Chinesische Raumschiffe zur ISS?

Am 22. und 23. März 2012 besprach der Generaldirektor der Europäischen Raumfahrtorganisation (ESA) Jean-Jacques Dordain mit dem Leiter der entsprechenden chinesischen Organisation Wang Zhaoyao künftige Möglichkeiten der Kooperation im Bereich der bemannten Raumfahrt.

Ein Beitrag von Thomas Weyrauch. Quelle: AVIATION WEEK, CMSEO.

NASA
Die ISS nach dem Besuch des letzten US-Shuttles
(Bild: NASA)

Auf Anregung von Jean-Jacques Dordain traf man sich anlässlich des dritte Starts eines europäischen Versorgungsschiffs für die Internationale Raumstation (ISS) vom Typ ATV in Kourou in Französisch-Guayana, um einen anhaltenden Dialog und die Errichtung von Grundlagen für eine mögliche chinesisch-europäischen Zusammenarbeit bei der bemannten Raumfahrt zu beginnen.

Weil man derzeit einen anderen Andockmechanismus verwende, sei es für chinesische Raumschiffe derzeit nicht möglich, an der ISS anzulegen, berichtete Wang Zhaoyao, der seit Kurzem dem chinesischen Büro für Technik des bemannten Raumflugs (CMSEO, China Manned Space Engineering Office) vorsteht. Man erwartet jedoch, dass Experten von ESA und CMSEO in Kürze eine Arbeitsgruppe einrichten, die sich im kommenden Monat in Paris treffen werde, um die Kompatibilität des Kopplungsmechnismus der chinesischen Shenzhou-Raumschiffe mit einem geplanten universellen Mechanismus an der ISS zu diskutieren.

Die bilateralen Gespräche begannen jetzt nur wenige Monate vor der von China beabsichtigen bemannten Mission von Shenzhou 9, die zum ersten bemannten Docking chinesischer Raumschiffe führen soll. Dabei soll das mit drei Personen besetzte Raumschiff laut Wang Zhaoyao an dem seit September 2011 um die Erde kreisenden Stationsmodul Tiangong 1 anlegen, wenn zuvor eine Reihe automatischer und manuell gesteuerter Tests gelingen.

Nach Angaben von Jean-Jacques Dordain berede man eine große Bandbreite gemeinsamer Aktivitäten im Bereich der bemannten Raumfahrt. Eine intensive Zusammenarbeit sei zum Beispiel im Bereich des Trainings von Raumfahrern, bei der Konstruktion von Lebenserhaltungssystemen und einer gemeinsamen Nutzung von Einrichtungen beider Seiten denkbar.

Obwohl derzeit keine konkreten Vorschläge auf dem Tisch lägen, sollten die an der ISS beteiligten Nationen sich einer Zusammenarbeit mit anderen Nationen öffnen. Dabei könne China laut Jean-Jacques Dordain nur schwer ignoriert werden.

Die Zusammenarbeit bei der ISS hält Jean-Jacques Dordain für ein hohes Gut, und er habe keinesfalls die Absicht, irgendetwas zu tun, was diese Partnerschaft beeinträchtigen könnte. Sie könne langfristig jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn sie für andere Kooperationen oder Partner offen sei. China außen vor zu lassen, und die Frage einer Zusammenarbeit mit China gar nicht erst zu stellen, ist laut Jean-Jacques Dordain keine sinnvolle Option.

CMSEO
Shenzhou 8 und Tiangong 1 – Illustration
(Bild: CMSEO)

Im Herbst 2011 gelang dem unbemannten chinesischen Raumschiff Shenzhou 8 die Annäherung und das Docking an Tiangong 1, und bestand damit wichtige Tests zur Vorbereitung einer bemannten Kopplungsmission im Sommer 2012.

Wang Zhaoyao freut sich über die Erfolge, die sich nach vielen Jahren harter Arbeit im chinesischen bemannten Raumfahrtprogramm jetzt eingestellt haben, und brachte seine Zuversicht zum Ausdruck, dass es China gelingen werde, Ende des Jahrzehnts eine eigene (größere) Raumstation zu starten. Wenn die Mission von Shenzhou 9 gelingt, sei man im Besitz sämtlicher erforderlicher Kenntnisse, die für das Annähern und Koppeln zweier Raumfahrzeuge beherrscht werden müssen.

CMSEO
Wang Zhaoyao
(Bild: CMSEO)

Bevor Wang Zhaoyao Anfang 2012 die Führung von Wang Wenbao übernahm, arbeitete er als stellvertretender Direktor der CMSEO. Er sieht die Entwicklung von Hardware für bemannte Mondmissionen nicht als aktuelles Thema, obgleich geplant ist, dass eine erste unbemannte chinesische Sonde 2013 auf dem Mond landen soll. Diese repräsentiere laut Wang Zhaoyao das chinesische Monderforschungsprogramm.

2011 hatte sich eine chinesische Delegation unter Leitung von Wang Wenbao in Paris mit Jean-Jacques Dordain getroffen, und Pläne über bevorstehende Raumflugmissionen sowie eine eigene Raumstation vorgestellt. Auf der Internetpräsenz der CMSEO hieß es damals im Nachgang, man habe Austausch und Zusammenarbeit im Bereich der bemannten Raumfahrt intensiv erörtert.

Neben den Gesprächen mit der ESA diskutiere man, so Wang Zhaoyao jetzt in Kourou weiter, seitens China auch mit der französischen Raumfahrtagentur (CNES) Möglichkeiten der Zusammenarbeit bei bemannten Programmen. Dabei gehe es insbesondere um raumfahrtmedizinische Aspekte wie die Bestimmung der Vitalfunktionen eines Raumfahrers, beispielsweise die Messung des Blutdrucks.

CMSEO
Chinesische Raumstation – Illustration
(Bild: CMSEO)

Raumfahrtaktivitäten gehen jeden an. Davon zeigte sich Wang Zhaoyao überzeugt und brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, es werde in Zukunft mehr Zusammenarbeit mit der ESA und anderen europäischen Partnern geben. Ob innerhalb des begonnenen Jahrzehnts ein Chinese die ISS betreten werde, müsse man abwarten.

Persönlich hält Wang Zhaoyao die Frage eines chinesischen Auftritts auf der ISS nicht für ein Problem der Technologie, sondern für eines der Diplomatie. Unter Bezug auf ein im Jahr 2011 in Kraft getretenes US-amerikanisches Gesetz, das die US-amerikanische Raumfahrtagentur (NASA) an einer Zusammenarbeit mit der CMSEO hindere, verwies Wang Zhaoyao darauf, dass viel vom Verhalten der Vereinigten Staaten von Amerika abhänge.

Verwandte Meldungen:

Raumcon:

Nach oben scrollen