materie im Inneren von Galaxien klumpt. Stattdessen bildet sie einen Kern (Abb. 2). Diese weniger dichten Galaxien mit Kern werden in der Tat durch Beobachtungen bevorzugt. Der Druck auf kleinen Skalen wirkt sich auch auf die Strukturbildung in unserem Universum aus, da er der Verklumpung entgegenwirkt und die Bildung von Strukturen auf diesen Skalen unterdrückt. Dies führt zu einem Universum, in dem keine kleinen DM-Halos vorhanden sind – ein deutlicher Unterschied zu dem, was von CDM erwartet wird.
Die Wellennatur der ULDM-Modelle könnte auch zu interessanten wellenartigen Phänomenen wie Interferenzen führen. Dieses Muster hat sich bereits in Simulationen gezeigt und würde, wenn man es tatsächlich messen könnte, einen schlagenden Beweis für die ULDM-Modelle darstellen. Im Inneren von Galaxien, wo diese Überlagerung der ULDM-Wellen stattfindet, bildet die ULDM ein Bose-Einstein-Kondensat (BEC) oder Superfluid. Dies sind einige der erstaunlichsten Phänomene der Quantenmechanik, bereits gut bekannt und im Labor untersucht. Ein Bose-Einstein-Kondensat bildet sich, wenn sich ein Gas aus leichten Teilchen im thermischen Gleichgewicht befindet und auf Temperaturen abkühlt, bei denen alle Teilchen die niedrigste mögliche Energie haben. In diesem Regime verhalten sich die Wellen dann nicht wie einzelne Wellen, sondern überlappen und erzeugen eine einzige makroskopische Welle, die das System nun beschreibt – die Teilchen verhalten sich als Kollektiv. Und genau das passiert mit ULDM im Inneren von Galaxien.
Das Vorhandensein dieses in Galaxien gebildeten Kondensatkerns ist eine Vorhersage dieser Klasse von Modellen. Die ULDM kann in drei Klassen eingeteilt werden, je nach den Eigenschaften der Kerne und der Strukturen, die sie im Inneren von Galaxien bilden, sowie den daraus resultierenden Folgerungen für Beobachtungen. Das einfachste dieser Modelle ist die „unscharfe“ Dunkle Materie (Fuzzy Dark Matter) mit einem sehr leichten ULDM-Teilchen, das nur durch die Schwerkraft beeinflusst wird. Zu dieser Klasse von Modellen gehört das berühmte Axion, ein neues Elementarteilchen, das zur Lösung anderer Probleme in der Teilchenphysik postuliert wird, sich aber auch wie Dunkle Materie verhalten kann. Die zweite Klasse ist die selbstwechselwirkende Fuzzy-Dark-Matter, mit einem gewissen Grad an Wechselwirkung zwischen den ULDM-Teilchen. Die dritte Klasse ist die suprafluide Dunkle Materie, ein Modell, bei dem die ULDM im Inneren von Galaxien zu einem Suprafluid kondensiert. Diese Modellklasse weist auf kleinen Skalen eine ganz andere Dynamik auf und reproduziert das empirische Verhalten modifizierter Gravitationstheorien, die für sich in Anspruch nehmen genauer zu erklären, wie Galaxien rotieren, als die klassischen Gesetze nach Newton. Jedes dieser Modelle weist unterschiedliche Eigenschaften auf und führt zu unterschiedlichen Beobachtungseffekten, die durch aktuelle und zukünftige kosmologische und astrophysikalische Messungen untersucht werden können.
Die am meisten getestete und bekannteste Klasse von Modellen ist das Fuzzy-Dark-Matter-Modell. Nutzt man die Effekte, die dieses Modell auf die Dynamik und Struktur von Galaxien und anderen astrophysikalische Beobachtungsobjekten hat, so konnte in den letzten Jahren eine Vielzahl von klein- und groß-skaligen Beobachtungen der Masse dieser Klasse von Dunklen-Materie-Teilchen strenge Grenzen setzen (Abb. 3). Während die bevorzugte Masse für die Fuzzy-Dark-Matter durch die derzeitigen Beobachtungen nahezu ausgeschlossen ist, könnte dieses Teilchen immer noch schwerer sein als zunächst angenommen. Dies würde einen Kandidaten für Dunkle Materie ergeben, der sich eher wie CDM verhält. Diese Grenzen müssen noch bestätigt werden, aber die Analyse lässt bereits erahnen, dass aufregende Zeiten vor uns liegen: wenn Effekte auf so kleinen Skalen untersucht werden können, dass damit Fragen über die Natur der Dunklen Materie beantwortet werden können. Darüber hinaus sind die anderen Klassen der ULDM-Modelle nahezu uneingeschränkt. Dies bietet weitere Möglichkeiten, die Eignung dieser Modelle zur Beschreibung der Dunklen Materie zu erforschen.
Originalveröffentlichung
Elisa G.M. Ferreira: Ultra-Light Dark Matter
Invited review to The Astronomy and Astrophysics Review.
https://arxiv.org/abs/2005.03254
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