Dunkle Materie bildet ein Geister-Universum

Dunkle Materie macht 25 Prozent der Materie des Universums aus. Bis heute ist unbekannt woraus sie besteht, doch Astrophysiker der Universität von Berkeley berechneten nun, wie sie das All ausfüllt. So dürften sie in vielen Gruppen im Universum verteilt sein, die ständig in Bewegung sind, vergleichbar mit tanzenden Staubteilchen in einem Lichtkegel.

Autor: Raumfahrer.net Redaktion

Sichtbare Materie wie Galaxien machen den kleinsten Teil des Universums aus. Die Zahlen dieser Grafik beziehen sich auf einen älteren Forschungsstand dieses Artikels: Die Rolle der dunklen Energie ist vermutlich noch größer als hier dargestellt.
(Bild: NASA)

In einem Dokument, das diese Woche im Physical Review D erschienen ist, konnten Chung-Pei Ma, eine Astronomie-Professorin der kalifornischen Universität Berkeley und Edmund Bertschinger vom Massachusetts Institute für Technology (MIT) beweisen, dass die Bewegung dieser Gruppen ähnlich betrachtet werden kann wie die Brown’sche Bewegung von in der Luft schwebendem Pollen oder Staub. Ihre Entdeckung sollte Astrophysikern eine neue Möglichkeit geben, die Entwicklung dieses Geister-Universums der dunklen Materie zu erforschen.

Dunkle Materie ist seit nunmehr über 30 Jahren ein grundlegendes Problem der Astronomie. Sterne innerhalb von Galaxien und Galaxien innerhalb der Galaxiecluster bewegen sich auf eine Art, die darauf hindeutet, dass dort mehr Materie vorhanden ist, als wir sehen können. Diese nicht sichtbare Materie scheint sich in einem kugelförmigen Halo zu befinden, der sich zehn Mal weiter erstreckt als der sichtbare stellare Halo um Galaxien. Frühere Vorschläge, dass sich die unsichtbare Materie aus ausgebrannten Sternen oder schweren Neutrinos zusammensetzt, wurden noch nicht aufgegeben. Die derzeit heißesten Kandidaten für dunkle Materie sind verschiedene exotische Partikel wie Neutralinos, Axionen oder andere hypothetische supersymmetrische Teilchen. Weil diese exotischen Teilchen mit gewöhnlicher Materie nur über die Gravitation wechselwirken und eben keine elektromagnetischen Wellen austauschen, emittieren sie auch kein Licht.

„Nur die Hälfte aller Partikel können wir sehen“, erklärt Ma. „Sie sind zu schwer, um sie in aktuellen Teilchenbeschleunigern herzustellen. Deshalb wissen wir nichts über die andere Hälfte des Universums.“
Dieses Weltbild wurde vor vier Jahren getrübt, als die sogenannte „dunkle Energie“ entdeckt wurde, von der scheinbar mehr existierte als von der dunklen Materie. Heute geht man davon aus, dass die dunkle Energie 69 Prozent des Universums ausmacht, exotische dunkle Materie 27 Prozent, normale „dunkle Materie“ – eher dunkle und nicht sichtbare Sterne – drei Prozent und das, was wir sehen können, umfasst nur ein Prozent des Universums.

Die Materie des Universums: Normale Objekte wie Sterne, Planeten und Nebel machen nur einen verschwindend geringen Anteil aus.
(Bild: NASA/Hubble)

Basierend auf Computermodellen von dunkler Materie, die sich unter dem Einfluss der Gravitation durch den Raum bewegt, ist Ma der Ansicht, dass dunkle Materie kein einheitlicher Nebel ist, der Galaxiehaufen umhüllt. Vielmehr formt die dunkle Materie kleinere Gruppen, die oberflächlich betrachtet wie die Galaxien und globalen Galaxiehaufen in unserem sichtbaren Universum aussehen. Die dunkle Materie ist dynamisch und unabhängig von gewöhnlicher Materie, wie sie sagt.
„Der kosmische Mikrowellenhintergrund zeigt uns, wie im frühen Universum die Anhäufung der dunklen Materie stattfand, und wie diese Haufen wegen ihrer Schwerkraft langsam anwuchsen“, sagt Ma. „Man dachte jedoch, dass jeder der Haufen, ebenso der Halo rund um Galaxienhaufen, eben und glatt wäre. Doch wie hochauflösende Simulationen uns zeigen, sind diese nicht eben, sondern besitzen eine verwickelte, komplizierte innere Struktur.

Ma, Bertschinger und Michael Boylan-Kolchin, Student an der Universität von Berkeley in Kalifornien, führten selbst einige dieser Simulationen durch. In den letzten zwei Jahren konnten viele andere Forschergruppen ähnliche Gruppierungen aufzeigen. Das Geister-Universum der dunklen Materie ist eine Vorlage für das sichtbare Universum, erzählt Ma. Dunkle Materie ist 25 mal mehr vorhanden als normale sichtbare Materie, so dass die sichtbare Materie sich da ansammeln sollte, wo auch die dunkle Materie vorhanden ist. Darin liegt das Problem, erklärt Ma. Computersimulationen von der Entwicklung dunkler Materie sagen vorher, dass in einer Region viel mehr dunkle als leuchtende Materie zu sehen sein muss. Wenn gewöhnliche Materie der dunklen Materie folgt, sollte es eine etwa gleich große Anzahl beider Arten in einer Raumregion geben.

„Unsere Galaxie, die Milchstraße, hat über ein Dutzend Satelliten aus dunkler Materie, aber in Simulationen sehen wir tausende Satelliten“, sagt sie. „Dunkle Materie in der Milchstraße stellt eine dynamische, lebhafte Umgebung dar, in der tausende kleinere Dunkle Materie-Gruppen um einen großen, Dunkle-Materie-Halo herumschwirren und permanent miteinander wechselwirken und sich gegenseitig stören.“

Außerdem waren Astrophysiker, die die Bewegung dunkler Materie modellierten, verwirrt darüber, dass jede Gruppe eine Dichte hat, die zum Zentrum hin zu- und zu jeder Kante hin in der exakt selben Weise abnimmt, abhängig von ihrer Größe. Dieses universelle Dichteprofil scheint auch in Konflikt mit der Beobachtung einiger Zwerggalaxien zu stehen, die einige Kollegen Mas, Astronomie-Professor Leo Blitz und seine Forschungsgruppe, durchführten.

Ma hofft, dass ein neuer Ansatz, die Bewegung von dunkler Materie zu beobachten, diese Probleme lösen und Theorie und Beobachtung zur Übereinstimmung bringen wird. In ihrem Physical Review-Artikel, der Anfang des Jahres von der American Physical Society diskutiert wurde, bewiesen sie, dass die Bewegung von dunkler Materie fast analog zur Brown’schen Bewegung ist, die der Botanist Robert Brown 1828 beschrieb und von Albert Einstein erstmalig 1905 in einem Artikel erklärt wurde, für den er 1921 den Nobelpreis für Physik erhielt.

Die Brown’sche Bewegung wurde zuerst als Zickzack-Pfad im Wasser schwimmender Samenkörner und Blütenstaub beschrieben, die mit den Wassermolekülen kollidieren. Das Phänomen ist gleich der Bewegung von Staub in der Luft und der dichter Gruppen dunkler Materie im Weltraum, sagt Ma.
Dieser Einblick „lässt uns eine andere Sprache benutzen und die Problematik von einem anderen Standpunkt aus betrachten“, um die Bewegung und die Entwicklung von dunkler Materie zu untersuchen, kommentiert sie diese Entdeckung.

Andere Astronomen, wie der Professor Ivan King, auch von der Universität Berkeley, nutzten die Theorie Browns dazu, um die Bewegung von Hunderten und Tausenden von Sternen innerhalb von Sterneclustern zu modellieren. Dies jedoch, wie Ma sagt, „ist das erste Mal, dass sie konsequent auf große, kosmische Maßstäbe übertragen wurde. Die Idee ist, dass wir zwar nicht genau wissen, wo sich die dunklen Materiehaufen befinden, aber dafür, wo sie sich statistisch gesehen aufgrund der Gravitation im System aufhalten müssen.“

Ma erkannte, dass die Brown’sche Bewegung der Haufen durch eine Gleichung bestimmt wird, nämlich die Fokker-Planck-Gleichung. Diese wird eigentlich benutzt, um stochastische oder zufällige Prozesse zu beschreiben, unter anderem auch den Aktienmarkt. Ma und ihre Mitarbeiter arbeiten zur Zeit daran, diese Gleichung für kosmologische dunkle Materie zu lösen.
„Es ist überraschend und wunderbar, dass die Entwicklung dunkler Materie, die Bildung von Gruppen, einer einfachen, 90 Jahre alten Gleichung gehorcht“, sagt sie. Die Arbeit wurde unterstützt von der National Aeronautics and Space Administration (NASA).

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