Der Ariane 5-Fehlschlag

Es hätte eine beeindruckende Antwort auf die Herausforderung durch neue Konkurrenten auf dem Markt für Satellitenstarts werden sollen.

Autor: Michael Stein. Vertont von Dominik Mayer.

Die neue „Ariane 5 ESC-A“ auf der Startrampe.
(Foto: ESA)

Stattdessen erlebte die europäische Raumfahrt am Mittwochabend ein Desaster, das kaum zu einem ungünstigeren Zeitpunkt hätte kommen können: Die neueste und leistungsstärkste Version der Ariane 5-Trägerrakete musste wenige Minuten nach dem Start um 23:17 Uhr (MEZ) gesprengt werden, da sie unkontrolliert Richtung Erde trudelte. Wir möchten Ihnen hier einen kurzen Überblick über den Weg der Ariane-Rakete bis hin zu diesem neuesten Trägersystem geben und einen Ausblick wagen, welche Folgen dieses Unglück haben könnte.

Die Entwicklung der Ariane 5
Bereits seit einiger Zeit zeichnete sich ab, dass das europäische Raumfahrtunternehmen Arianespace mit dem existierenden Angebot an Trägerraketen für die kommerzielle und institutionelle Kundschaft auf Dauer nicht wettbewerbsfähig bleiben würde. Zwar hatte der grandiose Erfolg der überaus zuverlässigen europäischen Trägerrakete Ariane 4 das vorher bestehende russisch-amerikanische Monopol für Satellitenstarts erfolgreich durchbrechen und zuletzt sogar mehr als 50 Prozent des Marktes für kommerzielle Satellitenstarts erobern können, aber für zukünftige Herausforderungen war diese „alte Dame“ nicht gerüstet.

Die Satelliten wurden mit der Zeit immer größer und schwerer, so dass die Ariane 4 an ihre Grenzen stieß. Was lag da näher, als die zunächst vorrangig für den Transport des europäischen Raumtransporters Hermes in einen Erdorbit entwickelte Nachfolgerin Ariane 5 für diese Aufgaben heranzuziehen? Die weitere Produktion der Ariane 4 wurde also eingestellt (das letzte Exemplar dieses Typs wird im Frühjahr 2003 starten).

Ein holpriger Start
Leider erwies sich die Ariane 5 als deutlich unzuverlässiger, was auch der Tatsache geschuldet sein mag, dass es sich hierbei zum ersten Mal seit den Tagen der Ariane 1 zu großen Teilen um eine Neuentwicklung handelt – alle früheren Ariane-Familien hatten das Design der „Ur-Ariane“ nur evolutionär in relativ kleinen Schritten weiterentwickelt.

Schon der Jungfernflug der Ariane 5 im Juni 1996 endete in einem spektakulären Feuerwerk, als die Rakete aufgrund eines Softwarefehlers unkontrollierbar wurde und nur kurz nach dem Start mitsamt ihrer Nutzlast – den vier europäischen Cluster-Forschungssatelliten – gesprengt werden musste. Erst dreieinhalb Jahre und zwei Testflüge später, im Dezember 1999, nahm die Ariane 5 mit dem ersten zahlenden Kunden an Bord – dem europäischen Röntgenstrahlenteleskop XMM-Newton – den regulären kommerziellen Betrieb auf.

Doch schon sechs Flüge später dann der nächste Fehler: Beim insgesamt elften Start dieses Raketentyps versagte das Triebwerk der Oberstufe teilweise, es erzeugte weniger Schub und schaltete sich rund eine Minute früher ab, als vorgesehen. Die aus zwei Satelliten bestehende Nutzlast wurde in einer viel niedrigeren Umlaufbahn als geplant ausgesetzt, so dass einer der beiden Satelliten – ein japanischer Kommunikationssatellit – verloren war. Der zweite Satellit hatte mehr Glück: Neben einem chemischen Triebwerk war der europäische Kommunikationssatellit Artemis auch mit experimentellen Ionentriebwerken ausgestattet, die es ihm ermöglichten, im Laufe mehrerer Monate doch noch die vorgesehene geostationäre Umlaufbahn zu erreichen. Insgesamt also war damit eine weitere Ariane 5-Mission zu verzeichnen, die als Fehlschlag zu werten war. (Dass Artemis aufgrund der erwähnten glücklichen Umstände dennoch seine geplante Umlaufbahn erreichte, ändert nichts an der Tatsache, dass das Trägersystem erneut nicht wie vorgesehen funktioniert hatte.)

Der nächste Start nach diesem Semi-Fehlschlag folgte im März 2002 nach einer gründlichen Überprüfung des Oberstufentriebwerks, und glücklicherweise verlief dabei alles glatt – nicht wenige Wissenschaftler dürften Stoßgebete gen Himmel geschickt haben, als der gigantische europäische Erdbeobachtungssatellit ENVISAT an der Spitze der Ariane 5-Rakete abhob, denn bei einem Scheitern dieser Mission wäre angesichts leerer öffentlicher Kassen und der enormen Kosten dieses Forschungssatelliten anders als bei den Cluster-Satelliten wohl kein Ersatzmodell gebaut worden.

Der ENVISAT-Mission folgten dann noch zwei weitere fehlerfreie Starts im Juli und August 2002, bevor es nun erneut zu einem herben Rückschlag kam. Ganz abgesehen von dem erschütterten Vertrauen in die gesamte Ariane 5-Trägerfamilie ist für die europäische Raumfahrt dieser letzte Fehlschlag vor allem deswegen so problematisch, weil bei diesem Flug erstmals eine leistungsstärkere Raketenversion zum Einsatz kam, die Ariane 5 ESC-A oder auch Ariane 5 Plus.

Die Ariane 5 ESC-A und ESC-B
Die Ariane 5 war für den Transport eines Satelliten eigentlich etwas zu groß geraten, weswegen es um ihre Konkurrenzfähigkeit nicht zum Besten bestellt war – beim Entwurf stand eben die Aufgabe als Trägersystem für den europäischen Raumtransporter Hermes im Vordergrund. Um also wettbewerbsfähig bleiben zu können, musste reagiert werden: Die naheliegendste Option war das „Upgrading“ des Trägersystems, um den gleichzeitigen Transport zweier Satelliten in eine geostationäre Umlaufbahn zu ermöglichen, wodurch sich die Startkosten pro Satellit erheblich senken lassen.

Zu diesem Zweck wurden gleich mehrere Modifikationen vorgenommen, die unter der Typenbezeichnung Ariane 5 ESC-A zusammengefasst wurden. Die Spitzen der beiden Ariane 5-Feststoffbooster wurden so verändert, dass sie jeweils 2,4 Tonnen Treibstoff zusätzlich aufnehmen konnten, wodurch der von den Boostern erzeugte Schub um rund 5 Prozent gesteigert wurde. Die erste Stufe der Rakete erhielt ein neues, leistungsstärkeres Vulcain 2-Triebwerk, sowie einen größeren Tank für flüssigen Sauerstoff, und die Oberstufe schließlich wurde mit einem leistungsstärkeren, bereits in der Ariane 4 erprobten Triebwerk und ebenfalls größeren Treibstofftanks ausgestattet. Insgesamt konnte durch diese Maßnahmen die maximale Nutzlast für einen geostationären Orbit auf 10 Tonnen (beim gleichzeitigen Transport von zwei Satelliten) gesteigert werden.

Für das Jahr 2006 (bisheriger Zeitplan) ist die Einführung einer nochmals leistungsstärkeren Version geplant. Die Oberstufe der geplanten Ariane 5 ESC-B wird mit einem neuen Vinci-Triebwerk ausgestattet, das nicht nur die maximale Nutzlast auf 11 Tonnen (beim gleichzeitigen Transport von zwei Satelliten) steigern, sondern erstmals auch ein mehrmaliges Zünden des Triebwerks ermöglichen soll, was flexiblere Missionsverläufe möglich machen wird.

Der Fehlschlag vom 11. Dezember
Der erste Start der Ariane 5 ESC-A verlief zunächst problemlos. Das Triebwerk der ersten Stufe sowie die beiden Feststoffbooster zündeten und brachten die Rakete mit einem Kommunikationssatelliten und einem Technologieerprobungssatelliten als Nutzlast auf den Weg. Doch noch vor dem Abtrennen der beiden Feststoffbooster 137 Sekunden nach dem Start (T +137 Sek.) zeigten die Telemetriedaten der Rakete erstmals eine Unregelmäßigkeit an: Bei T +96 Sek. trat ein Druckverlust im Kühlsystem des neuen Vulcain 2-Triebwerks der ersten Raketenstufe auf. Zwischen T +178 Sek. und T +186 Sek. kommt es dann zu einem schwerwiegenden Triebwerksproblem, das Probleme mit der Flugkontrolle der Ariane 5 nach sich zieht. Die bei T +187 Sek. planmäßig erfolgende Abtrennung der Nutzlastverkleidung markiert dann den Beginn des vollkommenen Verlusts der Kontrolle über die Ariane 5 durch die Bodenstation innerhalb der folgenden zehn Sekunden. Von der zu diesem Zeitpunkt erreichten Höhe von 150 Kilometern aus trudelte die Ariane während der nächsten Minuten über den Atlantik, bis schließlich bei T +455 Sek. in 69 Kilometern Höhe aus Sicherheitsgründen die Sprengung der Rakete erfolgte.

Die ersten Analysen der Telemetriedaten legen den Verdacht nahe, dass die Ursachen für diesen Fehlschlag beim neuen Vulcain 2-Triebwerk der ersten Stufe zu suchen sind. Weitergehende Erkenntnisse über die genaue Fehlerursache sind nach Aussagen von Arianespace im Moment noch nicht verfügbar. Eine unabhängige Untersuchungskommission soll nun so schnell wie möglich die Ursache für das Scheitern des Jungfernfluges der Ariane 5 ESC-A ermitteln.

Die Auswirkungen des Fehlstarts
Darüber hinaus ist durch diesen dritten Fehlschlag von insgesamt 14 Ariane 5-Missionen auch das Vertrauen in die gesamte Trägerfamilie stark erschüttert worden. Natürlich muss man in Rechnung stellen, dass bei einer Neuentwicklung, wie sie die Ariane 5 darstellt, gerade zu Beginn der Einsatzphase grundsätzlich eine höhere Fehlerquote zu erwarten ist. Unglücklicherweise aber hat sich die Konkurrenzsituation in den letzten Jahren stark gewandelt. Während die Ariane 4 jahrelang kaum ernsthafte Wettbewerber hatte, sieht sich die Ariane 5 gleich mehreren, zum Teil brandneuen Herausforderern gegenüber: Die japanische Raumfahrtindustrie kann auf eine einhundertprozentige Erfolgsquote bei den bisher vier erfolgten Starts ihrer H-2A-Rakete verweisen (die allerdings von der Transportkapazität her eher mit der Ariane 4 vergleichbar ist), und die amerikanischen Konkurrenten haben in den letzten Monaten ihre neuen Raketenfamilien Atlas 5 und Delta 4 erfolgreich debütieren lassen.

Insbesondere die amerikanische Konkurrenz bietet mit diesen beiden stark standardisierten und modular aufrüstbaren Raketenfamilien der Kundschaft Trägersysteme an, deren Leistungsfähigkeit und Flexibilität mit der Ariane 5 vergleichbar sind. Es wird harter Arbeit und etlicher erfolgreicher Flüge bedürfen, bevor Arianespace wieder als gleichberechtigter Wettbewerber am Markt wahrgenommen wird. Gleichwohl: Eine Alternative dafür gibt es nicht, denn ein zweites Trägersystem, auf das die europäische Raumfahrt umsteigen könnte, ist nicht vorhanden.

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