Dicke Dinger

Erklärt eine Inflationsphase ein bislang ungelöstes Rätsel in der Entstehung des Sonnensystems? Einen ersten Hinweis darauf könnte die Größe pränataler Objekte der solaren protoplanetaren Scheibe geben.

Ein Beitrag von Lars-C. Depka. Quelle: Alessandro Morbidelli et al. Lars-C. Depka.

Eine Erkenntnis schien lange Zeit gefestigt: Die Vorläufer der Planeten des Sonnensystems (die sogenannten Planetesimale) begannen ihr Dasein als kaum wahrnehmbare Staub-Aggregate von etwa 50 Millionstel Metern Durchmesser, die mit niedriger Geschwindigkeit innerhalb der protoplanetaren Scheibe kollidierten und durch Adhäsion (statische Oberflächenhaftung) zu immer massereicheren Partikeln „verklebten“. Durch solche sogenannte „Akkretionsprozesse“ bildeten sich schließlich Körper von Kilometergröße. Selbstverständlich reichen dafür keine paar Jahre aus, sondern es dürften Jahrmillionen vergehen, bis sich solche Körper gebildet haben.

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Frühe Körper in der protoplanetaren Scheibe (künstlerische Darstellung)
(Bild: NASA)

Ab etwa dieser Größe übernimmt die Gravitation eine dominierende Rolle hinsichtlich des weiteren Planetesimalenwachstums, bis zum Ende einer jeden Entwicklung vorzugsweise ein Status des hydrodynamischen Gleichgewichts erreicht ist.

Ein folgenschwerer und bis in die jüngste Vergangenheit nicht wirksam verstandener Schwachpunkt dieses Entwicklungskonzeptes, ist folgender: Sobald die aufkeimenden Aggregate Körper von etwa einem Meter Größe bilden, lehren die Gesetze der Bahnmechanik, dass das mit den Partikeln der protoplanetaren Scheibe vermischte interstellare Gas als Medium wirkt und auf die sich bildenden Planetesimale eine nicht unbeträchtliche Bremswirkung ausübt. Körper, deren Orbitalgeschwindigkeiten eine auf diese Weise erzwungene außergewöhnliche Regression erfahren, spiralen über kurze Zeitskalen hinweg in das Massenzentrum (in unserem Fall die Sonne) und sind somit als Planetenbausteine verloren.

Da in unserem Sonnensystem allerdings die Existenz sowohl von Planeten, und darüber hinaus auch die von Asteroiden, als hinreichend gesichert angenommen werden kann, stellte sich über Jahrzehnte die Frage nach der Vereinbarkeit der Existenz der (beispielsweise) Erde mit den grundlegendsten Prinzipien der astrodynamischen Orbitmechanik.

Eine kürzlich in numerische Simulationsrechnungen eingeführte „inflationäre Phase“ während der Wachstumsphase der Staubaggregate könnte nun einen belastbaren Ausweg aus diesem Dilemma aufzeigen.

NASA
Kollision zweier Planetesimale (künstlerische Darstellung)
(Bild: NASA)

Der Entwurf einer inflationären Phase ist nicht neu. Ihr vielleicht bekanntester Vertreter ist im Rahmen der Big-Bang-Theorie jene Zeitspanne, in der sich das Universum in seiner Frühphase mit einem Vielfachen der Lichtgeschwindigkeit ausdehnte, was übrigens trotz wiederholt hartnäckig vorgetragenen gegenteiligen Behauptungen nicht im Widerspruch zur Allgemeinen Relativitätstheorie steht, da sich während der inflationären Phase kein Signal im Raum, sondern dieser selbst sich ausbreitet.

Nimmt man nun ein schwunghaftes Wachstum von Sub-Meter-Körpern zu Multi-Kilometer-Körpern an, ist ein Stadium genügend großer Bewegungsenergie erreicht, um den abbremsenden Faktor des Gases zu überwinden. Und tatsächlich scheinen die heute zu beobachtenden Asteroiden die Annahme einer inflationären Wachstumsphase in ihrer frühesten Kindheit untermauern zu können: Bekanntlich existiert eine fast schon unüberschaubare Anzahl von Asteroide unter 1 Kilometer Durchmesser. Betrachtet man Größen über 1 Kilometer, nimmt ihre Zahl jedoch drastisch ab.

Unter Berücksichtigung der Impakt- und Rekonfigurationsprozesse, die sich seit ihrer Entstehung bis in die Gegenwart abgespielt haben, ist die Befürwortung von innerhalb einer inflationären Phase rasend schnell anwachsenden Aggregaten zu Asteroiden mit Durchmessern von mehreren hundert Kilometern (wenigstens jedoch 100 km) der einzig überzeugende Weg, um die heutige Größenverteilung der Asteroiden innerhalb des Hauptgürtels bündig erklären zu können. Der seither über Äonen andauernde Fragmentierungsprozess führte schließlich zur stetigen Dezimierung der Großkörper bis hin zur aktuellen Größenverteilung. Auch wenn es bei ihrem derzeitigen Anblick nur schwer nachvollziehbar scheint, wurden Asteroiden wohl nicht klein, sondern groß geboren und führen seither das sonderbare Leben des Benjamin Button.

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