Der Asteroid Šteins und der YORP-Effekt

In einem Fernrohr betrachtet erscheint der Asteroid (2867) Šteins lediglich als ein unscheinbarer Lichtpunkt mit einer absoluten Helligkeit von 12,9 Magnitude, über den bisher nur sehr wenig bekannt war. Dies änderte sich, nachdem die europäische Kometensonde Rosetta dem Asteroiden am 5. September 2008 einen kurzen Besuch abstattete.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Max-Planck-Gesellschaft, Science, ESA. Vertont von Peter Rittinger.

MPS für das OSIRIS-Team (MPS/UPD/LAM/IAA/RSSD/INTA/UPM/DASP/IDA)
Diese Animation des Rosetta-Vorbeifluges an dem Asteroiden wurde aus Einzelaufnahmen der OSIRIS-Kamera erstellt.
(Bild: MPS für das OSIRIS-Team (MPS/UPD/LAM/IAA/RSSD/INTA/UPM/DASP/IDA))

Der Asteroid (2867) Šteins umkreist die Sonne in etwas mehr als vier Jahren auf einer Umlaufbahn im Hauptasteroidengürtel unseres Sonnensystems zwischen den Planeten Mars und Jupiter. Er gehört zur seltenen Klasse der E-Typ-Asteroiden, deren Oberfläche mit dem Mineral Enstatit bedeckt ist. (2867) Šteins ist der erste E-Typ-Asteroid, der von einer Raumsonde untersucht werden konnte. Passend zu dieser Asteroidenklasse konnte der Albedowert von (2867) Šteins, welcher das Rückstrahlvermögen von einfallenden Licht beziffert, auf einen Wert von 0,35 bestimmt werden. Der Unsicherheitsfaktor beträgt dabei 0,05.

Rosetta näherte sich der Oberfläche des Asteroiden am 5. September 2008 bis auf eine Entfernung von 803 Kilometern. Im Rahmen des Vorbeifluges konnten rund 60 Prozent der Oberfläche von (2867) Šteins mit dem OSIRIS-Kamerasystem abgebildet werden. Zum Zeitpunkt der größten Annäherung an den Asteroiden um 20:38 Uhr MESZ flog Rosetta mit einer relativen Geschwindigkeit von 8,6 Kilometern pro Sekunde an diesem vorbei. Um ihr Ziel dabei im Blickfeld der Instrumente zu halten, musste die Sonde ein schnelles und sehr anspruchsvolles Drehmanöver ausführen. In den vergangenen Monaten waren die an der Mission beteiligten Wissenschaftler mit der Auswertung der bei diesem Asteroiden-Vorbeiflug gesammelten Daten beschäftigt. Erste Ergebnisse wurden am 8. Januar 2010 in der renommierten Zeitschrift „Science“ veröffentlicht.

MPS für das OSIRIS-Team (MPS/UPD/LAM/IAA/RSSD/INTA/UPM/DASP/IDA)
Ein „Diamant im Weltall“ – mit Schönheitsfehlern.
(Bild: MPS für das OSIRIS-Team (MPS/UPD/LAM/IAA/RSSD/INTA/UPM/DASP/IDA))

Die aufgenommenen Bilder zeigen einen diamantförmigen Himmelskörper mit unregelmäßigen Abmessungen von etwa 5,9 x 4 Kilometern, woraus sich ein effektiver Durchmesser von etwa 5,3 Kilometern ableiten lässt. Die Oberfläche erscheint in einem eintönigen Grau und zeigt keinerlei farbliche Variationen. Morphologisch wird (2867) Šteins von geradlinig verlaufenden Bruchlinien, einer Kraterkette und einem etwa 2,1 Kilometer durchmessenden Krater in der Nähe des Südpols dominiert. Ein zweiter großer Krater konnte im Schattenbereich des Asteroiden identifiziert werden. Insgesamt zählten die Wissenschaftler 23 Krater mit Durchmessern von mehr als 200 Metern, welche teilweise mit Regolith aufgefüllt sind. Auffällig ist dagegen die proportional geringe Anzahl von kleineren Kratern. Größe, Verteilung und Struktur der Krater brachte die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass es sich bei (2867) Šteins nicht um einen kompakten Körper handelt, sondern vielmehr um einen sogenannten „Rubble Pile“.

Dies ist in der Planetologie die Bezeichnung für einen Himmelskörper, welcher sich aus mehreren Einzelteilen zusammensetzt. Die verschiedenen Trümmerstücke werden ausschließlich durch ihre eigene Gravitation zusammengehalten. Eine die Oberfläche überziehende Staubschicht erweckt dabei den Eindruck, dass es sich um kompakte Körper handelt. Damit die bei der Rotation auftretende Zentrifugalkraft diese „Geröllhaufen“ nicht auseinanderreißt, darf ihre Rotationsperiode einen Zeitraum von etwa zwei Stunden nicht unterschreiten. Dazu passend beträgt die Rotationsdauer von (2867) Šteins sechs Stunden und drei Minuten.

Desweiteren erklärt sich durch diesen losen Zusammenhalt der einzelnen Bestandteile auch die ungewöhnliche konische Form des Asteroiden, welche ihm auch den Spitznamen „Diamant im Weltall“ eingebracht hat. Bei dieser Verformung, so die an der Studie beteiligten Wissenschaftler, handelt es sich um ein Resultat des sogenannten Yarkovsky-O’Keefe-Radzievskii-Paddack-Effekts, kurz YORP-Effekt. Dieser beschreibt die Auswirkungen der Sonneneinstrahlung auf einen kleinen Himmelskörper, durch welche sich dessen Rotationsverhalten verändern kann.

MPS für das OSIRIS-Team (MPS/UPD/LAM/IAA/RSSD/INTA/UPM/DASP/IDA)
Der Asteroid in mehreren Phasen des Vorbeifluges.
(Bild: MPS für das OSIRIS-Team (MPS/UPD/LAM/IAA/RSSD/INTA/UPM/DASP/IDA))

Die eingehende Sonnenstrahlung heizt die Oberfläche des Asteroiden auf. Diese Wärme wird anschließend wieder als Infrarotstrahlung abgegeben. Bei einem völlig symmetrisch geformten Körper hat diese Emission keinen Einfluss auf dessen weiteres Rotationsverhalten, da die Strahlung immer gleichmäßig in alle Richtungen abgegeben wird. Ist die Asteroidenoberfläche jedoch unregelmäßig geformt, so erfolgt die Wärmeabgabe nicht gleichmäßig und es entsteht ein geringes Drehmoment. Über längere Zeiträume verlangsamt oder beschleunigt dieses Drehmoment die Rotationsgeschwindigkeit des Himmelskörpers und verändert zudem seine Rotationsachse. Dieses veränderte Rotationsverhalten führt schließlich bei einem lose zusammengesetzten „Rubble Pile“ auch zu einer Veränderung der äußeren Gestalt.

Die Aufnahmen der OSIRIS-Kamera konnten den direkten Nachweis des YORP-Effekts auf den Asteroiden (2867) Šteins erbringen. „Die detaillierte Analyse unserer Bilder weist darauf hin, dass der YORP-Effekt auch bei Asteroiden im Hauptgürtel eine entscheidende Rolle spielen kann. Dies war bisher nicht klar“, so Dr. Horst Uwe Keller vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, welcher auch der Hauptautor des „Science“-Artikels ist.

Die ESA-Sonde Rosetta wurde am 2. März 2004 an Bord einer Ariane-5-Rakete gestartet und wird ihr eigentliches Ziel, den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko, am 1. Mai 2014 erreichen. Auf dem Weg zu ihrem Ziel passierte Rosetta in den letzten Jahren drei Mal die Erde und ein Mal den Mars. Die Raumsonde wird nach ihrer Ankunft in eine Umlaufbahn um den Kometen einschwenken und erstmals in der Geschichte der Weltraumforschung eine Landeeinheit auf einem Kometenkern absetzen. Das Aufsetzten des Landers Philae ist nach dem jetzigen Stand für den November 2014 vorgesehen. Vorher wird Rosetta jedoch noch einen weiteren nahen Vorbeiflug an einem Asteroiden absolvieren. Bereits am 10. Juli 2010 wird die Sonde den ebenfalls im Hauptasteroidengürtel beheimateten und etwa 100 Kilometer durchmessenden Asteroiden (21) Lutetia in einer Entfernung von etwa 2.000 Kilometern passieren und mit den wissenschaftlichen Instrumenten analysieren.

An Bord von Rosetta und Philae befinden sich elf beziehungsweise neun Instrumente zur Untersuchung des Zielkometen. An der Mission arbeiten Wissenschaftler aus 14 europäischen Nationen sowie weitere Forscher aus Kanada, den USA und Australien. Aus Deutschland sind die drei Max-Planck-Institute für Sonnensystemforschung (Katlenburg-Lindau), Chemie (Mainz) und extraterrestrische Physik (Garching) vertreten. Das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung ist dabei in Zusammenarbeit mit internationalen Teams an jeweils fünf Instrumenten auf dem Orbiter Rosetta und auf dem Lander Philae beteiligt. Hierbei hat das Lindauer Institut die Leitung für das Kamerasystem OSIRIS, den Staubdetektor COSIMA und den Gaschromatographen COSAC.

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