Mit bisher unerreichter Genauigkeit sollen die beiden GRACE-Zwillinge das Schwerefeld der Erde vermessen und dadurch neue Erkenntnisse für verschiedene Wissenschaftsgebiete liefern.
Ein Beitrag von Michael Stein.
Am 17. März 2002 um 10:21 Uhr (MEZ) ist vom russischen Kosmodrom Plesetsk aus (rund 800 km nordöstlich von Moskau gelegen) das deutsch-amerikanische Satelliten-Duo GRACE („Gravity Recovery And Climate Experiment“) als Nutzlast einer russischen Rokot-Rakete gestartet worden – bei diesem Raketentyp handelt es sich übrigens um umgebaute SS-19 Interkontinentalraketen, ein Beispiel für die erfolgreiche Konversion militärischer Rüstungsgüter. Die beiden Satelliten sind danach in eine rund 500 km hohe polare Umlaufbahn eingeschwenkt und haben durch verschiedene Kurskorrekturen im Laufe der folgenden zwei Wochen einen Abstand von ca. 220 km zueinander eingenommen. Die beiden Satelliten wurden im Auftrag der NASA bei Astrium in Friedrichshafen gebaut und sollen mindestens fünf Jahre lang wissenschaftliche Daten zur Erde senden. Die Auswertung der Daten erfolgt unter anderem beim GeoForschungsZentrum in Potsdam, während die Flugkontrolle während der gesamten Missionsdauer vom Deutschen Raumfahrt-Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen (Bayern) aus erfolgt. Die GRACE-Mission ist Bestandteil des Earth System Science Pathfinder-Programms der NASA, das verschiedene spezialisierte wissenschaftliche Missionen umfaßt, die sich mit globalen Veränderungen des Ökosystems beschäftigen.
Worum geht es bei GRACE? Die Missionsbezeichnung verrät es eigentlich schon: Das Satelliten-Paar soll in hoher Auflösung das Schwerefeld der Erde und seine Veränderungen vermessen. Dabei wird durch den Einsatz zweier Satelliten die Messgenauigkeit gegenüber der (noch laufenden) Mission CHAMP um den Faktor 100 verbessert. Die Messung des Erdschwerefeldes wird erreicht, indem die Satelliten ständig ihre eigene Position mit Hilfe eines GPS-Systems sowie zweier Sternensensoren mit hoher Genauigkeit ermitteln und darüber hinaus den Abstand zwischen sich kontinuierlich mit Hilfe von Mikrowellen bis auf ein hundertstel Millimeter genau bestimmen. Wenn nun beispielsweise der voranfliegende GRACE-Satellit eine Massekonzentration überfliegt, wird seine Flugbahn und eben auch der Abstand zum nachfolgenden Zwillingssatelliten dadurch geringfügig verändert, was sich in den Messdaten niederschlägt.
Etwa alle 30 Tage wird die Mission ein komplettes Schwerefeld der Erde liefern. Neben dieser Hauptaufgabe erstellt jeder der beiden 490 kg schweren Satelliten bis zu 200 Profile der Temperaturverteilung und des Wasserdampfgehalts in der Atmosphäre und der Ionosphäre pro Tag, indem Veränderungen der empfangenen GPS-Signale auf ihrem Weg durch die Atmosphäre ausgewertet werden.
Was hat aber nun die Vermessung des Erdschwerefeldes mit dem Klima zu tun? Dieser Zusammenhang wird nachvollziehbar, wenn man weiß, das GRACE aufgrund seiner enormen Messgenauigkeit auch die Bewegung von Wassermassen registrieren kann – und die Bewegungen des Wassers sind natürlich für das Klima von eminenter Bedeutung, denn zum einen ist die Erde ein „blauer“ Planet, und zum anderen speichert und transportiert Wasser enorme Wärmemengen. Einem Europäer sollte der Hinweis auf den Golfstrom und dessen Auswirkungen auf das hiesige Klima genügen um klar zu machen, dass dieser Mechanismus in seiner Bedeutung für das Klima gar nicht überschätzt werden kann.
Erstaunlicherweise können auch Strömungen tief unter der Meeresoberfläche registriert werden, denn Strömungen treten immer dann auf, wenn der Druck an einer Stelle höher oder niedriger als an anderer Stelle des Meeres ist. Und der Druck im Meer ist proportional zur Summe des Gewichts der über einem bestimmten Punkt lastenden Luft- und Wassersäule – kein Gewicht aber ohne Masse, und Masseänderungen wiederum können von den GRACE-Satelliten registriert werden. Außer den Strömungen von flüssigem Wasser können auf diese Weise auch Bewegungen von großen Eismassen in den Polargebieten und auf Grönland durch die beiden Satelliten registriert werden, ebenso wie große Massebewegungen im Erdinneren. Die Auflösung der von dem Satelliten-Duo gelieferten Messwerte beträgt etwa 300 Kilometer.
Die am GRACE-Projekt beteiligten Wissenschaftler werden ihre Daten mit denen verschiedener anderer Satelliten und erdgebundenen Beobachtungsstationen kombinieren, um durch Herausrechnung bestimmter Massen genauere Aussagen über gewünschte Teilaspekte machen zu können. Und auch die Datenauswertung anderer Erdbeobachtungssatelliten wie z.B. ENVISAT wird von den genauen Erdschwerefelddaten dieser Mission profitieren.
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