Die deutsche und europäische Raumfahrt befindet sich an einem Scheideweg, sagte Professor Wittig vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt am vergangenen Donnerstag in Berlin.
Autor: Karl Urban. Vertont von Dominik Mayer.
Die deutsche und europäische Raumfahrt befindet sich an einem Scheideweg, sagte Professor Wittig, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) am vergangenen Donnerstag in Berlin. Anfang jeden Jahres veranstaltet das DLR eine Pressekonferenz, um über die wichtigsten Ereignisse im angelaufenen und im zurückliegenden Jahr zu berichten. Raumfahrer.net besuchte die Pressekonferenz im Maritim-Hotel in Berlin.
Es ist gerade mal ein Monat vergangen, seit das DLR in große Bedrängnis geriet, da der Deutsche Bundestag mehr als 20 Prozent des nationalen Raumfahrtbudgets streichen wollte. Nach intensiven Bemühungen gelang es, dieses Vorhaben abzuschwächen: Man kürzte „nur“ 14 statt 20 Prozent sowie einen Teil der Beiträge für die Europäische Raumfahrtagentur ESA.
In Deutschland und Europa müssen nun kreative Lösungen gefunden sowie unbequeme Fragen beantwortet werden. Denn neben den Budgetkürzungen befindet sich die europäische Trägerrakete Ariane in einer Krise, nachdem die neueste Version im Dezember 2002 kurz nach dem Start notgesprengt werden musste. Außerdem streitet sich Deutschland weiter um den Führungsanspruch beim Europäischen Satellitennavigationssystem Galileo. Weitere Probleme bereitet auch Europa der Ausfall der amerikanischen Shuttle-Flotte durch den tragischen Columbia-Absturz sowie die Verschiebung des Starts der Kometensonde Rosetta.
Bei allen Problemen sieht das DLR aber optimistisch in die Zukunft. Einer der Gründe dafür sind die Veränderungen in der Europäischen Union (EU). So wird derzeit diskutiert, welche Rolle die Raumfahrt in der EU spielen soll. Professor Wittig meinte dazu: „Wir brauchen neue Raumfahrtstrukturen für Europa. Nur ein Europa mit den strategischen Fähigkeiten, die die Raumfahrt bietet, wird in der Welt eine Rolle spielen.“ Das Geld für die zukünftige europäische Raumfahrt müsse aus der EU kommen – und das bedeutet einen erheblichen Anstieg weit über die heutigen Mittel der ESA hinaus. Die ESA soll nach Wittig weiterhin die Europäische Raumfahrtagentur bleiben, jedoch muss auch sie reformiert werden, da das Prinzip „ein Land eine Stimme“ bei mehr Mitgliedern nicht aufrechterhalten werden kann. Nationale Forschungshaushalte müssen jedoch erhalten bleiben, um die heimische Industrie wettbewerbsfähig zu halten. Dies sagte er auch in Richtung der gerade beschlossenen Kürzungen der DLR-Gelder: Weitere Einsparungen könnten im Land einen großen wirtschaftlichen Schaden anrichten, da an nationalen Raumfahrtprojekten viele Institute, Universitäten und Unternehmen mit umfangreichen eigenen Mitteln beteiligt sind.
Trotz den zurückliegenden Fehlschlägen in der europäischen Raumfahrt steht man hier im weltweiten Vergleich mit an der Spitze: Der im Februar 2002 gestartete Umweltsatellit Envisat verschafft Europa im Bereich der wissenschaftlichen Erderkundung gegenüber den USA sogar einen Vorsprung. Die kommenden Jahre warten außerdem mit hochinnovativen Projekten auf: Im Mai oder Juni 2003 wird sich beispielsweise die Sonde Mars Express auf den Weg zum Roten Planeten machen. Mit an Bord führt sie das Landefahrzeug Beagle 2. An beiden Vehikeln sind auch deutsche Wissenschaftler beteiligt.
Der Zeitplan zum Ausbau der Internationalen Raumstation (ISS) dürfte sich nach Professor Wittig durch den Absturz der Columbia wohl etwas verzögern. Europa, so betonte er, sei aber „on time“: Das Modul Columbus sei wie geplant im Oktober 2004 startbereit. Da dessen Transport ins All aber mit einem Space Shuttle durchgeführt werden muss, rechnet er mit einer Verschiebung des Starts. Ebenfalls im Oktober 2004 soll das erste unbemannte europäische Versorgungsraumschiff ATV (für Automated Transfer Vehicle) zur ISS starten. So leistet Europa dann auch einen entscheidenden Beitrag zur Versorgung der Station, die im Moment durch den Shuttleausfall von Russland allein versorgt werden muss.
Das Fazit der Jahrespressekonferenz des DLR ist unmissverständlich: Die Raumfahrt befindet sich derzeit in der Krise – mit einigen Reformen und einem starken Willen ist diese aber überwindbar. Europa spielt schon heute eine entscheidende Rolle in der weltweiten Raumfahrt und diese Bedeutung wird noch zunehmen.