Bei der Betrachtung der Galaxien in der Lokalen Gruppe mit optischen Teleskopen scheint alles friedlich zu sein. Aber der Schein trügt; purer Kannibalismus ist angesagt und das schon seit ewigen Zeiten.
Ein Beitrag von Hans J. Kemm. Quelle: L’Observatoire de Paris.
Die Lokale Gruppe ist eine Ansammlung von Groß- und Zwerggalaxien, die sich im Bereich der beiden größten Mitglieder, Milchstraße und Andromedagalaxie, befinden und nicht mehr als gut 7 Millionen Lichtjahre von uns entfernt sind. Die Mitglieder dieser Gruppe sind nicht gleichmäßig im Haufen verteilt, sondern sie bilden je nach gravitativer Bindung mehrere Untergruppen. Gemeinsam ist die Lokale Gruppe Teil des Virgo-Galaxienhaufen.
Astronomen geben das Alter der beiden Hauptgalaxien mit 13,6 Milliarden Jahre an, bestimmt durch den Berylliumanteil einiger Kugelsternhaufen, die in diesen Sternsystemen vorhanden sind. Da die gesamte Struktur unserer Heimatgalaxie wegen der eingeschränkten Beobachtungsmöglichkeit nicht erkennbar ist, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass es sich um eine Balkenspiralgalaxie vom Typ SBc handelt. Klarer sind die Strukturen bei unserem großen Nachbarn zu erkennen. Die Andromedagalaxie, auch M 31 genannt, ist eindeutig eine Spiralgalaxie vom Typ Sb. Jedoch stammen die jetzige Größe und Struktur beider Galaxien nicht aus dem Anfangsstadium. Beide haben eine sehr unruhige Wachstumsphase hinter sich.
Die eigentliche Galaxienbildung ist bis jetzt noch unverstanden, aber die Astronomen gehen davon aus, dass die vorhandene baryonische Materie angewachsen ist, bis sie zu lokalen Globulen kollabierte und es zur Bildung der ersten Sterne kam. Danach entwickelten sich die noch recht massearmen Proto-Galaxien. Dieser Prozess wird bei unserer Milchstraße und der Andromedagalaxie nicht anders verlaufen sein.
Bedingt durch die Gravitationskraft der Andromedagalaxie muss es vor 10 Milliarden Jahren zur Annäherung einer Nachbargalaxie, die etwa ein Drittel der Masse von M 31 aufwies, gekommen sein. Nach Ablauf eines Zeitraumes von fast 5 Milliarden Jahren hatte der Delinquent die Oberhand behalten und den schwächeren Partner vereinnahmt.
Dieser Akt von Kannibalismus kann eindeutig belegt werden, denn die chemische Zusammensetzung der einverleibten Materie und Sterne aus der ehemaligen kleineren Galaxie ist nicht identisch mit der Qualität der vorhandenen Substanz der ursprünglichen Andromedagalaxie. Ein weiterer Beweis könnte der innere Kern sein, der aus einem Ring älterer roter und einem Ring jüngerer blauer Sterne besteht. Auch wenn die Kollision vor 5 Milliarden Jahren stattgefunden hat, so ist noch keine Ruhe in M 31 eingekehrt. Noch eindeutiger sprechen aber die Gezeitenschweife der Andromedagalaxie für einen gewaltsamen Zusammenschluß. Ein großer Teil dieser Materie befindet sich in einer Ebene entlang der Galaxienscheibe. Bei Kollisionen von zwei solch massereichen Galaxien wird nicht die gesamte vorhandene Materie gebunden. Ein gewisser Teil verliert die Bindung und wird abgestossen; ohne solch einen Gewaltakt kann sich kein so großer Teil von der Muttergalaxie lösen.
Anhand von Modellversuchen können Wissenschaftler jetzt auch die Historie der Magellanschen Wolken erklären. Beide irregulären Galaxien sind aus dem Gezeitenschweif bei der Neuformierung von M 31 entstanden und in Richtung unserer Heimatgalaxie geschleudert worden. Sie bewegen sich mit annähernd 55 km/s auf unsere Milchstraße zu und sind bereits durch ein dünnes Wasserstoffband mit ihr verbunden.
Aber auch unsere heimatliche Sterneninsel betreibt Kannibalismus, wenn auch im kleineren Stil. Da ist die Sagittarius-Zwerggalaxie, sie umläuft das Michstraßenzentrum in einem fast polaren Orbit. Die Trajektorie, die man nach dem heutigen Stand der Forschung annimmt, lässt darauf schließen, dass die Zwerggalaxie sich innerhalb der nächsten 100 Millionen Jahre durch die galaktische Ebene bewegen wird; die Zukunft dieser Galaxie scheint vorgezeichnet, da die Gezeitenkräfte der Milchstraße und die Wechselwirkung mit der interstellaren Materie einen langsamen Auflösungsprozess bewirken werden.
Da wäre auch noch die Canis-Major-Galaxie. Bei genauer Betrachtung stellt man fest, dass dieser Zwerg sich praktisch innerhalb des Randbereiches der Milchstraße befindet. Die Gezeitenkräfte, die die Milchstraße auf diese Zwerggalaxie ausübt, sind so extrem hoch, dass sie bereits extrem deformiert ist und sich im Prozess der Auflösung befindet.
Aber meist folgt die Strafe auf dem Fuße, wie es in einem Sprichwort heißt. Unsere Milchstrasse und die Andromedagalaxie sind bereits auf Kollisionskurs. M 31 besitzt gegenüber unserer Heimatgalaxie eine Radialgeschwindigkeit von −114 km/s, was bedeutet, dass sich beide Galaxien relativ schnell aufeinander zubewegen, das bezieht sich aber nur auf die parallele Ebene, wie es in der Senkrechten aussieht ist nicht bekannt. Aus Computersimulationen geht hervor, dass in 4 bis 6 Milliarden Jahren die beiden Sterneninseln kollidieren und miteinander zu einer elliptischen Galaxie oder durch eine besondere Form der Wechselwirkung von Galaxien zu einer Polarring-Galaxie verschmelzen werden. Astronomen haben diesem Gebilde bereits einen Namen gegeben: es soll dann Milkomeda heißen.