Der Aufbau des europäischen Erdbeobachtungssatellitensystems Copernicus geht weiter. Am 25. April 2016 brachte die Sojus-Rakete mit der Flugnummer VS14 von Kourou in Französisch-Guayana aus Sentinel 1B ins All.
Ein Beitrag von Thomas Weyrauch. Quelle: Airbus Defence and Space, Arianespace, CNES, DLR, ESA, Tesat, Thales Alenia Space, ZARM.
Beim ersten Sojus-Start von Kourou im Jahr 2016 gelangte neben Sentinel 1B für Copernicus außerdem der französische Äquivalenzprinzip-Testsatellit MicroSCOPE (MICRO-Satellite à traînée Compensée pour l’Observation du Principe d’Equivalence) mit einer Startmasse von 303 Kilogramm und drei von Studenten gebaute Kleinstsatelliten, sogenannte Cubesats, in den Weltraum (Startmasse zusammen drei Kilogramm).
Dem Versuchsbetrieb von Kommunikationssubsystemen dient OUFTI 1 von der Universität Lüttich (ULg) in Belgien. Mit e-st@r-II vom Polytechnikum Turin (Politecnico di Torino, POLITO) in Italien will man den Einsatz eines Lagekontrollsystems demonstrieren, das mit Messungen des Erdmagnetfelds arbeitet. Bei AAUSAT 4 von der Universität Aalborg (AAU) in Dänemark handelt es sich um einen Satelliten zur Identifizierung von Seefahrzeugen.
Die Hauptnutzlast, Sentinel 1B, wird zusammen mit dem am 3. April 2014 gestarteten Satelliten Sentinel 1A eine Komponente des europäischen Umweltsatellitensystems Coperniucs bilden, die zur tageslichtunabhängigen Erdbeobachtung gedacht ist.
Copernicus widmet sich der Umweltbeobachtung und wird von der Europäischen Kommission (European Commission, EC) koordiniert. Die Europäische Raumfahrtagentur (European Space Agency, ESA) kümmert sich um Schaffung und Betrieb des Weltraumsegments von Copernicus. Das Raumfahrtmanagement des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) finanziert mit Mitteln der Bundesregierung den deutschen Anteil an Copernicus.
Der Komponente Sentinel 1 ist ein breites Aufgabenspektrum in den Bereichen Umwelt, Verkehr, Wirtschaft und Sicherheit zugedacht. Die beiden Satelliten der Serie sind unter anderem besonders gut für eine Unterstützung bei Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Erdbeben geeignet. Um ihren Anforderungen gerecht werden zu können, erhielten die beiden vom französisch-italienische Luft- und Raumfahrtkonzern Thales Alenia Space (TAS) gebauten Raumfahrzeuge jeweils eine Radaranlage mit synthetischer Apertur (Synthetic Aperture Radar, SAR).
Sentinel 1A (Startmasse laut Arianespace 2.157 kg) und 1B (Startmasse laut Arianespace 2.164 kg) basieren auf dem Satellitenbus Prima, den TAS im Auftrag der Italienischen Raumfahrtagentur (Agenzia Spaziale Italiana, ASI) entwickelt hatte und Basis für die vier italienischen Radarsatelliten der COSMO-SkyMed-Konstellation wurde.
Die im C-Band einzusetzenden SAR-Antennen mit einer Masse von jeweils rund 800 Kilogramm an Bord der dreiachsstabilisierten Satelliten wurden bei Airbus Space in Friedrichshafen gefertigt. Sende-, Empfangs- und Steuerungselektronik für die Radaranlagen steuerte TAS selbst bei. 12,30 auf 0,90 Meter misst eine SAR-Antenne. Zusammengesetzt sind die Antennen aus jeweils 560 Einzelantennen.
Nach Angaben von TAS bewegt sich die Bodenauflösung der Radarsatelliten bei der Erdbeobachtung aus einem Orbit in circa 686 Kilometern Flughöhe abhängig vom aktivierten Beobachtungsmodus im Bereich zwischen 5 und 25 Metern.
Vier verschiedene Beobachtungsmodi stehen zur Verfügung. Der Modus mit der höchsten Leistung kann allerdings nicht kontinuierlich gefahren werden. Aus thermischen Gründen ist ein Zurückschalten nach etwa 25 Minuten erforderlich, ohne dass der Beobachtungsbetrieb unterbrochen werden muss.
Dank der Radaranlagen können die Satelliten ihre Beobachtungsaufgaben wetter- und lichtunabhängig und 24 Stunden pro Tag erbringen. Die ausgesandte Strahlung kann die Vegetation durchdringen und den Erdboden erreichen, was es ermöglicht, Bewegungen der Oberfläche vom Zentimeter- bis hinunter in den Millimeterbereich zu registrieren.
Veränderungen der Umwelt können also millimetergenau verfolgt werden. Beispielweise ist es möglich, die Entwicklung der Landnutzung, die Veränderung der Regenwälder und den Rückgang von Gletschereis über längere Zeiträume zu beobachten und zu dokumentieren.
Dr. Helmut Staudenrausch vom DLR Raumfahrtmanagement erklärte anlässlich des Starts, dass die Genauigkeit der von den Satelliten gesammelten Daten problemlos ausreicht, um damit hochgenaue Eiskarten zu erstellen. In diesen Karten sind zum Beispiel die Positionen von Eisbergen festgehalten. Die Karten ermöglichen Vorhersagen der Entwicklung der Eisbedeckung von und sichere Schiffspassagen durch die Gewässer in den Polarregionen.
Sentinel 1A und Sentinel 1B sollen die Erde künftig auf polarem, sonnensynchronen, 98,2 Grad gegen den Erdäquator geneigten Orbit um 180 Grad „zeitversetzt“ umkreisen. Das ermöglicht eine Wiederholrate von sechs Tagen, was bedeutet, dass die selbe Stelle der Erdoberfläche alle sechs Tage von einem der beiden Satelliten überflogen wird und dabei aus dem All abgetastet werden kann.
Neben der Möglichkeit, erfasste Daten per Funk an eine geeignete Bodenstation zu übertragen, steht den Sentinel-1-Satelliten auch die Möglichkeit zur Verfügung, die Daten via Laserlicht an geeignete Relaissatelliten des europäischen Datenrelaissatellitensystems (European Data Relay Satellite System, EDRS) zu übertragen, welche die Daten anschließend im Ka-Band (27 bis 40 GHz) an ins Copernicus-Netz integrierte Bodenstationen funken können.
Zur Laserkommunikation sind die Satelliten mit Laserkommunikationsterminals (Laser Communications Terminals, LCTs) von der Firma Tesat Spacecom GmbH aus Backnang ausgerüstet. Die Kommunikation selbst erfolgt mit phasenmoduliertem Laserlicht bei einer Wellenlänge von 1.064 Nanometern.
Beide Sentinel-1-Satelliten wurden auf eine Regeleinsatzdauer von jeweils sieben Jahren hin ausgelegt. Die Treibstoffmenge, mit der die Satelliten betankt wurde, ermöglicht einen Einsatz von bis zu zwölf Jahren pro Satellit, soweit nicht Treibstoff für unvorhergesehene Manöver eingesetzt werden muss.
Eine unter der Ägide von Arianespace betriebene Rakete vom Typ Sojus 2.1a vom ZSKB Progress bzw. RKZ Progress aus Russland war es, die um 23:02 Uhr MESZ (exakt 6:02 und 13 Sekunden Ortszeit) am 25. April 2016 vom Startzentrum in Kourou in Französisch-Guayana mit den Satelliten unter der Verkleidung an der Spitze abhob.
Der Start erfolgte nach zwei wetterbedingten Aufschüben und einem weiteren Tag Verzögerung, der zum Austausch einer Intertialsensoreinheit der Trägerrakete erforderlich war. Sämtliche Stufen der Rakete arbeiteten wie vorgesehen. Rund 23 Minuten nach dem Start setzte die russische, von Lawotschkin gebaute Raketenoberstufe vom Typ Fregat Sentinel 1B gegen 23:26 Uhr MESZ im All aus.
Der Erdbeobachtungssatellit durchlief in der Folge eine rund zehn Stunden dauernde Sequenz, auf deren Programm unter anderem das Entfalten der beiden Solarzellenausleger und der Radarantenne stand. Am 27. April 2016 teilte die ESA mit, dass die beiden jeweils rund zehn Meter langen Solarzellenausleger mit ihren jeweils fünf Elementen und die ebenfalls aus fünf Elementen bestehende Radarantenne nach Kommandos aus dem Kontrollzentrum in Deutschland erfolgreich entfaltet wurden. Vom Europäischen Satellitenkontrollzentrums der ESA (ESOC) in Darmstadt aus wird die sogenannte Launch and Early Orbit Phase (LEOP) für Sentinel 1B betreut und abgewickelt.
Erste Signale von Sentinel 1B im X-Band hat die italienische Bodenstation Matera, ein Bestandteil des Copernicus-Netzwerks für Empfang und Transport der Daten der Sentinel-1-Radaranlagen, bereits empfangen.
Die Oberstufe absolvierte nach dem Aussetzen von Sentinel 1B eine auf eine Stunde und 36 Minuten angesetzte Freiflugphase, der eine 12 Sekunden lange Brennphase folgte. Nach deren Beendigung wurden die Kleinstsatelliten auf einer um rund 200 Kilometer abgesenkten Bahn zwei Stunden und 48 Minuten nach dem Abheben gegen 1:50 Uhr MESZ am 26. April 2016 ausgesetzt.
Vor der Abtrennung von MicroSCOPE standen weitere Brenn- und Freiflugphasen der Oberstufe – die Bahn musste wieder um rund 200 Kilometer angehoben werden. Der ersten, laut Plan 42 Minuten und 6 Sekunden langen Freiflugphase folgte ein auf 12 Sekunden angesetzter Triebwerkseinsatz. Der zweiten Freiflugphase von 24 Minuten hatte sich eine 16 Sekunden lange Brennphase anzuschließen.
Etwas über vier Stunden nach dem Abheben war dann auch für MicroSCOPE gegen 3:03 Uhr MESZ am 26. April 2016 der Zeitpunkt für den Beginn seines Soloflugs gekommen. Die Entfaltung der Solarzellenausleger des Forschungssatelliten erfolgte kurz nach dem Aussetzen des Satelliten. Die insgesamt fünfte Brennphase der Fregat-Oberstufe mit einer Dauer von 29 Sekunden war anschließend dazu gedacht, für einen Wiedereintritt der Oberstufe über dem Atlantik zu sorgen.
MicroSCOPE enstand bei der CNES mit Unterstützung der ESA sowie den Partnern CNRS, DLR, INSU, OCA, ONERA und ZARM. Der Satellit soll mindestens zwei Jahre auf seinem sonnensynchronen, 98,2 Grad gegen den Erdäquator geneigten Orbit eingesetzt werden. Eine Missionsverlängerung für den in rund 711 Kilometern Höhe um die Erde kreisenden Satelliten um ein Jahr ist angedacht.
Zentrale Aufgabe von MicroSCOPE ist es, das Äquivalenzprinzip als Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie (ART) im Vakuum und bei Schwerelosigkeit zu überprüfen. Dabei gilt es zu ermitteln, wie sich exakt positionierte zylinderförmige Testmassen aus unterschiedlichen Materialien und aus gleichem Material im freien Fall verhalten. Eine der Testmassensätze besitzt Elemente aus Titan und aus einer Legierung aus Platin und Rhodium. Der andere Satz beinhaltet nur Massen aus Platin und dient als Kontrollreferenz. Erwartet wird, dass alle diese Massen die gleiche Beschleunigung beim freien Fall im Vakuum erfahren.
Neueren Theorien – zum Beispiel aus dem Bereich der Superstrings – zufolge könnten elektromagnetische und atomare Interaktionen in extrem niederschwelligem Bereich zu einer Abweichung von dem Äquivalenzprinzip entsprechenden Verhalten träger und schwerer Masse führen. (Schwere Masse ist eine solche mit einem Gewicht, träge Masse ist eine, die einer Beschleunigung einen Widerstand entgegensetzt).
Deshalb will man die Relativbewegung der beiden Testmassen über Monate mit hoher Genauigkeit beobachten. Sollte sich herausstellen, dass für die exakte Positionierung einer der Testmassen eine abweichende Kraft benötigt wird, wäre das Äquivalenzprinzip vermutlich verletzt. Bei den Messungen kommen elektrostatische Differential-Beschleunigungsmesser zum Einsatz.
Die bei dem Experiment erwartete Genauigkeit ist um zwei Größenordnungen besser als bei Experimenten am Erdboden erreichbar. Trotzdem erwartet Professor Dr. Hansjörg Dittus, DLR-Vorstand für Raumfahrtforschung und -technologie und als Wissenschaftler beteiligt, nicht, dass man eine Abweichung vom Äquivalenzprinzip detektieren wird, da die erreichbare Genauigkeit dafür vermutlich noch nicht ausreicht. Für den Ausschluss verschiedener Quantengravitationstheorien könnte MicrosCOPE aber ein Schlüsselexperiment werden, meint Professor Dr. Claus Lämmerzahl vom ZARM (Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation).
Sentinel 1B ist katalogisiert mit der NORAD-Nr. 41.456 und als COSPAR-Objekt 2016-25A. MicroSCOPE ist katalogisiert mit der NORAD-Nr. 41.457 und als COSPAR-Objekt 2016-25B. Die mitgeflogenen drei Kleinstsatelliten dürften Katalogbezeichnungen von 41.458 bis 41.460 bzw. 2016-025C bis 2016-025E erhalten.
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