Die Mond-Sonde Clementine

In den 80er Jahren betrieb das amerikanische Verteidigungsministerium (DoD) große Anstrengungen, leichtere und billigere Weltraumtechnologie zu entwickeln.

Ein Beitrag von Christian Ackermann.

Clementine auf dem Weg zum Mond. (Grafik: NASA)

In Zusammenarbeit mit der NASA wurde 1991 der Entschluß gefaßt, diese neuen Techniken in einer gemeinsamen Raummission zu testen (Anliegen des DoD) und dabei gleichzeitig eine bedeutende wissenschaftliche Ausbeute zu erzielen (Anliegen der NASA). 1992 schließlich setzte die Ballistic Missile Defense Organization (BMDO) die NASA über ihre Absicht in Kenntnis, in Leichtbauweise hergestellte Miniatursensoren und allgemeine, neuentwickelte Satellitenkomponenten in einer längerandauernden Raumfahrtmission zu testen und dabei Bilddaten des Mondes und des Asteroiden Geographos zu gewinnen.

Das Ergebnis dieser Kooperation war der unbemannte Mondorbiter Clementine, benannt nach „My Darlin‘ Clementine“ – einem Lied über die Tochter eines Minenarbeiters. Der harmlos klingende Name sollte wohl auch ein wenig die militärischen Wurzeln des Projektes kaschieren. Die Assoziation zum Lied ergibt sich dabei aus der wissenschaftlichen Primäraufgabenstellung des Gerätes: der multispektralen Analyse der gesamten Mondoberfläche zur geologischen Charakterisierung des Erdtrabanten. Bei der Multispektralanalyse wird der Informationsgehalt unterschiedlicher elektromagnetischer Strahlungsbereiche ausgenutzt. Die Identität eines (entfernten) Objektes läßt sich über seinen charakteristischen spektralen „Fingerabdruck“ ermitteln. Je höher dabei die räumliche bzw. die spektrale Auflösung und je breiter der herangezogene Spektralbereich ist, desto differenzierter lassen sich Objekte voneinander unterscheiden. Im Prinzip machen wir Menschen das selbe mit unseren Hauptradiometern, den Augen: wir differenzieren Objekte (neben ihrer Form) über ihre Farbe (drei Spektralbereiche: rot, grün, blau). Wer nicht gesehen werden möchte, kann sich tarnen, indem er die Farbe seiner Umgebung annimmt, dann verliert sich nämlich auch seine Form. Solche Hinterlistigkeiten aufzudecken, stand am Anfang der multispektralen Detektionstechnik: Der böse Feind kann ein Artilleriegeschütz vor einem Wald mit einem grünen Tarnnetz verbergen. Ein Photo im nahen Infrarotbereich erweitert unseren spektralen Erfassungsbereich um eine zusätzliche „Farbe“ und schon fliegt die Tarnung auf: während sich im roten, grünen und blauen Licht keine Unterschiede ergeben, wird die chlorophyllhaltige Vegetation im nahen Infrarot besonders hell wiedergegeben, wohingegen das Tarnnetz recht dunkel erscheint. Feuer frei.

Diese Methode wurde im Laufe der Zeit weiterentwickelt und auf breitere Spektralbereiche und friedlichere Aufgabenstellungen erweitert. Satellitengestützte Multispektralscanner werden seit 1972 kontinuierlich für die Erderkundung eingesetzt. So ist es möglich, aus dem Orbit Informationen über Vegetationstypen zu erhalten, den Reifegrad, Bewässerungszustand oder eventuellen Schädlingsbefall landwirtschaftlicher Anbauflächen zu bestimmen, Gewässerverschmutzungen zu ermitteln oder Bodenflächen geologisch zu charakterisieren (z.B. Landsat/USASPOT/Frankreich) um nur einige Anwendungen zu nennen. Natürlich sieht man einem bestimmten spektralen Fingerabdruck nicht per se an, dass er etwa von reifen Weizen stammt; man muß die Methode schon kalibrieren, sprich: einmal an einen fraglichen Flecken Leute hinschicken die nachschauen, um was es sich tatsächlich handelt. Wenn man dann den selben Fingerabdruck an einer anderen Stelle der Erde findet und auch die weiteren Umstände plausibel erscheinen (z.B.: die geometrische Form, das Vorhandensein von Wasser oder Bewässerungsanlagen), dann kann man mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß es sich auch hier um reifen Weizen handelt. Im Falle des Mondes existieren Daten zur Oberflächenzusammensetzung aus dem bemannten Apollo-Projekt sowie den unbemannten Lunokhod– (UdSSR; Probenrückführung zur Erde) und Surveyor– (USA; Vor-Ort-Analyse) Landegeräten. Außerdem ist die Mondgeologie nicht grundsätzlich verschieden von der irdischen.

Erdbezogene multispektrale Erkundungssysteme leiden stark unter der Dynamik unseres Planeten. So sind Objekte nach Regenfällen z.B. naß und zeigen eine veränderte spektrale Charakteristik, die Erdatmosphäre zeichnet sich durch variablen Gehalt an Schwebepartikeln oder Wasserdampf aus, beides verändert den elektromagnetischen Fingerabdruck. Idealere Voraussetzungen liefert da der Mond, zumal das Fehlen einer strahlungsabsorbierenden Atmosphäre hier die Detektion eines breiten Strahlungsspektrums zuläßt.

Clementine wurde nach nur 22 Monaten Entwicklungs- und Konstruktionszeit am 25. Januar 1994 von der Vandenberg Luftwaffenbasis in Kalifornien mit einer Titan II auf eine 64° gegen den Äquator geneigte Bahn gestartet. Die totalen Projektkosten beliefen sich auf lediglich 80 Millionen US-Dollar, nicht zuletzt, weil der Träger aus Beständen ehemaliger Interkontinentalraketen (ICBMs) vom Hersteller, Lockheed Martin, zur Trägerrakete konvertiert wurde.

Der Flug zum Mond führte, anders als bei früheren Mondmissionen, nicht direkt zum Ziel. Der stark elliptische Erdorbit Clementines wurde statt dessen energiesparend sukzessive ausgedehnt, bis die Sonde am 19. Februar 1994 in einen 400 × 1.225 km polaren (90°) Mondorbit mit einer Periode von fünf Stunden eintrat. Für zwei Monate, bis zum 22. April 1994, erfolgte aus der verschiedentlich angepaßten Bahn heraus eine hundertprozentige Abdeckung der Mondoberfläche in elf Spektralbereichen. Diese Daten wurden von zwei der wissenschaftlichen Bordinstrumente gewonnen, einer Kamera für das (etwa) sichtbare Spektrum und UV, mit Filtern für 340, 415, 750, 900, 950 und 1000 Nanometer Wellenlänge sowie einer gekühlten Kamera für das nahe IR mit Bandpaßfilter von 1070 – 1130, 1220 – 1280, 1470 – 1530, 1970 – 2030 und 2570 – 2630 Nanometer Durchlässigkeit. Nach jedem absolvierten Orbit mußten wegen Speicherbeschränkungen etwa 6.000 digitale Bilder zur Erde übermittelt werden, so summierten sich über die gesamte Beobachtungszeit 1,6 Millionen Bilder auf. Dabei konnten auch kleine kartographische „Löcher“ des ansonsten gut dokumentierten Mondes geschlossen werden, die von den Lunar Orbiter-Missionen 1966/7 in Vorbereitung auf das Apollo-Projekt, nicht erfaßt worden waren. Es war auch Clementine, die erste Hinweise auf das mögliche Vorhandensein von Wasser auf dem Mond lieferte. Denn mit Hilfe eines Laser Altimeters (Höhenmessers) konnte ermittelt werden, daß das Aitken-Basin am Südpol des Mondes eine durchschnittliche Tiefe von 12 Kilometer besitzt und damit zu den ausgeprägtesten Depressionen im bekannten Sonnensystem gehört. Das führte zu der Vermutung, dass in dort eventuell vorhandenen, permanent abgeschatteten Regionen, Wassereis (etwa eingetragen durch Kometen) überdauern könnte. Zur Überprüfung dieser Hypothese wurden Echos der Abstrahlung der Hochgewinnantenne Clementines auf diese Regionen analysiert, die tatsächlich Polarisationsmuster aufwiesen, wie sie für gefrorenes Wasser charakteristisch sind. Ein direkter Nachweis von Wasser steht allerdings bis heute aus.

Bereits am 22. April 1994 wechselte Clementine wieder in einen hochelliptischen Erdorbit. Von dort aus sollte die Sonde durch ein Mond-Gravitationsmanöver am 27. Mai 1994 auf einen Abfangkurs zum sonnenumrundenden Asteroiden Geographos gelenkt werden. Dieses Manöver scheiterte wegen eines Computerfehlers, durch den der gesamte Treibstoff für die Lageregelung verbraucht und die Sonde in einen stabilen Spinzustand versetzt wurde. Clementine verließ dann zwar im Laufe des Jahres 1994 den Gravitationsbereich der Erde und wechselte in einen heliozentrischen Orbit; durch die festgelegte Spinachse war jedoch keine kontinuierliche Stromversorgung mehr gewährleistet, da die Solarpanele in ihrer nun fixen räumlichen Orientierung auf dem Weg um die Sonne in regelmäßigen Intervallen aus deren Strahlungsbereich gerieten. Der „Satellite Situation Report“ der NASA gibt auch in seiner aktuellsten Ausgabe für Clementine einen Orbit um die Sonne an.

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