Raumsonde JUICE fliegt an Mond und Erde vorbei. Eine Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Quelle: DLR 14. August 2024.
14. August 2024 – LEGA – so heißt das Raumfahrtmanöver, das mit großer Spannung erwartet wird: Der „Lunar-Earth Gravity Assist“, was auf Deutsch etwa Mond-Erde-Schwerkraftumlenkung bedeutet. Zum ersten Mal wird die Bahn einer Sonde durch die Schwerkraft des Mondes und kurz darauf auch von der Gravitation der Erde verändert. In der Nacht vom 19. auf den 20. August 2024 (MESZ) passiert die Mission JUICE der Europäischen Weltraumorganisation ESA zunächst den Erdtrabanten von der Nachtseite kommend in 750 Kilometer Höhe. Dann fliegt die Raumsonde auf schon leicht veränderter Flugbahn in nur 24 Stunden mit gesteigerter Geschwindigkeit von 15.000 Kilometern pro Stunde zur Erde und wird dieser bis auf 6.800 Kilometer nahekommen. Dabei wird die Bahn der Sonde ein zweites Mal geändert und in Richtung des inneren Sonnensystems abgelenkt.
Während der beiden Nahvorbeiflüge an Mond und Erde werden auch die wissenschaftlichen Experimente angeschaltet sein, um sie zu testen, zu eichen und möglicherweise sogar interessante Ergebnisse zu erzielen. Darunter auch die Kamera JANUS und der Laser-Höhenmesser GALA. An beiden Experimenten ist das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) maßgeblich beteiligt.
Das ungewöhnliche Manöver wird durchgeführt, um für den weiteren Missionsverlauf Treibstoff zu sparen. In den kommenden Jahren wird bei weiteren Nahvorbeiflügen – einmal an der Venus und zweimal an der Erde – JUICE so beschleunigt werden, dass die Mission 2031 ihr Ziel, den Planeten Jupiter und dessen Eismonde Europa, Ganymed und Callisto, erreichen wird und bis 2035 untersuchen kann.
Mit etwas Glück kann JUICE beim LEGA-Manöver sogar von der Erde beobachtet werden, denn das Raumschiff fliegt zunächst durch die Nacht der westlichen Hemisphäre und dann über den Tag in Südostasien und des Pazifischen Ozeans. Mit einem leistungsstarken Fernglas oder einem Teleskop haben Amateurastronominnen und -astronomen die Chance, die Sonde in der Nacht vom 20. auf den 21. August 2024 als schnell wandernden Lichtpunkt auch von Europa aus zu sehen.
Mit 15.000 Stundenkilometern durch das „Nadelöhr“
Diese komplexe Flugbahn durch das innere Sonnensystem erwies sich als die effektivste, um die beim Start über sechs Tonnen schwere Raumsonde so schnell wie möglich ins Jupitersystem zu steuern. Der streckenmäßige Umweg über die Venus ist zeitlich betrachtet eine Abkürzung. Gestartet wurde JUICE am 14. April 2023 vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou mit einer Ariane-5-Trägerrakete. Seither hat die Raumsonde bereits mehr als eine Milliarde Kilometer zurückgelegt.
Gesteuert und kontrolliert wird das LEGA-Manöver vom ESOC, dem Europäischen Weltraum-Kontrollzentrum der ESA in Darmstadt. Es gilt, JUICE mit genau der richtigen Geschwindigkeit zu einem exakten Zeitpunkt in der präzisen Richtung auf den Mond und danach auf die Erde hinzusteuern. Das Manöver gleicht einem Schuss durch ein Nadelöhr. Keine Weltraumorganisation hat dieses Doppel-Manöver zuvor durchgeführt. Zwischen dem 17. und dem 22. August 2024 wird der Kurs von JUICE zu jeder Sekunde überwacht. Der Funkverkehr mit der Raumsonde findet über die drei großen Antennenstationen des ESTRACK in Spanien, Australien und Argentinien statt. Laut ESA sei das Manöver nicht frei von Risiken. 38 Minuten vor der größten Annäherung an den Mond um 23:16 Uhr MESZ am Dienstag wird JUICE den Mondschatten durchqueren und eine halbe Stunde lang keinen Kontakt zur Erde haben.
Bonus: Hochaufgelöste Bilder vom Mond und der Erde…
Der Nutzen für die Wissenschaft bei diesem doppelten Nahvorbeiflug sind Messungen mit den zehn Instrumenten an Bord von JUICE, die eigentlich für ihren Einsatz bei den Vorbeiflügen an den drei großen Eismonden des Jupiter entwickelt wurden. Sie werden allesamt über der Mondoberfläche und die meisten auch wieder 24 Stunden später bei der Passage über die Erde angeschaltet sein und Daten aufzeichnen. Diese physikalischen Messungen und Aufnahmen mit den bildgebenden Experimenten dienen zuvorderst einer Überprüfung der Funktionsfähigkeit nach dem Start und der 16-monatigen Exponiertheit gegenüber dem Weltall seither, sowie der Eichung der Sensoren.
Während des Mondvorbeiflugs nähert sich JUICE der Mondoberfläche bis auf 750 Kilometer. Die JANUS-Kamera wird nicht genau senkrecht auf die Mondoberfläche gerichtet sein, dennoch wird die beste Auflösung etwa 13 Meter pro Bildpunkt betragen. Das letzte Bild beim Abflug vom Mond wird aus 2.800 Kilometern aufgenommen und immer noch 42 Meter pro Pixel auflösen. Die fotografierten Regionen liegen auf einem schmalen Streifen entlang des Äquators sowohl auf der Mondrückseite wie auch auf der wegen des Vollmondes vollständig beleuchteten Vorderseite. Die Aufnahmen von der Erde werden wegen der größeren Überflughöhe Auflösungen zwischen 125 Metern – allerdings über dem Ozean – und 250 Metern pro Pixel haben. Dabei werden Teile von Madagaskar, Thailand, Kambodscha, den Philippinen und Hawaii aufgenommen werden.
Das DLR ist mit „anderthalb“ Hardwarebeiträgen an der Instrumentierung der Mission beteiligt. Beim Kamerasystem JANUS (Jovis, Amorum ac Natorum Undique Scrutator; lateinisch für „Jupiter, seine Liebschaften und Sprösslinge, von allen Seiten erforscht“), das in Italien von der Firma Leonardo S.p.A. entwickelt und gebaut wurde, steuerte das DLR-Institut für Planetenforschung mehrerer Hardware-Komponenten bei. Das JANUS-Wissenschaftsteam wird von Pasquale Palumbo am Istituto Nazionale di Astrofisica (INAF) in Rom und Ganna Portyankina vom DLR-Institut für Planetenforschung geleitet. Aufnahmeplanung, Betrieb der Kamera, Datenverarbeitung und wissenschaftliche Auswertung werden zur Optimierung der Ergebnisse zwischen den beiden Einrichtungen aufgeteilt.
… und ein topographisches Profil vom Mond
Deutschland ist ferner mit dem Laser-Altimeter GALA (Ganymede Laser Altimeter) auf der Mission vertreten. Dieses ist gemeinsam mit der deutschen Industrie sowie Beiträgen aus Japan, Spanien und der Schweiz und unter der Leitung des Principal Investigator (PI) Hauke Hußmann im DLR-Institut für Planetenforschung entstanden. GALA sendet 30 Laserpulse pro Sekunde auf feste Oberflächen und misst die Zeit, bis der reflektierte Laserpuls im Teleskop des Instruments wieder ankommt. So können mit Millionen Messpunkten die Höhen und Tiefen, also die Topographie und Form eines planetaren Körpers erfasst werden. GALA wird im Jupitersystem zunächst Höhenprofile der Monde Callisto und Europa aufzeichnen, vor allem aber im späteren Missisonsverlauf aus der Umlaufbahn um Ganymed eine globale topographische Karte und die Verformung des Mondes durch Gezeitenkräfte erfassen, um die Existenz oder Nicht-Existenz eines Ozeans unter der Eiskruste von Ganymed zu überprüfen.
GALA wird beim ersten Teil des Mond-Erde-Manövers Messungen machen und während der nahen Passage am Erdtrabanten eingeschaltet sein. Die Messentfernung zum Mond von 850 bis 1.200 Kilometern über der Oberfläche ermöglicht Entfernungsbestimmungen und wird zum Test und zur Eichung des Instruments genutzt. Beim Vorbeiflug von JUICE an der Erde sind die Entfernungen für gute Messungen zu groß. Die GALA-Kommandosequenz für den Mondvorbeiflug wurde Anfang August an die ESA übermittelt. Innerhalb weniger Minuten nach der größten Annäherung an den Mond wird GALA Entfernungsmessungen mit einer Schussfrequenz von 30 Pulsen pro Sekunde vornehmen, um eine Bodenspur auf der Mondoberfläche in einer Mindesthöhe von etwa 850 Kilometer zu erhalten
Diese „Generalprobe“ für die Ganymed-Messungen wird zur Kalibrierung der verschiedenen Einstellungen des Instruments und zur Überprüfung der Leistung sowie des Signal-zu-Rausch-Verhältnisses genutzt. Der Mondvorbeiflug ist die einzige Gelegenheit für diese Messungen vor dem Eintritt in die Jupiterumlaufbahn im Jahr 2031. Das GALA-Team hat die Messkampagne am Mond im Vorfeld simuliert und geht davon aus, dass das Signal mit zunehmender Entfernung zwar schwächer wird, aber trotzdem ein Bodenprofil mit topografischen Messungen der Mondoberfläche aufgezeichnet werden kann.
Geplant ist ferner, dass gemeinsam mit dem JANUS-Team auch eine Kalibrierung der genauen geometrischen Ausrichtung von GALA durchgeführt wird. Die JUICE-Kamera wird dabei versuchen, während des Flugs über die nicht von der Sonne beschienene Mondhemisphäre die von GALA auf den Mond „geschossenen“ Laserpulse in Langzeitbelichtungen aufzunehmen. Da beide Instrumente, GALA und JANUS, auf ihrer „optischen Bank“ exakt in die gleiche Richtung blicken, würden geringfügige Abweichungen in den Aufzeichnungen der GALA-Laserpulse auf einem bestimmten Pixel des JANUS-Bildsensors die geometrische Kalibration für den Einsatz am Jupitermond Ganymed verbessern. Wegen des zu erwartenden Streulichts an der Tag-Nacht-Grenze auf dem Mond ist allerdings nicht gewährleistet, dass dieses Experiment die erhofften Daten liefern wird.
Mit einem Fünftel ist Deutschland an JUICE beteiligt
Deutschland ist an der JUICE-Mission maßgeblich beteiligt. Die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR unterstützt JUICE, indem sie den größten Einzelbeitrag eines ESA-Mitgliedslandes – rund 21 Prozent – zur Mission beisteuert. Diese Mittel sind Teil der Finanzierung der Entwicklung der Raumsonde, des Starts mit einer Ariane-5-Trägerrakete und des Missionsbetriebs. Zusätzlich fließen rund 100 Millionen Euro in die deutschen Beiträge an sieben von insgesamt zehn wissenschaftlichen Instrumenten und einem Experiment auf der Raumsonde:
- Der Laser-Höhenmesser GALA entstand in Verantwortung des DLR-Instituts für Planetenforschung in Berlin,
- bei der Kamera JANUS war das DLR-Institut für Planetenforschung Teil des italienisch geführten Konsortiums,
- das Instrument SWI (Submillimetre Wave Instrument) entstand unter Führung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen.
- PEP (Particle Environment Package) ist ein Spektrometer zur Messung neutraler und geladener Teilchen im Jupitersystem (MPS, Göttingen),
- J-MAG (Magnetometer for JUICE) ist ein Magnetometer zur Charakterisierung der Magnetfelder von Jupiter und Ganymed und zur Untersuchung der Ozeane der Eismonde (Technische Universität Braunschweig),
- das Radar-Instrument RIME (Radar for Icy Moons Exploration) soll die Struktur der Eismonde bis in neun Kilometer Tiefe untersuchen (Technische Universität Dresden),
- 3GM (Gravity & Geophysics of Jupiter and Galilean Moons) ist ein Radiowellen-Experiment mit Ka-Transponder und ultrastabilem Oszillator zur Bestimmung der Schwerefelder und Atmosphären von Jupiter und seinen Monden (RIU, Universität zu Köln).
Zudem gibt es das Experiment PRIDE (Planetary Radio Interferometer & Doppler Experiment), das kein Instrument an sich ist, sondern für Messungen die Funkverbindung der Hauptantenne mit der Erde nutzt. Ferner bestehen auch weitere wissenschaftliche Kooperationen, so beim Instrument MAJIS (Moons and Jupiter Imaging Spectrometer) durch das MPS.
Swing-by- oder Gravity-Assist-Manöver
Die Veränderung von Bahn und Geschwindigkeit von Raumsonden durch nahe Planeten- und in diesem Falle auch Mondvorbeiflügen beruht darauf, dass Raumsonden im Vergleich zu diesen Körpern eine sehr, sehr viel geringere Masse haben. Dabei kommt es im Prinzip zu einer „Schwerkraftumlenkung“.
Wenn sich die Sonde dem großen Himmelskörper annähert und sich durch dessen Schwerefeld bewegt, wird sie durch dessen Anziehungskraft abgelenkt. Wenn sie sich dabei zu schnell durch das Gravitationsfeld bewegt, passiert so gut wie nichts, ist sie zu langsam, wird sie so stark angezogen, dass sie auf den Himmelskörper stürzt. Es ist also höchste Präzision bei der Berechnung von Geschwindigkeit und der geplanten Höhe der Passage erforderlich – was in der Raumfahrt immer der Fall ist.
Während des Nahvorbeiflugs wird die Sonde zunächst beschleunigt, um beim Verlassen durch die Gravitation aber wieder abgebremst zu werden. Aus Sicht des Himmelskörpers hat sie danach wieder die gleiche Geschwindigkeit wie zuvor. Die Bahnenergie in Relation zum Himmelskörper bleibt konstant. Verändert wird jedoch die Richtung des Geschwindigkeitsvektors.
Weil sich Raumsonde und Himmelskörper gemeinsam um die Sonne bewegen („heliozentrischer Orbit“) verändert sich jedoch der Betrag der vektoriellen Summe der Geschwindigkeit von Planet und Sonde um die Sonne. Die Raumsonde wird also, wenn sie hinter dem Himmelkörper vorbeigelenkt wird, hinsichtlich der Sonne schneller oder, wie beim LEGA-Manöver von JUICE, wenn sie vor dem Himmelskörper vorbeifliegt, langsamer. Der große (Mond, Erde) und der kleine Himmelskörper (Sonde) tauschen also Bewegungsenergie miteinander aus. Dabei verändert sich natürlich auch die Bewegungsenergie des großen Himmelskörpers – allerdings um einen nicht messbaren winzigen Betrag. Gelegentlich werden diese Manöver auch mit zusätzlichem Schub von Triebwerken der Sonden kombiniert.
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