Die spiralförmigen Vertiefungen im Bereich der polaren Eiskappen des Mars gehören zu den rätselhaftesten Geländeformationen innerhalb unseres Sonnensystem. Die tiefen Canyons am Nord- und Südpol unseres Nachbarplaneten bedecken eine Fläche von mehreren hundert Quadratkilometern. Jetzt glauben Wissenschaftler das Rätsel ihrer Entstehung gelöst zu haben.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: JPL, University of Arizona, University of Texas. Vertont von Peter Rittinger.
Seit die US-Raumsonde Mariner 9 Anfang des Jahres 1972 die erste Aufnahme des Marsnordpols angefertigt und an die Erde übermittelt hat, stellten sich Wissenschaftler die Frage, wie die auf den Bildern erkennbaren Formationen in den Polarregionen unseres Nachbarplaneten entstanden sein könnten. Besonderes Interesse erweckte dabei eine gewaltige Schlucht. Das Chasma Boreale ist ein gewaltiger Canyon von über 600 Kilometern Länge. Dieser Geländeeinschnitt ist bis zu 100 Kilometer breit und bis zu zwei Kilometer tief. Weitere Geländeeinschnitte verlaufen spiralförmig von innen nach außen und erinnern an ein riesiges Windrad. Erste Erklärungsversuche zur Entstehungsgeschichte dieser Canyons gingen in erster Linie von einem steten Kreislauf aus schmelzendem und wieder gefrierendem Wasser aus.
Im Jahr 2004 stellte zum Beispiel der Geowissenschaftler Jon Pelletier von der University of Arizona ein entsprechendes Entstehungsmodell vor. „Ich habe dabei spezifische Parameter angewandt, welche den Bedingungen auf dem Mars entsprechen und heraus kamen Spiralen, welche exakt den Landschaftsformen auf dem Mars entsprechen“, so Pelletier. „Sie haben den richtigen Abstand, sie weisen die richtige Krümmung auf und sie stehen in der richtigen Beziehung zueinander.“
Die Temperaturen auf der Oberfläche des Mars liegen meistens unter dem Gefrierpunkt und nur während der wenige Wochen andauernden Sommerperiode steigen sie im Bereich der Polarkappen weit genug an, um das dort befindliche Wassereis schmelzen zu lassen. Pelletier vertrat in seiner Theorie die Auffassung, dass in der Zeit des Marssommers bereits vorhandene Risse und Einschnitte auf der Oberfläche des Eises durch Sonnenlichteinstrahlung und die daraus resultierende Erwärmung noch weiter vertieft und erweitert werden, indem das Wassereis sublimiert.
Sobald der dadurch freigesetzte Wasserdampf anschließend wieder in die schattigen Bereiche eines Canyons gelangt, kondensiert der Dampf, gefriert erneut zu Wassereis und lagert sich auf der Oberfläche ab. Dieser Prozess hätte zur Folge, dass sich die eine Seite eines Canyons stetig ausdehnt, während die andere Seite langsam zurückweicht. „Die gegenwärtig auf dem Mars herrschenden Temperaturen sind gerade hoch genug um diese Landschaftsform auf diese Weise zu kreieren“, so Pelletier. „Die Spiralformen entstehen dabei, weil der ablaufende Schmelzprozess immer auf einen bestimmten Ort fokussiert ist.“
Laut Pelletier stellt ausschließlich das unterschiedliche Gefrieren und Schmelzen den Schüssel für die Entstehung der bizarrer Landschaftsformationen dar. Weitere Faktoren wie zum Beispiel die Einwirkung von Wind oder eine Wanderung der Polarkappen wurden bei den zugrunde liegenden Computersimulationen allerdings nicht berücksichtigt.
Andere Entstehungsmodelle gingen dagegen von einer vulkanischen Aktivität aus. Magma hätte demzufolge die polaren Eisschichten von unten erhitzt und zum Schmelzen gebracht, was wiederum eine gewaltige Flutkatastrophe ausgelöst hätte. Die dabei freigesetzten Wassermassen, so diese Theorie, hätte die Canyons ausgespült.
Seit der Entwicklung dieser Theorie konnten jedoch weiter Daten gesammelt werden, welche in die gegenwärtigen Forschungsarbeiten der Planetologen eingehen. So ermöglichen zum Beispiel die aktuelle Messungen der Radar-Instrumente SHARAD auf dem Mars Reconnaissance Orbiter der NASA und MARSIS auf dem von der ESA betriebenen Orbiter Mars Express auch einen Blick, welcher mehrere Kilometer tief unter die Oberfläche des Eises reicht.
Der Mars bewegt sich auf einer um mehr als 20 Grad gegenüber der Bahnebene des Planeten geneigte Rotationsachse um die Sonne. Dies hat, genauso wie auch auf der Erde, ausgeprägte Jahreszeiten und daraus resultierende dynamische Vorgänge in der Atmosphäre und auf der Planetenoberfläche zur Folge. Die beiden Polarkappen des Mars setzen sich zum größten Teil aus gefrorenem Kohlendioxid sowie einem geringeren Anteil an Wassereis zusammen. Die nördliche Polkappe verfügt während des nördlichen Marssommers über eine Ausdehnung von rund 1.000 Kilometern. Dabei erreicht sie eine Dicke von mehr als drei Kilometern. Die südliche Polkappe ist mit etwa 350 Kilometern Durchmesser und einer Dicke von lediglich 1,5 Kilometern deutlich weniger ausgedehnt.
Die Polarkappen dehnen sich im Winter in Richtung der gemäßigten Breiten aus und ziehen sich mit dem Einsetzen des Frühlings wieder zurück. Während des Marssommers sublimiert besonders die die Wassereisschicht bedeckende und bis zu mehrere Dezimeter dicke Schicht aus Kohlendioxid-Eis in die Marsatmosphäre. Im Gegensatz dazu bleibt der darunterliegende harte Kern aus Wassereis bestehen. Zeitgleich mit dem Einsetzten des Winters und dem dadurch bedingten erneuten Absinken der Temperaturen resublimiert das Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre und lagert sich erneut an den Polen ab. Ein Wechselspiel von Ablagerungen dunklen Materials, vor allem von Staub, während des Marssommers und der Bildung neuer Eisschichten im Laufe des Winters führt zur Entstehung einer deutlich erkennbaren Wechselablagerung, den sogenannten geschichteten Polarablagerungen oder, im englischen Sprachgebrauch, den Polar Layered Deposits.
„SHARAD gibt uns eine wunderschöne und detaillierte Ansicht der verschiedenen Eisablagerungen und der hier stattgefundenen Veränderungen während der letzten paar Millionen Jahre“, so Rich Zurek, einer der Projekt-Wissenschaftler der Mars Reconnaissance Orbiter-Mission vom Jet Propulsion Laboratory (JPL) in Pasadena/ Kalifornien. Durch die Analyse der Radarbilder können die auswertenden Wissenschaftler die unterschiedlichen Schichten wie eine Zwiebel „schälen“ und so deren geologische Entwicklung entschlüsseln und zugleich in einen zeitlichen Kontext setzen.
Die Wissenschaftler untersuchen dazu die Reflexionen der Radarsignale (sehen Sie dazu auch das nebenstehende Bild). Die weißen Linien repräsentieren die reflektierten Signale. Jede Linie kennzeichnet dabei eine weitere Schicht der verschiedenen Ablagerungen. Die Wissenschaftler analysieren die Dicke einer jeden Schicht. Aus dem unterschiedlichen Verlauf der Wölbungen und den Neigungswinkeln der einzelnen Schichten kann auf diese Weise rekonstruiert werden, wie die Oberfläche verlaufen ist, als sich die jeweilige Schicht abgelagert hat.
Die Messungen mit dem SHARAD-Radar haben gezeigt, dass diese Schichten unerwartet komplexe Strukturen und Brüche bilden. Daraus folgern die Wissenschaftler, dass sich die Polarregionen des Mars anders entwickelt haben müssen als vergleichbare Gebiete auf der Erde. Auf unserem Planeten verändern sich große Eismassen wie zum Beispiel die Gletscher in den Polarregionen und in den Hochgebirgen fortwährend, da das darin enthaltene Wassereis zähflüssig ist und sich somit langsam bewegt. Solche sich in geologischen Zeiträumen verhältnismäßig schnell abspielenden Prozesse sind dagegen auf dem Mars kaum von Bedeutung. Vergleichbare Prozesse auf dem Mars laufen deutlich langsamer und weitflächiger ab. Im Besonderen, so die Erkenntnis der Forscher, spielt dabei der ständig wehende starke Wind die Hauptrolle bei der Bildung der spiralförmigen Geländeformationen und des Chasma Boreale.
Allerdings hat der Wind diese Formationen nicht etwa aus einer bereits existierenden Eisschicht herausgeschnitten. Vielmehr bildeten sich die spiralförmigen Einschnitte im Verlauf von Hunderttausenden bis Millionen von Jahren zeitgleich mit dem kontinuierlich ablaufenden Prozess der Ablagerung von verschiedenen Eisschichten. Bestimmt wurde die Form der Spiral-Bildung dabei durch die ursprünglich zugrunde liegende Topografie des Geländes, durch bereits existierende ältere Eisschichten sowie durch die allgemein vorherrschenden Windrichtungen.
Wie erklären sich dabei jedoch die spiralförmigen Strukturen? Durch die relativ kalte und dichte Luft über den Polarregionen des Mars kommt es zum Auftreten von Fallwinden, welche aus den oberen Atmosphärenschichten nach unten verlaufen und sich anschließend über die Planetenoberfläche fortbewegen. In dieser Bewegung werden die Winde zusätzlich durch die Corioliskraft beeinflusst, welche wiederum durch die Rotation des Planeten hervorgerufen wird. Dieselbe Kraft ist zum Beispiel auch dafür verantwortlich, dass Hoch- und Tiefdruckgebiete auf der Erde auf der nördlichen und südlichen Hemisphäre jeweils in unterschiedliche Richtungen rotieren. Durch die Corioliskraft werden die Winde zudem in verschiedene Luftströmungen geteilt und formen so im Rahmen eines über mehrere Hunderttausende von Jahren andauernden Prozesses die verschiedenen spiralförmigen Einschnitte in den polaren Regionen des Mars.
Die hier kurz vorgestellten neuen Forschungsergebnisse wurden in der heutigen Ausgabe des Fachmagazins „Nature“ in zwei Artikeln veröffentlicht.
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