Nachdem die US-amerikanische Luft- und Raumfahrtagentur NASA am 16. September Boeing und SpaceX milliardenschwere Verträge für die finale Entwicklung und erste Flüge, genannt CCtCap, ihrer kommerziellen Raumschiffe verliehen hat, hat der unterlegene Wettbewerber SNC offiziell Protest eingelegt. Deshalb wurden die vergebenen CCtCap-Verträge eingefroren. Vor Kurzem aber hat die NASA bekannt gegeben, dass die Entwicklung wieder weitergehen soll. SNC hat unterdessen zwei alternative Ideen vorgestellt, wie ihre „Dream Chaser“-Raumfähre ins All kommen könnte.
Ein Beitrag von Martin Knipfer. Quelle: NASA, SNC, NSF, Stratolaunch Systems.
Am 16. September begann eine neue Ära der US-amerikanischen Raumfahrt: Die US-amerikanische Luft- und Raumfahrtagentur NASA gab in einer Pressekonferenz bekannt, dass die privaten Firmen Boeing und SpaceX im Rahmen von CCtCap (Commercial Crew Transportation Capability) Verträge erhalten, die es ihnen ermöglichen, bemannte Raumschiffe zu entwickeln und zu fliegen. Dabei handelt es sich um ein komplett neuartiges Vorgehen, denn bisher war alleine die NASA für die Entwicklung neuer Raumschiffe zuständig. Boeing erhielt 4,2 Milliarden Dollar für ihre CST-100 Raumkapsel, SpaceX 2,6 Milliarden für ihre Dragon V2. Diese Entscheidung für Boeing und SpaceX war zugleich auch eine Entscheidung gegen den anderen Wettbewerber, die Sierra Nevada Corporation (SNC) mit der „Dream Chaser“-Raumfähre. Weil ihnen so ein Milliardenvertrag entgangen war, legte SNC kurze Zeit später offiziell bei der GAO, dem amerikanischen Rechnungshof, Protest gegen die Vergabe der CCtCap-Verträge ein. SNC hofft, dass sich die GAO dazu entscheidet, einem der anderen Wettbewerber der Vertrag zu entziehen und ihn stattdessen SNC zuzuteilen.
Um zu verhindern, dass mit den Verträgen von Boeing und SpaceX Geld für ein Raumschiff ausgezahlt wird, dem durch einen erfolgreichen Protest dann der Vertrag entzogen wird, hat die NASA kurze Zeit später die Firmen angewiesen, alle Arbeiten an CCtCap abzubrechen. Am 9. Oktober gab die NASA jedoch überraschend bekannt, dass beide Firmen ihre CCtCap-Arbeiten weiterführen dürfen, obwohl der Protest von SNC noch nicht beendet ist. Als Gründe für diesen erstaunlichen Schritt gab die NASA an, dass es durch einen Stop der Arbeiten nicht möglich sei, in der gewünschten Zeit einen kommerziellen ISS-Transport zu ermöglichen. Das würde Risiken für die gesamte Internationale Raumstation ISS mit sich bringen, die Operationen auf der ISS stören und eventuell sogar dafür sorgen, dass die NASA ihre internationalen Verträge bricht. Die NASA glaubt, dass es deshalb am Besten für das Wohl der Vereinigten Staaten ist, die Arbeiten weiterlaufen zu lassen.
Auch gegen diese Entscheidung der NASA hat SNC Protest eingelegt, dieses Mal bei dem Bundesgericht der Vereinigten Staaten. Letzte Woche wurde die Klage abgewiesen, die Arbeiten von Boeing und SpaceX werden weitergeführt.
Doch SNC, die unterlegene Firma, verlässt sich nicht ganz darauf, dass der andere Protest bei der GAO erfolgreich sein wird. Neben dem Einreichen ihres Dream Chasers bei dem CRS-2 (Commercial Resupply Services) Programm, das die Entwicklung eines kommerziellen Frachtraumschiffs ermöglichen soll, hat SNC auch bekanntgegeben, dass sie daran arbeiten, einen verkleinerten Dream Chaser bemannt mithilfe von Stratolaunch zu starten. Bei Stratolaunch handelt es sich um ein spektakuläres Projekt der Gründer von Microsoft und Scaled Composite, Paul Allen und Burt Rutan, das Ende 2011 bekanntgegeben wurde. Es sieht den Start einer Trägerrakete in den Orbit von einem gewaltigen, zweirümpfigen Flugzeug aus. Dieses Flugzeug besteht aus den Rümpfen zweier gebrauchter Boeing 747 Jumbojets, sie sind mithilfe einer Tragfläche von unglaublichen 117 Metern Spannweite miteinander verbunden. Angetrieben wird es von sechs Pratt and Whitney-Strahltriebwerken unter den Flügeln. Das Flugzeug befindet sich momentan im Bau in einer Hangar auf dem Flughafen in Mojave, Kalifornien, die Hälfte der Konstruktionsarbeiten sind bereits abgeschlossen. Der Erstflug soll 2016 stattfinden.
Zwischen den beiden Rümpfen, unter der Tragfläche befindet sich dann eine Trägerstruktur für eine Rakete, die an der Trägerstruktur befestigt werden kann und dann von dem Trägerflugzeug auf eine angemessene Höhe gebracht wird. Auf dieser angekommen wird die Rakete in etwa 10.000 Metern Höhe von dem Trägerflugzeug abgeworfen. Danach zündet das Triebwerk der Rakete. Ursprünglich sollte diese Rakete eine abgewandelte Version der Falcon 9 von SpaceX sein, inzwischen ist man zu einem Träger der Firma Orbital Science gewechselt. Dieser muss erst noch neu entwickelt werden, sein Erstflug ist gegen 2018 zu erwarten. In den ersten zwei Stufen soll der Träger festen Treibstoff einsetzen. Dieser Motor wird über eine Außenhülle aus Verbundwerkstoffen verfügen und von der Firma Allied Techsystems (ATK) gebaut werden. Die dritte Stufe verwendet dann flüssigen Treibstoff, der von zwei RL-10 Triebwerken verbrannt wird. Die Arbeiten an dieser Oberstufe wurden jedoch inzwischen gestoppt, man denkt nun auch bei ihr über einen Feststoffmotor nach.
Diese Rakete ist in der Lage, etwa 6,5 Tonnen Nutzlast in einen niedrigen Erdorbit (LEO) zu befördern. Das ist zu wenig für den Dream Chaser, der etwa 10 Tonnen schwer ist. Deshalb möchte die Herstellerfirma SNC den Dream Chaser auf 75 % seiner ursprünglichen Größe verkleinern, damit er auf Stratolaunch starten kann. Das würde eine Gewichtseinsparung von 42 %, jedoch auch eine Verkleinerung der Besatzungsgröße von 7 auf 3 bedeuten. Neben bemannten Flügen in den LEO wären mit einem solchen Mini- Dream Chaser auch unbemannte Frachtmissionen, Laborflüge für empfindliche Experimente in der Schwerelosigkeit oder suborbitale Punkt-zu-Punkt Transporte möglich. Da mithilfe des Stratolaunch-Trägerflugzeugs ein Start bei jedem Wetter und von jedem Punkt der Welt aus möglich ist, wäre der Dream Chaser so wesentlich flexibler.
Auch hat SNC die Idee vorgestellt, den Dream Chaser für wissenschaftliche Forschungsflüge zu benutzen. Solche Missionen wären unbemannte Flüge in den Erdorbit, bei denen diverse automatische Experimente zur Erforschung der Schwerelosigkeit an Bord des Dream Chasers wären. Das Raumflugzeug –genannt Dream Chaser for Science (DC4Science)- wäre dafür ausgelegt, längere Zeit autonom frei im Weltraum zu fliegen. So können Experimente in den Bereichen Biologie, Pharmazie und Materialforschungen stattfinden. Die Vorteile des Dream Chasers für diese Rolle liegen darin, dass Kunden –anders als auf der ISS- von jedem Land mit ihm Forschungen durchführen können. Dank dem Lifting-Body Design des Dream Chasers, das einen Wiedereintritt in die Erdathmosphäre mit geringen G-Kräften erlaubt, können auch empfindliche Versuchsanordnungen mitgenommen werden, was ein großer Pluspunkt sein dürfte.
Man sieht, dass SNC zahlreiche Pläne hat, um den Dream Chaser weiterzuentwickeln, auch wenn mittlerweile eine Förderung durch die US-amerikanische Luft- und Raumfahrtbehörde NASA unwahrscheinlich erscheint. Der Dream Chaser könnte gewissermaßen das neue Space Shuttle werden, ein Arbeitstier, das nicht nur bemannte Flüge in den LEO, sondern auch zahlreiche andere Aufgaben hervorragend erfüllen kann. Es bleibt spannend, welche Bilder die kommerzielle Raumfahrt uns in Zukunft bieten wird und ob ihr rasanter Fortschritt weiterhin von unseren europäischen Raumfahrtministern zwecks nationaler Interessen ignoriert wird.
Bei dem Dream Chaser handelt es sich um einen kleinen Raumgleiter im Tragrumpf (lifting body)-Design, der kommerziell von der Firma Sierra Nevada Corporation (SNC) entwickelt wird. Sein Design stammt von dem HL-20 Personell Space Plane ab, in dessen Entwicklung die NASA Ende der 1980er Jahre etwa eine Milliarde Dollar investierte, bis das Programm eingestellt wurde. Durch das Zurückgreifen auf ein bekanntes Design kann SNC beachtliche Summen in der Entwicklung sparen. Und dieses bekannte Design des Dream Chasers hat zahlreiche Vorteile: Dank seiner Auslegung kann er unter wesentlich geringeren G-Kräften in die Athmosphäre wiedereintreten. Das schont die Besatzung und/oder die Fracht an Bord. Auch kann der Dream Chaser auf jeder gewöhnlichen Landebahn landen und kann bei schlechten Bedingungen auf einer dieser Landebahnen einfach zu einer anderen gleiten. Ursprünglich war geplant, den Dream Chaser auf einer Atlas V Trägerrakete zu starten.
Die Entwicklung des Dream Chaser erfolgte im Rahmen des Commercial Crew Development (CCDev)-Programms der US-amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA, die so wieder einen unabhängigen bemannten Zugang zur ISS haben will. Die Besonderheit ist, dass die Entwicklung der Raumfahrzeuge, die dieses Ziel erfüllen sollen, komplett kommerziell erfolgen soll. Dazu stellten mehrere Firmen ihre Konzepte für solche Raumfahrzeuge der NASA vor. Für ihre Entwicklung vergab die NASA an die Firmen Verträge, die die Finanzierung sicherstellten. Es gab mehrere Runden bei CCDev, bei jeder wurde die Geldmenge erhöht. Vor jeder Runde wurden die einzelnen Konzepte analysiert und auf dieser Basis gefördert. Bis zur letzten Runde, genannt CCiCap (Commercial Crew Integrated Capability), war der Dream Chaser noch dabei. Die Entwicklungsarbeiten an dem Dream Chaser in dieser Runde konzentrierten sich vor allem auf Tests eines Mock-Ups des Dream Chasers. Er wurde erfolgreich von einem Helikopter in den Himmel getragen und von einem Pick-Up Truck über eine Landebahn gezogen. Ein erster Freiflugversuch vor knapp einem Jahr schlug jedoch fehl, weitere freie Flüge sind für Anfang 2015 geplant.
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