Das erste Ringsystem um einen Asteroiden

Astronomische Beobachtungen haben zu der überraschenden Entdeckung zweier schmaler Ringe geführt, welche den Asteroiden Chariklo umgeben. Dieses Mitglied des Kuiper-Gürtels ist somit nach den viel größeren Planeten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun das bei weitem kleinste Objekt, welches über ein bekanntes Ringsystem verfügt. Der Ursprung der dortigen Ringe bleibt derzeit allerdings noch ein Rätsel. Sie könnten die Folge einer kosmischen Kollision sein.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESO.

ESO, L. Calçada, Nick Risinger (Skysurvey.org)
Eine künstlerische Darstellung der erst kürzlich entdeckten Ringe, welche den im Kuipergürtel beheimateten Asteroiden Chariklo umgeben.
(Bild: ESO, L. Calçada, Nick Risinger (Skysurvey.org))

Jenseits der Umlaufbahn des Neptuns, des äußersten Planeten unseres Sonnensystem, erstreckt sich in einer Entfernung von etwa 30 bis 50 Astronomischen Einheiten zur Sonne – dies entspricht in etwa 4,5 bis 7,5 Milliarden Kilometern – der aus vermutlich mehreren zehntausend Objekten bestehende Kuipergürtel. Die vier größten der dort befindlichen Objekte wurden mittlerweile von der Internationalen Astronomischen Union (IAU) offiziell als Zwergplaneten klassifiziert. Trotz ihrer relativ großen Durchmesser von jeweils deutlich über 1.500 Kilometern fällt es den Astronomen aufgrund der großen Entfernungen zur Erde jedoch sehr schwer, diese vier Zwergplaneten Pluto, Haumea, Makemake und Eris im Detail zu untersuchen.

Speziell im Fall von Makemake gestaltet sich die Gewinnung neuer Erkenntnisse als besonders kompliziert. Wenn Himmelskörper von einem oder mehreren relativ massereichen Monden umkreist werden – und dies ist bei den anderen drei Zwergplaneten und vielen weiteren Kuipergürtel-Objekten der Fall – so kann anhand des Verlaufes und der Veränderungen in den Umlaufbahnen dieser Monde die ungefähre Masse der beteiligten Objekte abgeleitet werden.

Manchmal kommt den Astronomen bei der Untersuchung der Asteroiden und Zwergplaneten des Kuipergürtels jedoch auch eine spezielle, als Sternbedeckung oder auch „Okkultation“ bezeichnete astronomische Konstellation zu Hilfe. Hierbei zieht ein Planet oder Asteroid von der Erde aus betrachtet direkt vor einem Hintergrundstern vorbei und bedeckt diesen für einen kurzen Zeitraum. Aus dem Verlauf der sich dabei ergebenden Lichtkurven können die Astronomen verschiedene wichtige Daten wie zum Beispiel die Größe und Form eines Asteroiden oder die Existenz, die Ausdehnung und die Dichte einer eventuell vorhandenen Atmosphäre ableiten. Unter besonders günstigen Umständen lässt sich dabei sogar die Existenz eines den Asteroiden umkreisenden Mondes feststellen (Raumfahrer.net berichtete).

ESO, L. Calçada, M. Kornmesser, Nick Risinger (Skysurvey.org)
Der Zentaur (10199) Chariklo ist von zwei Ringen umgeben. Eine weitere künstlerische Darstellung.
(Bild: ESO, L. Calçada, M. Kornmesser, Nick Risinger (Skysurvey.org))

Die Sternbedeckung durch (10199) Chariklo im Jahr 2013
Am 3. Juni 2013 bedeckte der im Kuipergürtel beheimatete Zentaur (10199) Chariklo den Stern UCAC4 248-108672. Der bereits am 15. Februar 1995 entdeckte Asteroid verfügt über einen Durchmesser von etwa 258 Kilometern. In Kombination mit der während der Bedeckung gegebenen Entfernung zwischen (10199) Chariklo und der Erde konnten die Astronomen berechnen, dass diese Okkultation etwa 12 Sekunden andauern würde.

Diese sich im letzten Jahr ergebende Gelegenheit wurde deshalb von einem internationalen Astronomenteam für eine ausgedehnte Beobachtungskampagne genutzt. Die Astronomen beobachteten das nur von Südamerika aus sichtbare Ereignis mit sieben verschiedenen in Chile und Brasilien befindlichen Teleskopen. Zwei der dabei eingesetzten Teleskope, das 1,54-Meter-Danish-Telescope und das Teleskop TRAPPIST (kurz für „TRAnsiting Planets and PlanetesImals Small Telescope“), befinden sich an dem Standort La Silla der Europäischen Südsternwarte (ESO) in den chilenischen Anden.

Ein Ringsystem um Chariklo
Bei der Auswertung der dabei gewonnenen Daten zeigten sich mehrfach deutlich erkennbare „Ausschläge“ in der während der Bedeckung gewonnenen Lichtkurve, welche sich einige Sekunden vor und nach der eigentlichen „Hauptbedeckung“ ereigneten. Die gewonnenen Daten werden dahingehend interpretiert, dass der Asteroid von einem aus zwei Einzelringen bestehenden Ringsystem umgeben ist.

ESO, L. Calçada, M. Kornmesser, Nick Risinger (Skysurvey.org)
So könnte sich der Asteroid und dessen Ringsystem einem Besucher präsentieren.
(Bild: ESO, L. Calçada, M. Kornmesser, Nick Risinger (Skysurvey.org))

Durch den Vergleich der von verschiedenen Beobachtungsstandorten aus gewonnenen Beobachtungsdaten konnte das Team nicht nur die Form und Ausdehnung der Objekte, sondern auch die Struktur, die Breite und Ausrichtung sowie weitere Eigenschaften der neu entdeckten Ringe rekonstruieren. Der innere Ring befindet sich demzufolge im Mittel etwa 391 Kilometer von der Asteroidenoberfläche entfernt und verfügt über eine Ausdehnung von sieben Kilometern. Der äußere, lediglich drei Kilometer breite Ring, ist dagegen 405 Kilometer von der Oberfläche platziert. Zwischen den beiden Ringen befindet sich eine deutlich ausgeprägte Lücke mit einer Ausdehnung von etwa acht Kilometern.

„Wir haben nicht nach einem Ring gesucht und haben es nicht einmal für möglich gehalten, dass solch kleine Himmelskörper wie Chariklo Ringe besitzen könnten. Somit war ihre Entdeckung – und die verblüffende Menge an Details, die wir in dem Ringsystem sehen – für uns eine vollkommene Überraschung“, so Felipe Braga-Ribas vom Observatório Nacional/MCTI im brasilianischen Rio de Janeiro, der die Beobachtungskampagne vorbereitet hat und auch Erstautor eines entsprechenden Fachartikels ist.

Die bisherigen Untersuchungen des Ringsystems führten zu dem Schluss, dass es sich bei dem Material, aus dem sich die Ringe zusammensetzen, zumindestens teilweise um Wassereis handelt. Entsprechende Signaturen, so Dr. Colin Snodgras vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen, konnten nachgewiesen werden. Unklarheit besteht dagegen noch darüber, ob solche Ringsysteme um Asteroiden im Bereich des Kuipergürtels die Regel sind oder doch eher die Ausnahme darstellen. Auch der Entstehungsprozess konnte bisher nicht zweifelsfrei nachvollzogen werden.

„Wir können derzeit nicht sagen, ob Ringe um kleine Objekte aus einem generischen, bisher unbekannten Prozess herrühren, oder ob es sich dabei um außergewöhnliche Einzelfälle handelt“, so Dr. Colin Snodgras weiter.

Am wahrscheinlichsten ist derzeit allerdings, dass die den Asteroiden Chariklo umgebenden Ringe aus einer „kosmischen Kollision“ hervorgegangen sind. Ein anderer Kleinkörper des Sonnensystems kollidierte demnach mit Chariklo, wobei ein Teil des auf der Asteroidenoberfläche abgelagerten Wassereises in den umgebenden Weltraum befördert wurde. Das so freigelegte Material wurde anschließend – zusammen mit dem Material des verursachenden Impaktors – durch die gravitativen Einflüsse von einem oder mehreren massereicheren Objekten, welche sich in der unmittelbaren Nähe von Chariklo bewegen, zu Ringen „geformt“.

„Deshalb ist es sehr wahrscheinlich, dass Chariklo nicht nur über die Ringe, sondern auch mindestens über einen kleinen Mond verfügt, der derzeit noch auf seine Entdeckung wartet“, so Felipe Braga-Ribas weiter.

Die hier kurz vorgestellten Forschungsergebnisse werden am heutigen Tag unter dem Titel „A ring system detected around the Centaur (10199) Chariklo“ von Felipe Braga-Ribas et al. in der Fachzeitschrift „Nature“ publiziert.

In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist, dass auch das den Planeten Uranus umgebende Ringsystem durch die Beobachtung einer am 10. März 1977 erfolgten Sternbedeckung entdeckt wurde.

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