Bislang wurde davon ausgegangen, dass das Doppelsternsystem V471 Tauri von einem Braunen Zwerg umkreist wird. Beobachtungen mit dem SPHERE-Instrument am Very Large Telescope der ESO haben jedoch gezeigt, dass dies offensichtlich nicht der Fall ist. Das überraschende Fehlen dieses mit großer Sicherheit vorhergesagten Braunen Zwerges bedeutet, dass die bisherige Erklärung für das merkwürdige Verhalten von V471 Tauri falsch sein muss.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESO.
Unsere Heimatgalaxie – die Milchstraße – setzt sich aus etwa 200 Milliarden Sternen zusammen. All diese Sterne verfügen über die unterschiedlichsten physikalischen Eigenschaften, anhand derer sie von den Astronomen klassifiziert und bestimmten Gruppen zugeordnet werden können. Die Sonne – das Zentralgestirn unseres heimatlichen Sonnensystems – stellt dabei einen eher durchschnittlich großen Stern dar, welcher der Spektralklasse G2V zugeordnet wird. Die Sonne verfügt über einen Durchmesser von rund 1,4 Millionen Kilometern und beinhaltet etwa 99,86 Prozent der Masse aller in unserem Sonnensystem befindlichen Himmelskörper. Im Gegensatz zu vielen anderen Sternen unserer Heimatgalaxie bewegt sich die Sonne dabei als ‚einzelner Stern‘ um das Massezentrum unserer Galaxie.
Etwa 60 bis 70 Prozent der in unserer Galaxie beheimateten Sterne sind dagegen – im Gegensatz zu der Sonne – Bestandteile von Doppel- oder Mehrfachsternsystemen. Diese Sterne sind gravitativ an ihre jeweiligen Partnersterne gebunden und umkreisen dabei einen gemeinsamen Masseschwerpunkt. Manche dieser Sternpaare bestehen aus zwei mehr oder weniger ’normalen‘ Sternen, welche nur geringfügig unterschiedliche Massen aufweisen. Sobald der Stern mit der etwas höheren Masse altert und sich im Rahmen dieses Prozesses ausdehnt, wird er zu einem Roten Riesen. Material von diesem Stern wird dann zu dem kleineren Partner transferiert und umgibt schließlich beide Sterne mit einer weit ausgedehnten, gasförmigen Hülle. Sobald sich diese Wolke auflöst, nähern sich beide Sterne einander an und es entsteht ein sehr kompaktes Paar aus einem Weißen Zwerg und einem zusätzlichen ‚gewöhnlichen‘ Stern. Derartige Sternsysteme werden von den Astronomen auch als Post-Common-Envelope-Doppelsterne bezeichnet.
Das Doppelsternsystem V471 Tauri
Ein solches Sternenpaar trägt den Namen V471 Tauri. Dieses Doppelsternsystem ist ein Bestandteil des im Sternbild Stier (lateinischer Name „Taurus“) gelegenen offenen Sternhaufens der Hyaden. Der Name „V471 Tauri“ zeigt an, dass es sich bei diesem Objekt um den 471ten in seiner Helligkeit veränderliche Stern (daher das „V“ für „Veränderlich“) handelt, welcher im Sternbild Taurus klassifiziert wurde. Beide Sterne sind schätzungsweise etwa 600 Millionen Jahre alt und befinden sich rund 163 Lichtjahre von unserem Sonnensystem entfernt. Wie genauere Untersuchungen zeigten, kommen die Helligkeitsänderungen in diesem Fall durch die Doppelnatur des besagten Sternsystems zustande. Beide Sterne liegen sehr dicht beieinander und umkreisen sich gegenseitig alle 12 Stunden. Zweimal pro Umrundung zieht einer der Sterne – von der Erde aus gesehen – vor dem anderen vorbei, was zu regelmäßigen Änderungen in der Helligkeit des Sternpaares führt, da diese sich dabei gegenseitig verdunkeln.
Ein von dem Astronomen Adam Hardy von der Universidad Valparaíso in Chile geleitetes Team verwendete das ULTRACAM-System am New Technology Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO), um diese Helligkeitsänderungen mit einer sehr hohen Präzision zu bestimmen. Die Zeitpunkte des Einsetzens der Verfinsterungen wurden dabei mit einer Genauigkeit von weniger als zwei Sekunden ermittelt. Dabei zeigte sich, dass die Verdunklungszeiten nicht regelmäßig einsetzten. Allerdings konnte das Team die zeitlichen Abweichungen durch die Annahme erklären, dass in der unmittelbaren Umgebung des Doppelsystems ein Brauner Zwerg vorhanden ist, welcher beide Sterne umkreist und der durch seine Anziehungskraft die Umlaufbahn der beiden Hauptsterne beeinflusst. Bei den hierfür angestellten Berechnungen fanden sich zudem Hinweise auf ein zweites, nochmals kleineres Begleitobjekt.
Allerdings war es bisher nicht möglich, einen lichtschwachen Brauen Zwerg, welcher einen so geringem Abstand zu viel helleren Sternen aufweist, tatsächlich abzubilden. Erst das im Mai 2014 in Betrieb genommene Instrument „Spectro-Polarimetric High-contrast Exoplanet REsearch“ (abgekürzt SPHERE) des Very Large Telescope (VLT) am Pananal-Observatorium der ESO, welches sich in den nordchilenischen Anden befindet, erlaubte es den Astronomen zum ersten Mal mit einer hohen Auflösung den Bereich zu betrachten, an dem sie den Braunen Zwerg erwarteten.
Doch kein Brauner Zwerg
Entdeckt haben sie dabei allerdings – nichts… Und das obwohl die hochauflösenden Aufnahmen des SPHERE-Instruments den vermuteten Braunen Zwerg eigentlich leicht hätten enttarnen sollen. Die Beobachtungsdaten, welche SPHERE liefern kann, sind so hochauflösend, dass die auswertenden Astronomen in der Lage sein sollten, darin einen Begleiter wie einen Braunen Zwerg aufzuspüren, welcher 70.000 mal lichtschwächer als der Hauptstern und lediglich 0.26 Bogensekunden von diesem entfernt ist. Der im Fall von V471 Tauri erwartete Begleiter wurde jedoch zuvor als deutlich heller vorhergesagt. Um nicht durch SPHERE entdeckt zu werden müsste der angenommene Braune Zwerg etwa 15 mal schwächer leuchten als angenommen.
„Es gibt viele Veröffentlichungen, in denen die Existenz solcher zirkumbinären Objekte angenommen wird, aber unsere Ergebnisse liefern einen vernichtenden Beweis gegen diese Hypothese“, so die Anmerkung von Adam Hardy.
Wenn jedoch kein das System von V471 Tauri umlaufendes Objekt existiert – was verursacht dann die merkwürdigen Abweichungen in der Umlaufbahn des Doppelsterns? Hierzu wurden von den Astronomen mehrere Ansätze vorgeschlagen, von denen einige aber bereits wieder ausgeschlossen werden konnten. Eine denkbare Erklärung wäre allerdings, dass der beobachtete Effekt durch Veränderungen im Magnetfeld des größeren der beiden Sterne verursacht wird.
Bei diesem auch als ‚Applegate-Mechanismus‘ bezeichneten Effekt wird der Drehimpuls eines Sterns im Verlaufe eines magnetischen Zyklus zwischen dessen inneren und der äußeren Konvektionszone umverteilt. Dies führt zu einer Änderung der durch die Rotation bedingten Abplattung und damit indirekt auch zu einer Veränderung der Umlaufdauer, welche dabei sowohl zunehmen und als auch abnehmen kann. Laut den bisherigen Beobachtungen der Astronomen treten derartige zyklische Periodenveränderungen fast ausschließlich nur bei bedeckungsveränderlichen Sternen auf, bei denen wenigstens eine der Komponenten eine magnetische Aktivität aufzeigt. Derartige Vorgänge würden zwangsläufig auch zu Veränderungen in der scheinbaren Helligkeit des Doppelsterns führen.
Allerdings müssen jetzt weitere Beobachtungen zeigen, ob das hier beschriebene Szenario auch bei anderen Post-Common-Envelope-Doppelsternen, welche Abweichungen in den Helligkeitsperioden aufweisen, zutreffen könnte. Viele dieser Sterne sind anscheinend nicht ausreichend magnetisch aktiv, um die dort beobachteten Helligkeitsschwankungen ausschließlich mit einer durch Konvektion bedingten Abplattung zu erklären.
„Eine Untersuchung wie diese war seit Jahren notwendig, konnte aber erst mit dem Aufkommen solch leistungsstarker neuer Instrumente wie SPHERE ermöglicht werden. So funktioniert Wissenschaft: Beobachtungen mit neuer Technologie können frühere Ideen entweder bestätigen oder widerlegen, wie es hier der Fall war. Für dieses tolle Instrument ist dies ein großartiger Start ins Beobachtungsleben“, so die Zusammenfassung von Adam Hardy.
Die hier kurz vorgestellten Forschungsergebnisse von Adam Hardy et al. wurden am 18. Februar 2015 unter dem Titel „The First Science Results from SPHERE: Disproving the Predicted Brown Dwarf around V471 Tau“ in der Fachzeitschrift „Astrophysical Journal Letters“ publiziert. Hierbei handelt es sich um die erste Veröffentlichung, welche auf den Beobachtungen mit dem neuen SPHERE-Instrument des Very Large Telescope der ESO basiert.
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Fachartikel von A. Hardy et al.: