Ein Astronomenteam hat Teilbereiche des Supernovaüberrestes SN 1006 mit einer nie zuvor erreichten Genauigkeit beobachtet. Solche Überreste gelten als eine der Quellen für die kosmischen Teilchenstrahlung, welche die Erde trifft. Die Beobachtungen geben erstmals Hinweise auf mögliche Vorläuferteilchen für die kosmische Teilchenstrahlung, welche von diesen Objekten ausgeht.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESO, Max-Planck-Institut für Astronomie.
Im Jahr 1006 leuchtete am Südhimmel eine Supernova auf, welche in der Folgezeit heller als der Planet Venus wurde. Dieses seltene Ereignis konnte damals an vielen Orten auf der Erde beobachtet werden, zumal der neue Stern im Maximum seiner Helligkeit nachts Schatten warf und sogar am Taghimmel sichtbar blieb. Jedoch erst durch den Einsatz moderner Beobachtungsinstrumente konnte der genaue Ort dieser Supernova, welche von den Astronomen die Bezeichnung SN 1006 erhielt, im Sternbild Lupus (der Wolf) identifiziert werden. An dieser Stelle wurde eine leuchtende Schale aus expandierender Materie entdeckt, welche den Überrest der gewaltigen Sternexplosion darstellt.
Supernovae sind gigantische Sternexplosionen, die sich am Ende des „Lebens“ eines bestimmten Sterntyps ereignen. Dabei werden große Teile der Sternatmosphäre oder gleich die gesamte Sternmaterie nach außen geschleudert und bilden einen Supernovaüberrest, welcher sich im Laufe der Zeit immer weiter ausdehnt. In den Bereichen, an denen das herausgeschleuderte Material auf die umgebende interstellare Materie trifft, bilden sich Schockwellen aus. Hierbei handelt es sich um Regionen, in denen sich Dichte und Temperatur abrupt verändern – ähnlich den Schockwellen eines Überschnallknalls, der zu hören ist, wenn ein Flugzeug die Schallmauer durchbricht.
Schon seit langem vermuten Astronomen und Astrophysiker, dass die Überreste solcher Supernovae mit der kosmischen Strahlung in Zusammenhang stehen. Hierbei handelt es sich um hochenergetische Teilchen, welche aus den Tiefen des Weltraums kommend auf die Erdatmosphäre treffen. Die energiereichsten Teilchen der im Jahr 1912 von dem österreichisch-amerikanischen Physiker Victor Franz Hess entdeckten kosmischen Strahlung stammen von außerhalb unseres Sonnensystems, und für einige davon werden als Quelle die besagten Supernovaüberreste angenommen. Die Details dieses Prozesses sind jedoch immer noch rätselhaft.
Ein von Sladjana Nikolić vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg geleitetes Astronomenteam hat jetzt mit dem Instrument VIMOS am Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile den Supernova-Überrest SN 1006 genauer als jemals zuvor unter die Lupe genommen. Durch ihre Beobachtungen wollten die Astronomen analysieren, was genau in dem Bereich geschieht, an der das bei der Supernova mit hoher Geschwindigkeit herausgeschleuderte Material auf die im Vergleich dazu nahezu stillstehende interstellare Materie trifft. Die sich dort bildenden, expandierenden und zugleich hochenergetischen Schockwellen könnten als eine Art „kosmischer Teilchenbeschleuniger“ an der Erzeugung der kosmischen Strahlung beteiligt sein.
Im Rahmen der Studie gelang es dem Team erstmals, Informationen zur Materie im Schock zu sammeln und diese dabei nicht nur an eine Stelle der Schockfront zu vermessen, sondern vielmehr eine vollständige Karte zu erstellen, auf der die Eigenschaften des Gases und dessen räumliche Variationen verzeichnet sind. Daraus ergaben sich für die Astronomen wichtige Hinweise auf eine mögliche Lösung des Rätsels der kosmischen Strahlung.
Zur Überraschung der beteiligten Wissenschaftler ergaben sich bei den Untersuchungen Anzeichen für eine große Anzahl von sich schnell bewegenden Protonen im Gas der Schockregion. Bei diesen suprathermischen Protonen handelt es sich noch nicht um die kosmische Strahlung selbst, sondern vielmehr um Vorläuferteilchen (engl. „seed particles“), welche erst noch durch Wechselwirkungen mit der Schockfront auf die erforderlichen hohen Energien beschleunigt werden müssen, um als kosmische Teilchenstrahlung in den umgebenden Weltraum entweichen zu können.
„Dies ist das erste Mal, dass wir die physikalischen Prozesse in und um die Schockregion genauer untersuchen konnten. Wir haben dabei Hinweise auf die Existenz einer erwärmten Region direkt vor der Schockwelle gefunden, wie sie den gängigen Modellen nach notwendig ist, damit überhaupt kosmische Teilchenstrahlung entstehen kann. Außerdem wurde diese Region offenbar auf genau jene Weise erwärmt, wie man es erwarten würde, wenn dort Protonen existieren, welche die Energie aus direkt hinter der Schockfront gelegenen Regionen in die Bereiche direkt vor dem Schock transportieren“, so Sladjana Nikolić.
Die Untersuchung basiert auf Analysen, die Sladjana Nikolić im Rahmen ihrer Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und der Universität Heidelberg durchführte. Bei der Studie wurde erstmals der Integralfeld-Spektrograf VIMOS des VLT verwendet, um die Eigenschaften einer Supernova-Schockfront derart detailliert zu untersuchen. In der „Integral Field Unit“ des VIMOS wird das Licht, welches auf jeden Pixel fällt, in seine einzelnen Spektralfarben zerlegt. Jedes dieser Spektren wird dabei von dem Instrument registriert. Bei der anschließenden Analyse können so zum Beispiel räumlich aufgelöste Karten der Geschwindigkeitsverteilung oder der chemischen Zusammensetzung des beobachteten Objekts gewonnen werden.
Sladjana Nikolić und ihre Kollegen nutzten den VIMOS-Spektrografen, um für mehr als 100 Punkte in einem kleinen Teilbereich der Schockfront der Supernova SN1006 gleichzeitig die Lichtzusammensetzung (das Spektrum) zu bestimmen. Die rund 18 Monate dauernde Analyse der Daten ergab detaillierte Informationen insbesondere über die Temperaturen vor und hinter der Schockfront.
Das Team beabsichtigt, diese Methode jetzt auch bei zukünftigen Untersuchungen von anderen Supernovaüberresten anzuwenden. Hierdurch erhoffen sich die Astronomen eine Vielzahl weiterer Erkenntnisse darüber, wie Supernovaüberreste kosmische Teilchen beschleunigen können.
„Diese neuartige Beobachtungstechnik könnte sich als ein Schlüssel erweisen um herauszufinden, wie Supernova-Überreste kosmische Strahlung erzeugen“, so Glenn van de Ven vom Max-Planck-Institut für Astronomie, einer der beteiligten Wissenschaftler. Kevin Heng von der Universität Bern – ein weiteres Teammitglied – ergänzt: „Wir sind besonders stolz darauf, dass wir die Integralfeldspektroskopie in eher unorthodoxer Weise eingesetzt haben – üblicherweise beobachtet man damit weit entfernte Galaxien. Die Genauigkeit, die wir dabei erreicht haben, stellt alle vorangehenden Studien in den Schatten.“
„Das hier war ein Pilotprojekt. Das Licht, das wir von dem Supernovaüberrest auffangen, ist ungleich schwächer als bei den üblichen Zielobjekten für solche Instrumente. Jetzt, wo wir wissen, was machbar ist, sind eine Vielzahl interessanter Nachfolgeprojekte in den Bereich des Möglichen gerückt“, so Sladjana Nikolić.
Die hier vorgestellten Ergebnisse von Sladjana Nikolić et al. wurden am 14. Februar 2013 unter dem Titel „An Integral View of Fast Shocks around Supernova 1006“ in der Online-Version der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht.
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Fachartikel von Sladjana Nikolić et al.:
- An Integral View of Fast Shocks around Supernova 1006 (Abstract, engl.)