Doch keine Dunkle Energie?

Neue Messungen des ESA Satelliten XMM-Newton lassen Interpretationen zu, die der Existenz von so genannter Dunkler Energie, einem maßgeblichen Bestandteil gegenwärtiger Modelle des Universums, widersprechen.

Ein Beitrag von michaelaye. Quelle: ESA.

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Das verschwommen Objekt im Zentrum dieses Bildes ist ein sieben Milliarden Lichtjahre entfernter Galaxienhaufen namens RXJ0847.2+3449.

Er wurde von XMM-Newton über seine emittierte Röntgenstrahlung zu einer Zeit beobachtet, als das Universum ungefähr die Hälfte seines jetzigen Alters hatte.
(Quelle: ESA)

Neue Daten des Röntgensatelliten XMM-Newtonder Europäischen Raumfahrtbehörde ESA lassen aufregende Deutungsmöglichkeiten zu.
Bei einer Beobachtung von weit entfernten Galaxienhaufen hat XMM-Newton rätselhafte Unterschiede zwischen heutigen, nahen Galaxienhaufen und denjenigen in sieben Milliarden Lichtjahren Entfernung, und damit viel älteren, festgestellt.

Das Aufregende daran ist, dass einige Wissenschaftler behaupten, diese Unterschiede könnten auf eine Weise interpretiert werden, die die Existenz der sogenannten Dunklen Energie in Frage stellen würde.

Die meisten Astronomen heutzutage aber glauben, dass diese Form der Energie das Universum dominiert, d.h. die zeitliche und räumliche Entwicklung des Universums als wichtigster Faktor maßgeblich beeinflusst. (Eine Zusammenfassung über den gegenwärtigen Wissensstand der Zusammensetzung des Universums finden Sie hier.)
Die vorliegende Studie von Galaxienhaufen, durchgeführt von einer internationalen Gruppe von Astronomen unter der Leitung von David Lumb des ESA Raumforschungs- und Technologiezentrum ESTEC in den Niederlanden ist Teil des groß angelegten XMM-Newton Beobachtungsprogramms Omega Project, dass die Materiedichte des Universums untersuchen soll. Dieses Projekt steht unter der Gesamtleitung von Jim Bartlett am College de France in Paris.

Galaxienhaufen sind starke Röntgenquellen, da sie ein intergalaktisches (= sich zwischen den Galaxien befindend) Gas hoher Temperatur enthalten. Obwohl der Raum zwischen den Galaxien in einem Galaxienhaufen nach menschlichen Maßstäben sehr leer ist (= geringe Dichte), läßt sich den noch verbleibenden wenigen Teilchen pro Kubikmeter gemäß der physikalischen Definition eine Temperatur zuschreiben. Diese wird allgemein als aufsummierte Bewegungsenergie aller Teilchen in einem Raum gesehen, kann also bei hoher Geschwindigkeit der einzelnen Teilchen sehr hoch werden, obwohl ein Mensch wegen der geringen Dichte, also der geringen Anzahl der Teilchen, den Raum zwischen den Galaxien niemals als heiß empfinden würde. Nun ist es so, dass alle Objekte, die eine Temperatur haben, strahlen. Dabei wird die Wellenlänge umso kürzer, je heißer das strahlende Objekt ist. Die Heizung zu Haus strahlt im Infraroten, und das heiße Gas hier strahlt im Röntgenbereich.
Dieses Gas hoher Temperatur umgibt nun Galaxien in dem Haufen ähnlich wie der Dampf in einer Sauna. Mittels der Intensität und der genauen Wellenlänge, sprich der Energie, der mit XMM-Newton gemessenen Röntgenstrahlung kann man nun die Temperatur des intergalaktischen Gases bestimmen und über gegenwärtige Modelle der Emission damit die Masse der Galaxienhaufen herleiten.

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Künstlerische Darstellung der Trennung von XMM-Newton von der Ariane 5 Endstufe.
(Quelle: ESA)

Die meisten Astronomen glauben heute, dass wir in einem Universum mit geringer Dichte von Materie leben. Stattdessen verbleibt der größte Teil der Gesamt-Energie des Universums als sogenannte Dunkle Energie, ungefähr 70 % heutigen Modellen zufolge.
In diesem Szenario ist nun die zur Verfügung stehende Materie ziemlich frühzeitig in Galaxien aufgesammelt, so dass nicht mehr viel Materie als intergalaktisches Gas umherfliegen kann. Galaxienhaufen sollten daher frühzeitig mit ihrem Wachstum aufhören und dann genauso aussehen wie heutige (sprich nahe) Galaxienhaufen.

In ihrer demnächst erscheinenden Veröffentlichung im europäischen Wissenschafts-Journal Astronomy andAstrophysics präsentieren Astronomen des Omega Projects nun Resultate von Beobachtungen, die zeigen, dass Galaxienhaufen im weit entfernten Universum (sprich in einer frühen Zeit der Entwicklung des Universums) anders aussehen als Galaxienhaufen in der näheren Umgebung. Sie geben mehr Röntgenstrahlen ab als ihre jüngeren Verwandten. Damit scheint klar, dass sich die Galaxienhaufen in irgendeiner Form weiterentwickelt haben.

Diese Resultate können nun auf mindestens zwei verschiedene Weisen gedeutet werden. Entweder die Astronomen müssen zugeben, dass sie die Gas-Emission von Galaxien in den intergalaktischen Raum nicht genügend gut verstehen, und diese Modelle vielleicht zeitabhängig sind. Damit könnte man dann erklären, warum sich, wie gemessen, früher mehrheißes Gas zwischen den Galaxien in einem Haufen befand als heute.
Oder wir leben in einem Universum mit hoher Materie-Dichte, das demzufolge mehr Materie enthält, als das gegenwärtige Energieverteilungsmodell mit der Dunklen Energie voraussagt. Dann würde es nämlich einfach länger dauern, bis alle Materie in Galaxien gesammelt ist, und Unterschiede zwischen früheren und heutigen Galaxienhaufen ließen sich erklären.

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Eines der drei Spiegelmodule von XMM-Newton . Jedes von ihnen enthält 58 Spiegel mit einer Gesamtfläche von über 120 qm, größer als ein Tennisplatz.
(Quelle: ESA)

Alain Blanchard vom Laboratoire d’Astrophysique de l’Observatoire Midi-Pyrénées(Astrophysikalisches Laboratorium des Observatoriums der Mittleren Pyrenäen) ist Autor einer weiteren Veröffentlichung über die Anzahl und Verteilung der gefundenen Galaxienhaufen.
Er weiß, dass diese Schlussfolgerung kontrovers ist und in klarem Widerspruch mit dem gegenwärtigen concordance modelsteht, dem Modell, dass der Dunklen Energie einen Anteil bis zu 70% an der Gesamtenergie des Universums zuschreibt.
„Um diese Ergebnisse zu erklären, braucht man eine Menge Materie im Universum. Da bleibt nicht viel Platz übrig für die Dunkle Energie.“
Wie auch immer diese Resultate in der Zukunft interpretiert werden, XMM-Newton hat mit seiner gegenwärtigen höchsten Empfindlichkeit im Röntgenbereich (z.B. im Vergleich mit dem US-amerikanischen Satelliten Chandra, der eine höhere Abbildungsgenauigkeit aufweist), den Astronomen mal wieder eine neue Einsicht in das Universum gegeben und damit ein neues Puzzle, das zu lösen ist. Zukünftige Röntgenbeobachtungen werden zeigen, ob sich diese Messungen durch andere Teleskope bestätigen lassen. Sollten sie dieselben Anworten liefern, müssen wir vielleicht unser Verständnis des Universums mal wieder neu überdenken.
XMM-Newton wurde am 10. Dezember 1999 mit einer Ariane 5Rakete vom Weltraumbahnhof in Französisch-Guyana gestartet. Die Projektdauer wird derzeitig auf 10 Jahre angesetzt. Das Hochtechnologie-Design des Satelliten enthält 170 sehr dünne zylindrische Spiegel, die über drei verschiedene Teleskope verteilt sind. Sein Orbit ist hoch-elliptisch und reicht fast bis zu einem Drittel der Erde-Mond Entfernung, so dass die Astronomen lange ununterbrochene Beobachtungen durchführen können.

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