Doppelstern als kosmischer Teilchenbeschleuniger

Spezialteleskop weist erstmals sehr energiereiche Gammastrahlung von Eta Carinae nach. Eine Pressemeldung des Deutschen Elektronen-Synchrotrons DESY – ein Forschungszentrum der Helmholtz-Gemeinschaft.

Quelle: DESY.

Juli 2020 – Mit einem Spezialteleskop in Namibia hat ein DESY-geführtes Forscherteam einen besonderen Doppelstern als neue Quelle für sehr energiereiche kosmische Gammastrahlung nachgewiesen: Eta Carinae liegt 7500 Lichtjahre entfernt im Sternbild Schiffskiel (Carina) am Südhimmel und erzeugt den Messungen zufolge Gammastrahlung bis zu einer Energie von 400 Gigaelektronenvolt (GeV) – rund 100 Milliarden Mal mehr als die Energie von sichtbarem Licht. Das Team um Stefan Ohm, Eva Leser und Matthias Füßling von DESY stellt seine Beobachtungen am Gammastrahlenobservatorium High Energy Stereoscopic System (H.E.S.S.) im Fachblatt „Astronomy & Astrophysics“ vor. Eine begleitend erstellte Multimedia-Animation erklärt das Phänomen. „Mit solchen Visualisierungen möchten wir die Faszination der Forschung erlebbar machen“, betont DESYs Direktor für Astroteilchenphysik, Christian Stegmann.

In der Schockregion, in der die überschallschnellen Sternwinde der beiden Sonnen aufeinandertreffen, werden subatomare Teilchen so stark beschleunigt, dass sie sehr energiereiche Gammastrahlung erzeugen.
(Künstlerische Darstellung: DESY, Science Communication Lab)

Eta Carinae ist ein Binärsystem der Superlative. Es besteht aus zwei blauen Riesensonnen: Die eine hat die rund hundertfache Masse unserer Sonne, die andere etwa die 30-fache. Beide umkreisen sich alle 5,5 Jahre auf stark elliptischen Bahnen. Ihr Abstand schwankt dabei in etwa zwischen der Entfernung von Sonne zu Mars und Sonne zu Uranus. Beide Riesensterne schleudern dichte, überschallschnelle Sternwinde aus geladenen Teilchen ins All. Der größere der beiden verliert dabei in nur rund 5000 Jahren soviel Masse, wie unsere Sonne insgesamt besitzt. Der kleinere treibt einen schnellen Sternenwind mit etwa elf Millionen Kilometern pro Stunde (rund ein Prozent der Lichtgeschwindigkeit) an.

Dort, wo die beiden Sternwinde aufeinandertreffen, entsteht eine gewaltige Schockfront, in der das Windmaterial extrem aufgeheizt wird. Bei rund 50 Millionen Grad Celsius leuchtet es hell im Röntgenlicht. Für die Emission von Gammastrahlung sind die Windteilchen allerdings nicht heiß genug. „Derartige Schockregionen sind jedoch typische Orte für die Beschleunigung subatomarer Teilchen durch die starken elektromagnetischen Felder, die dort herrschen“, erläutert Ohm, Leiter der H.E.S.S.-Gruppe bei DESY. Solche stark beschleunigten Teilchen können auch Gammastrahlung aussenden. Tatsächlich haben die Satelliten „Fermi“ der US-Raumfahrtbehörde NASA und „Agile“ der italienischen Raumfahrtagentur ASI bereits 2009 energiereiche Gammastrahlung bis etwa 10 GeV von Eta Carinae nachgewiesen.

Energiereicher Teilchenhagel
„Für die Produktion dieser Gammastrahlung gibt es verschiedene Modelle“, berichtet Füßling. „Sie kann von stark beschleunigten Elektronen stammen oder von energiereichen Atomkernen.“ Welches von beiden Szenarien zutrifft, ist von entscheidender Bedeutung: Energiereiche Atomkerne stellen die Hauptkomponente der sogenannten Kosmischen Strahlung, die permanent von allen Seiten auf die Erde einprasselt. Obwohl die Kosmische Strahlung bereits vor mehr als 100 Jahren entdeckt wurde, sind die Quellen der energiereichen Atomkerne trotz intensiver Forschung noch immer nicht erschöpfend bekannt. Da sie elektrisch geladen sind, werden die Atomkerne auf ihrem Weg durch das Universum von kosmischen Magnetfeldern abgelenkt. Ihre Ankunftsrichtung auf der Erde weist daher nicht mehr zu ihrem Ursprung zurück. Kosmische Gammastrahlung hingegen wird nicht abgelenkt. Wenn sich also nachweisen lässt, dass die Gammastrahlung von energiereichen Atomkernen stammt, wäre damit auch einer der gesuchten Beschleuniger der Kosmischen Teilchenstrahlung gefunden.

Die sehr energiereiche (VHE) Gammastrahlung ließ sich mit H.E.S.S. rund um den Zeitpunkt der nächsten Begegnung der beiden Riesensterne nachweisen.
(Künstlerische Darstellung: DESY, Science Communication Lab)

„Bei Eta Carinae haben es Elektronen besonders schwer, auf sehr hohe Energien beschleunigt zu werden, da sie während ihrer Beschleunigung gleichzeitig in Magnetfeldern abgelenkt werden und so wieder Energie verlieren“, sagt Leser. „Oberhalb von 100 GeV beginnt der Bereich der sehr hochenergetischen Gammastrahlung, die sich nur noch schwer durch Elektronenbeschleunigung erklären lässt.“ Rund um die jüngste Begegnung der beiden Riesensterne konnte H.E.S.S. nun Gammastrahlung bis zu einer Energie von 400 GeV nachweisen. Der Doppelstern ist damit das erste bekannte Beispiel für eine Quelle, bei der sehr energiereiche („very high energy“; VHE) Gammastrahlung durch kollidierende Sternwinde erzeugt wird.

„Die Analyse der von H.E.S.S. und den Satelliten gemessenen Gammastrahlung zeigt, dass sie sich am besten als Produkt hochbeschleunigter Atomkerne deuten lässt“, betont DESY-Doktorand Ruslan Konno, der zusammen mit Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg eine begleitende Studie veröffentlicht hat. „Damit wären die Schockregionen kollidierender Sternwinde auch ein neuer Typ natürlicher Teilchenbeschleuniger für die Kosmische Strahlung.“ Mit H.E.S.S., benannt nach dem Entdecker der Kosmischen Strahlung, Victor Franz Hess, und insbesondere mit dem Cherenkov Telescope Array (CTA), dem im chilenischen Hochland entstehenden Gammastrahlenobservatorium der nächsten Generation, hoffen die Forscherinnen und Forscher, dieses Phänomen genauer erforschen und weitere derartige Quellen entdecken zu können.

Kosmischer Roadtrip
Dank intensiver Beobachtungen von Eta Carinae in allen Wellenlängenbereichen lassen sich die Eigenschaften der Sterne, ihrer Umlaufbahn sowie der Sternwinde verhältnismäßig gut ableiten. So können sich Astrophysiker ein besseres Bild des Doppelsternsystems und seiner Geschichte machen. Um die neuen Beobachtung von Eta Carinae zu veranschaulichen, haben die DESY-Astrophysiker gemeinsam mit den Animations-Spezialisten des preisgekrönten Science Communication Lab eine Videoanimation produziert. Die computergenerierten Bilder sind nahe an der Realität, weil dafür die gemessenen Bahn-, Stern- und Windparameter verwendet wurden. Der international gefeierte Multimedia-Künstler Carsten Nicolai, der für seine musikalischen Werke das Pseudonym Alva Noto benutzt, kreierte eigens den Sound zur Animation.

„Wissenschaft und wissenschaftliche Forschung finde ich extrem wichtig“, sagt Nicolai, der in der kreativen Arbeit von Künstlern und Wissenschaftlern enge Parallelen sieht. Der Reiz dieser Arbeit lag für ihn auch in der künstlerischen Vermittlung von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen: „Mir gefällt besonders gut, dass es kein Film-Soundtrack ist, sondern einen echten Bezug zur Realität hat“, betont der Musiker und Künstler. Gemeinsam mit dem exklusiv komponierten Sound ist aus dieser besonderen Kooperation zwischen Wissenschaftlern, Animationskünstlern und Musiker ein multimediales Werk entstanden, das Zuschauerinnen und Zuschauer auf eine außergewöhnliche Reise zu einem etwa 7500 Lichtjahre entfernten Doppelstern der Superlative mitnimmt.

Originalveröffentlichung:
Detection of very-high-energy γ-ray emission from the colliding wind binary η Car with H.E.S.S.; H.E.S.S. Collaboration (for DESY: Matthias Füßling, Eva Leser, Stefan Ohm); „Astronomy & Astrophysics“, 2020; DOI: 10.1051/0004-6361/201936761

Begleitveröffentlichung:
Gamma-ray and X-ray constraints on non-thermal processes in η Carinae; R. White, M.Breuhaus, R. Konno, S. Ohm, B. Reville, and J.A. Hinton; Astronomy & Astrophysics“, 2020; DOI: 10.1051/0004-6361/201937031

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