Der Pluto

Frühe Gedanken über eine Mission zu Pluto.

Ein Beitrag von unserem Gastautor Christian Ackermann, 10. November 2001.

Hinweis: Der folgende Text wurde 2001 geschrieben, als Pluto noch als Planet eingestuft war. Im August 2006 beschloss die IAU (International Astronomical Union) eine neue Definition, was ein Planet ist. Seitdem zählt Pluto nicht mehr zu den (nunmehr acht) Planeten, sondern ist ein so genannter „Zwergplanet“.

Wenn man ein astronomisches Buch von 1970 aufschlägt um darin den Aufbau des Sonnensystems nachzublättern, so wird man auf ein relativ kleines Kapitelchen stoßen, das jeden Planeten in wenigen Absätzen abhandelt. Bildmaterial konnte man gerade noch von Venus, Mars, Jupiter und Saturn finden, Aufnahmen, die identisch auch in anderen Publikationen dieser Zeit abgedruckt sind – warum? Es kursierten damals nur wenige (bis auf Mars ausschließlich teleskopisch gewonnene) Fotos, die einigermaßen Detailreich waren. Merkur, Uranus und Neptun? Fehlanzeige: da sieht man nichts bis auf eine strukturlose kleine Scheibe, wird man lesen.
30 Jahre später hat sich das Bild deutlich gewandelt. Dank einiger großartiger Missionen unbemannter Raumsonden, sind uns die Planeten des Sonnensystems und viele ihrer Monde jetzt so vertraut wie die Ehe der Familie Becker, wobei analog zu unserem Unvermögen sich deren Luxusleben vorzustellen, die Dimensionen des Sonnensystems nach wie vor eine ziemlich abstrakte Angelegenheit darstellen.

Wenn man jetzt über die gesammelte Ahnungslosigkeit der Menschen von 1970 lachen möchte, dann sollte man zuvor noch mal kurz Luft holen und bemerken, dass in der obigen Aufzählung der Planeten ja einer fehlte: Pluto. Ach und wie schaut der aus: Fehlanzeige. 1970 lässt grüßen.

Pluto verdankt sein Status als Planet eigentlich einer Verlegenheit der Astronomen: seit der Entdeckung des Neptun 1846, hatte man einen massenreichen Planeten, den „Transneptun“ postuliert, der die Ursache für ansonsten unerklärliche Störungen in den Umlaufbahnen der bis dato bekannten Planeten sein sollte. Doch Pluto, 1930 per Zufall gefunden, taugte dafür von Anfang an nicht. Mit optischen Instrumenten von der Erde konnten keinerlei Strukturen seiner Oberfläche aufgelöst werden, womit immerhin klar war, dass er für seine zugedachte Rolle zu leichtgewichtig sein musste, zwischen 20.000 und 5.000 km Durchmesser wurden ihm attestiert. Die geringe Größe und die ungeheure Entfernung (Plutos Abstand zur Sonne schwankt zwischen 4.3*10^9km (Perihel) und 7.4*10^9 km (Aphel), die Periode beträgt 248 Jahre) machen erdgebundene Beobachtungen extrem schwierig. Folglich gab es für Jahrzehnte praktisch keinen Erkenntniszuwachs, bis 1978 gezeigt werden konnte, dass Pluto in nahem Abstand (etwa 20000 km) einen Mond, Charon, besitzt. Wesentlich näher dürfte Charon Pluto übrigens nicht kommen, sonst würde er durch Gezeitenkräfte zerrissen werden. 1988 wurde dann eine dünne, hauptsächlich aus Stickstoff und Methan bestehende Atmosphäre um Pluto entdeckt. Über verschiedene Methoden war es schließlich möglich, die Durchmesser der beiden Himmelskörper zu bestimmen, für Pluto darf man von 2.400, für Charon von 1.200 km ausgehen (das entspricht einer Relation von 2:1 und damit dem geringsten relative Größenunterschied zweier gravitativ gebundener größerer Körper im bekannten Sonnensystem; auf Platz 2 das Erde/Mond-System mit etwa 3,66:1).

Pluto hatte übrigens Schweineglück: Denn erst vor kurzem wurde ihm von der Internationale Astronomische Union endgültig der Status eines Planeten zuerkannt – knapp, denn es hat sich inzwischen gezeigt, dass jenseits seiner Bahn noch eine ganze Reihe größerer Körper existieren (etwa 10^5 > 100 km), die den lange vermuteten „Kuiper Gürtel“ bilden, jenen wahrscheinlichen Überrest der protoplanetarischen Scheibe von Gas und Staub, aus der das Sonnensystem vor Jahrmiliarden aggregierte, und der allem Anschein nach die Quelle kurzperiodischer (Umlaufzeit unter 200 a) Kometen darstellt. Insofern ist Pluto nur einer unter vielen Objekten da draußen, wenngleich auch das größte.

Wenn nun die Erkenntnislage über Pluto zwischenzeitlich von 4 gut gemeinten Absätzen auf den Umfang eines mittleren Revue-Artikels in einem wissenschaftlichen Fachmagazin angewachsen ist, es ist wie mit Staubsaugern: der bunteste Prospekt ersetzt den Vertreter vor Ort doch nicht. Das dachten sich auch Gruppen innerhalb der NASA und setzten in den vergangenen 20 Jahren verschiedentlich das Projekt eines „Pluto-Express“ auf die Tagesordnung, der schließlich als „Pluto/Kuiper Express“ (PKE) in die Entwicklung durch das Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA im Pasadena/Kalifornien für einen Start 2004 ging. Vorgesehen war dabei eine reine Vorbeiflugmission einer Sonde, also kein Einschwenken in einen Orbit. Bei einer Relativgeschwindigkeit PKE/Pluto von 18 km/s würde ein solches Manöver große Mengen an Treibstoffen erfordern, was das Gewicht der Sonde und infolge dessen die Kosten des Projekts gewaltige Ausmaße annehmen ließe. Auch in der Vergangenheit bestanden Erstkontakte zu Planeten stets aus relativ einfachen Vorbeiflugmissionen. Die heiße Phase der wissenschaftlichen Observationen beträgt dann zwar meist nur wenige Stunden, es sind aber diese Ergebnisse, die dann den Bau hochspezialisierter Nachfolgeprojekte überhaupt erst sinnvoll machen.

Die Hoffnung auf eine reibungslose Realisierung des PKE währte allerdings nur kurz, denn im Herbst vergangenen Jahres erhielt das JPL die Anweisung, die Projektarbeiten unverzüglich einzustellen, nachdem das gesetzte Kostenlimit von 400 M$ nicht mehr eingehalten werden konnte. Die wissenschaftliche Gemeinde reagierte darauf mit heftigen Protesten, das Team des parallel zu entwickelnden Europa-Orbiters (eine geplante Mission zur Erkundung des Jupitermondes Europa, bei der u.a. nach biologischen Aktivitäten gesucht werden soll) bot sogar an, sein Projekt befristet zurückzustellen, um die Realisierung des PKE zu ermöglichen. Denn die Zeit drängt: Pluto erreichte 1989 sein Perihel und entfernt sich nun zusehends von der Sonne. Die resultierende fortschreitende Abkühlung seiner Oberfläche wird seine Atmosphäre nach Einschätzung der Planetologen innerhalb der nächsten 20, 30 Jahre kollabieren lassen. Bei einem Starttermin 2004 hätte der PKE mit einer preiswerten Delta-Trägerrakete gestartet und die Flugzeit durch ein Jupiter Gravitationsmanöver trotzdem auf 8 – 12 Jahre beschränkt werden können; ein späterer Starttermin dehnt entweder die Flugzeit aus oder verlangt nach einer schubstärkeren und damit teureren Rakete, was einer Projektrealisierung entgegensteht.

Als Folge der Proteste entschloss sich die NASA im Dezember, das Projekt PKE erneut, dieses mal jedoch nicht intern sondern öffentlich auszuschreiben, mit einer Eingabefrist, die am 19. März dieses Jahres abläuft. Die Rahmenbedingungen lauten, dass die Projektkosten 500 M$ zur Basis 2000 nicht überschreiten dürfen; ein Starttermin ist nicht vorgegeben, Pluto sollte aber bis spätestens 2015 erreicht sein.
Zum Design des also immer noch möglichen neuen PKE lässt sich zur Zeit naturgemäß nicht viel sagen, es steht aber dennoch zu erwarten, daß es sich an den Europa-Orbiter anlehnen wird. Der alte PKE sah eine hochintegrierte Bauweise unter Verwendung von Industriestandardkomponenten vor (was man da z.B. so kennt: einen PCI-Bus). Bei einer Gesamtmasse von knapp 600 kg wären lediglich 7 kg auf die aktive wissenschaftliche Nutzlast entfallen. Dies hätte genügt, um zumindest 3 primäre Zielsetzungen zu erfüllen:

1. die Charakterisierung der globalen Geologie und Morphologie von Pluto und Charon (Zielsetzung: 1 km Strukturauflösung aus 100.000 km Abstand mit entsprechendem monochromatischen optischen Abbildungssystemen);
2. die Kartierung der oberflächlichen Zusammensetzung beider Körper und
3. die Beschreibung der neutralen Atmosphäre von Pluto und der Rate ihres Entweichens (Plutos Gravitation ist nicht in der Lage, die Atmosphäre dauerhaft zu halten, sie dürfte bei jeder Perihelpassage erneut durch Ausgasungen der festen Eismassen auf seiner Oberfläche entstehen).

Wie auch immer der neue PKE gestaltet wird, nach seiner Pluto-Passage wären seine Aufgaben noch lange nicht erfüllt. Denn es ergibt sich rein rechnerisch, daß die Sonde auf ihrem weiteren Weg aus dem Sonnensystem in mittelbare Nähe (75 Mkm, vermutlich deutlich weniger) einiger größerer Objekte des Kuiper-Gürtels gelangen und Gelegenheit haben wird, auch diese zu untersuchen. Überhaupt dürften unsere Kenntnisse dieses Bereichs im Übergang zum Interstellaren Raum durch eine solche Mission dramatisch wachsen. Da wünschte man sich doch, dass auch nur ein einzelner Shuttle-Start gestrichen würde um die freiwerdenden finanziellen Ressourcen genau da hineinzustecken wo neues Wissen wirklich entsteht. Denn eines ist klar: so bescheuert unwissend wie die vor 30 Jahren stehen wir heute auch da, wir wissen es nur noch nicht wirklich.

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