Die Geschichte der Gammastrahlen-Astronomie

Mit INTEGRAL ist das leistungsfähigste Gammastrahlenteleskop in der Geschichte dieses vergleichsweise jungen Astronomiezweiges erfolgreich in einen Erdorbit gestartet worden.

Autor: Michael Stein.

Die Raumsonde „Integral“ erforscht die Gammastrahlung astronomischer Objekte.
(Grafik: ESA)

Es bedarf keiner hellseherischen Kräfte um Vorhersagen zu können, dass dieses Forschungsgebiet in den nächsten Jahren mit Hilfe von INTEGRAL eine Vielzahl neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse hervorbringen wird. Seit wann aber kann man eigentlich überhaupt von einer „Gammastrahlen-Astronomie“ sprechen? Welche Missionen waren die wichtigsten Vorläufer von INTEGRAL, welche neuen Erkenntnisse haben sie gebracht? Diese kurze Einführung in die Geschichte der Gammastrahlen-Astronomie soll darauf Antworten liefern.
 
Die Astronomen waren sich schon lange vor der ersten Beobachtung von kosmischen Gammastrahlen sicher, dass solche hochenergetische Strahlung im Weltall vorhanden sein müsste. Bereits Ende der 1940er und in den 1950er Jahren äußerten Wissenschaftler die Erwartung, dass verschiedene kosmische Prozesse unter anderem auch Gammastrahlen – also extrem energiereiche Photonen bzw. Licht-„Teilchen“ – produzieren würden. Zur Liste der Verdächtigen gehörten beispielsweise kosmische Prozesse wie die Anregung interstellarer Gaswolken durch die kosmische Strahlung oder Supernova-Explosionen. Bis zum Beginn der Raumfahrt Ende der 1950er bzw. Anfang der 1960er Jahre konnte die Gammastrahlung aus dem Weltall jedoch kaum nachgewiesen werden, da sie so gut wie vollständig von der Erdatmosphäre absorbiert wird. Die einzige direkte Nachweismöglichkeit bestand vorher in der Ausrüstung von Höhenforschungsballonen mit Messinstrumenten zur Registrierung von einfallender Gammastrahlung.
 
Satellitengestützte Beobachtungen
Das erste Gammastrahlen-Teleskop in einer Erdumlaufbahn befand sich an Bord des amerikanischen Satelliten Explorer XI, der am 27. April 1961 gestartet wurde. Verglichen mit INTEGRAL handelte es sich um ein sehr bescheidenes „Teleskop“, dennoch kann Explorer XI für sich in Anspruch nehmen, der erste speziell für die Erforschung der Gammastrahlung konzipierte Forschungssatellit gewesen zu sein. Der kleine Satellit entdeckte während seiner von Mitte Mai bis Anfang September 1961 andauernden Betriebsphase im Orbit insgesamt 22 Gammastrahlen-Ereignisse, die allerdings zusammen nur zu weniger als 100 vom Detektor an Bord des Satelliten registrierten Photonen führten! Die aufgefangene Gammastrahlung kam aus den verschiedensten Bereichen des Universums und stellte so etwas wie eine „kosmische Gammastrahlen-Hintergrundstrahlung“ dar – eine derartig diffuse Gammastrahlung hatten die am Projekt beteiligten Wissenschaftler auch erwartet und als Quelle dafür die bereits erwähnten Interaktionen der kosmischen Strahlung (hochenergetische geladene Partikel) mit interstellaren Gaswolken vermutet.
 
Der Anfang war nun also gemacht und die ersten, noch recht spartanischen Ergebnisse waren ermunternd, immerhin standen sie mit den vorhandenen theoretischen Überlegungen im Einklang. Im Jahr 1967 wurden von dem ebenfalls amerikanischen Satelliten OSO-3 die ersten Gammastrahlenemissionen in unserer Galaxie entdeckt. Dabei stellte sich heraus, dass die Strahlungsquellen entlang des galaktischen Äquators und dabei besonders rund um das Zentrum der Milchstraße konzentriert sind – ein eindeutiger Hinweis darauf, dass es im Zentrum unserer Galaxie nicht eben ruhig zugeht.

Eine Quelle intensiver Gamma-Strahlung stellen in Schwarze Löcher stürzende und dabei beschleunigte Materiemassen dar.
(Grafik: ESA)

Die nächsten großen Schritte vorwärts brachten dann die beiden Satelliten SAS-2 und COS-B. Der amerikanische Gammastrahlensatellit SAS-2 konnte nach dem Start im November 1972 aufgrund eines Fehlers im Energieversorgungssystem nur bis Juni 1973 Daten liefern, während der erste europäische Gammastrahlen-Forschungssatellit COS-B von 1975 bis 1982 das Universum im Gammaspektrum beobachtete. Die beiden Satelliten lieferten die ersten wirklich detaillierten Karten des Weltalls in diesen Spektralbereich. Sie bestätigten die bereits vorher gemachte Beobachtung einer diffusen Hintergrundstrahlung im Gammastrahlenbereich und entdeckten eine Anzahl von punktförmigen Strahlungsquellen. Die geringe Auflösung der Instrumente machte meistens jedoch die Zuordnung der Gammastrahlenquellen zu einzelnen Sternen oder Sternensystemen unmöglich.
 
In die Zeit dieser beiden Forschungssatelliten fällt auch eine spektakuläre Entdeckung, die auf ganz anderem Wege gemacht worden ist. Beobachtungssatelliten des US-Militärs, die nukleare Explosionen anhand der dabei erzeugten Gammastrahlenblitze entdecken sollten, begannen Anfang der 1970er Jahre tatsächlich, solche Blitze aufzuzeichnen – nur kamen sie nicht von der Erde, sondern aus den Tiefen des Weltalls! Die Vela-Satelliten hatten als erste so genannte „Gamma Ray-Bursts“ (GRBs) beobachtet, sehr kurz aufblitzende Gammastrahlenexplosionen, die nach heutiger Vorstellung Resultat unvorstellbar energiereicher Ereignisse wie beispielsweise der Verschmelzung von Neutronensternen oder der Explosion von Hypernovae sind. (INTEGRAL soll in den nächsten Jahren dabei helfen, die vielen offenen Fragen rund um dieses Phänomen zu beantworten: Wie weit entfernt sind die GRBs, was genau sind die Ursachen etc.)
 
Bereits im Jahr 1977 verkündete die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA dann ihren Entschluss, ein Observatorium neuer Dimension für die Erforschung des Gammastrahlenuniversums zu bauen. Das Ergebnis war dann der Start des 17 Tonnen schweren Compton Gamma-Ray Observatory (CGRO) im Jahr 1991. Der Satellit war mit vier Instrumenten ausgestattet, die eine deutlich bessere Auflösung und Empfindlichkeit als alle Vorgänger aufwiesen. Bis zum Juni 2000, als der Satellit in einer von vielen Wissenschaftlern kritisierten Aktion von der NASA aufgrund des Ausfalls eines Gyroskops kontrolliert zum Absturz gebracht wurde, konnte das CGRO enorme Informationsmengen über die Vorgänge im so genannten „Violent Universe“ sammeln. (Die Bezeichnung des im Gammastrahlenspektrum zu beobachtenden Universums als „Violent Universe“ beruht auf der Tatsache, dass Gammastrahlen oft durch extreme Prozesse erzeugt werden – Kollisionen von Schwarzen Löchern oder Explosionen von Hypernovae sind nicht gerade ruhige, stetig verlaufende Vorgänge…)
 
Erdgebundene Beobachtung
Parallel dazu gibt es auch auf der Erde neue Observatorien, die mit Hilfe der so genannten Tscherenkow-Teleskope indirekt ebenfalls die kosmische Gammastrahlung beobachten können (ausführliche Informationen zu diesem Thema stehen in unserem Artikel über das H.E.S.S.-Projekt). Diese Teleskope nutzen die Tatsache aus, dass die enorm energiereiche kosmische Gammastrahlung beim Eintritt in die Erdatmosphäre mit den Atomen der Luft reagiert und dabei so genannte „Luftschauer“ entstehen, kaskadenartige Blitze, die Rückschlüsse über die auslösende Gammastrahlung zulassen. Obwohl mit dieser Methode wie gesagt nur indirekte Beobachtungen der Gammastrahlung möglich sind ist die Bestimmung der Richtung, in der sich die Strahlungsquelle befindet, dennoch mit überraschend hoher Genauigkeit möglich. Wenn voraussichtlich im Jahr 2004 die im Rahmen des HESS-Projektes gerade entstehende Teleskopanlage mit allen vier Spiegeln einsatzbereit sein wird, wird den Forschern eine wirkungsvolle Ergänzung zu satellitengestützten Systemen wie INTEGRAL zur Verfügung stehen.
 
Ausblick
Nun wird also INTEGRAL neue Kapitel im Buch der Gammastrahlen-Astronomie begründen. Angesichts der noch einmal gegenüber dem CGRO deutlich gesteigerten Leistungsfähigkeit und Empfindlichkeit können wir auf spannende und aufregende Entdeckungen hoffen, über die wir Sie auf Raumfahrer.net natürlich zeitnah informieren werden.

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