Am 5. April 2016 wurde vom Startzentrum Jiuquan aus der mit einer Rückkehrkapsel ausgestattete Mikrogravitations-Forschungssatellit Shijian 10 gestartet. Der Satellit gelangte in eine Umlaufbahn, die von der noch 2015 geplanten abweicht.
Erstellt von Thomas Weyrauch. Quelle: CAS, CCTV, ESA, NSSC, Spacechina, Xhinua
Staatliche chinesische Medien berichteten, dass der Start von Shijian 10 auf einer zweistufigen Rakete vom Typ Langer Marsch 2D vom Satellitenstartzentrum Jiuquan (Jiuquan Satellite Launch Center, JSLC) in der Provinz Gansu im Nordwesten Chinas aus erfolgreich verlaufen ist.
Der Start in der Wüste Gobi erfolgte am 5. April 2016 um 19:38 Uhr MESZ von der Rampe mit der Nr. 2. Als exakte Startzeit wird 17:38:04.160 Uhr Weltzeit (UTC) genannt. Vor Ort war der 6. April 2016 bereits angebrochen, und die Uhr zeigte zum Zeitpunkt des Abhebens 1:38 Uhr (Pekinger Zeit).
Nach Angaben aus China erfolgte der Transport von Shijian 10 in den Weltraum beim 226. Flug einer Rakete aus der Serie Langer Marsch, eine Zahl, die angesichts der Tatsache, dass in ihr mittlerweile immer mehr höchst unterschiedliche Träger zusammengefasst werden, ihre Aussagekraft verliert.
Zum Einsatz kam die Langer Marsch 2D mit der Baunummer Y36. Das aerodynamisch ausgeführte Raumfahrzeug an der Spitze der Rakete war wie bei gleichartigen Missionen in der Regel üblich nicht mit einer zusätzlichen Nutzlastverkleidung versehen.
Daten der US-amerikanischen Weltraumüberwachung legen nahe, dass Shijian 10 auf eine Umlaufbahn mit einem der Erde nächstliegenden Bahnpunkt von rund 234 Kilometern über der Erde und einem erdfernsten Bahnpunkt von rund 268 Kilometern über der Erde gelangte, die gegen den Erdäquator um rund 43 Grad geneigt ist. Vor dem Start hatten zahlreichen Agenturen und Informationsdienste sowie an der Mission beteiligte Institutionen von einer 220 x 468 Kilometer Bahn gesprochen, die rund 63 Grad gegen den Erdäquator geneigt sein sollte. Von offizieller Seite liegen bis dato keine Informationen darüber vor, welcher Orbit nach letztem Planungsstand kurz vor dem Start vorgesehen war.
Der niedriger als ursprünglich einmal geplant ausgefallene Orbit wird sich nicht auf die aktive Einsatzdauer des Satelliten auswirken. Vor dem Start war seitens des an der Mission maßgeblich beteiligten nationalen Zentrums für Weltraumwissenschaften (National Space Science Centre, NSSC) aus Peking davon die Rede, dass die Rückkehrkapsel des Satelliten nach fünfzehn Flugtagen landen werde. Mitte 2015 gab die chinesische Akademie der Wissenschaften (Chinese Academy of Sciences, CAS) an, eine Landung werde nach zwölf Tagen erfolgen, und der im All verbliebene Teil des Satelliten werde zusätzlich drei Tage aktiv sein.
Das Raumfahrzeug mit einer Gesamtmasse von rund 3,6 Tonnen wird ausschließlich von Batterien mit elektrischer Energie versorgt. Solarzellen gibt es weder auf der Oberfläche des Satellitenkörpers noch auf entsprechenden Auslegern. Die aktive Einsatzdauer ist also durch die Verwendung chemischer Batterien ohnehin beschränkt.
An Bord von Shijian 10 befinden sich eine Reihe von Experimentiereinrichtungen von elf Instituten der CAS in Zusammenarbeit mit sechs chinesischen Universitäten sowie der Europäischen Raumfahrtagentur (European Space Agency, ESA) und der japanischen Agentur für Luft- und Raumfahrtforschung (Japan Aerospace Exploration Agency, JAXA).
Die Auswahl der insgesamt 19 Experimentiereinrichtungen für Shijian 10 erfolgte aus einem Pool von über 200 Vorschlägen.
Die Experimente widmen sich der Physik von Flüssigkeiten unter dem Einfluss von Mikrogravitation, Verbrennungsvorgängen unter Mikrogravitation, den Materialwissenschaften und der Untersuchung von Weltraumstrahlung, dem Einfluss von Mikrogravitation auf biologische Prozesse und der Biotechnologie im Weltraum.
Auf der Internationalen Raumstation (International Space Station, ISS) wird wegen der schieren Menge an aktiver Ausrüstung und unter dem Einfluss menschlichen Agierens ein weniger gut an die Schwerelosigkeit angenäherter Zustand erreicht.
Deshalb hat die Forschung an Bord von unbemannten Raumfahrzeugen sehr wohl einen Sinn. Auf ihnen lässt sich nach Angaben chinesischer Projektwissenschaftler eine Restbeschleunigung im Bereich von 10-4 g erreichen, auf der ISS dagegen nur im Bereich von 10-3 g.
Ein unter maßgeblicher Mitwirkung der ESA entstandenes Experiment an Bord von Shijian 10 untersucht die Verteilung von Bestandteilen in Rohöl unter hohem Druck und unter Einwirkung verschiedener Temperaturverläufe in der Substanz. Im, sich im Erdboden in sieben bis acht Kilometern Tiefe befindlichem Rohöl erwartet man einen Trennungseffekt unterschiedlicher Ölbestandteile, der maßgeblich von der in der Tiefe größer werdenden Temperatur bestimmt wird, nicht aber von der Gravitation.
Über geologische Zeitskalen hinweg sorgt der Effekt im Öl in der Tiefe dafür, dass schwere Bestandteile aufsteigen und leichtere absinken.
Im All will man jetzt versuchen, diesen Effekt unter annähernder Schwerelosigkeit ohne Einwirkung von Schwerkraft und Auftrieb abhängig von der Temperatur zu quantifizieren, um Anhaltspunkte für den Entwurf künftiger Computermodelle zu Erdölvorkommen auf der Erde zu erhalten. Es wird erwartet, dass bessere Vorhersagen zur Verteilung der Rohstoffbestandteile im Erdboden zu einer Reduzierung der Kosten bei der Exploration führen.
Das Rohöl des Experiments ist in sechs jeweils an einem Ende kühlbaren und am anderen Ende beheizbaren Zylindern aus einer Titanlegierung untergebracht. Jeder Zylinder enthält einen Milliliter Rohöl. Es steht unter einem Druck von rund 400 Atmosphären.
Das Experiment ist nicht das erste seiner Art – vorangegangene flogen unter anderem an Bord von russischen Foton-Satelliten – aber dasjenige ist das mit dem bisher höchsten Betriebsdruck. Der Prüfdruck lag noch einmal um den Faktor 2,5 höher.
Soret Coefficient in Crude Oil (SCCO) wird das Experiment in einem Metallgehäuse mit einem Volumen von rund vier Litern genannt. Carl Ludwig und Charles Soret hatten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Bewegung von Teilchen in Flüssigkeiten mit einem Temperaturgefälle beschäftigt.
Neben der ESA und dem NSSC sind der französische Mineralölkonzern Total und der größte chinesische Ölkonzern PetroChina Company Limited an SCCO beteiligt. 2006 hatte der damalige ESA-Generaldirektor Jean-Jacques Dordain mit Vertretern der Volksrepublik China eine Vereinbarung über eine Zusammenarbeit unterzeichnet, die zur Grundlage der Realisierung des SCCO wurde.
Der erste Anlauf zur Umsetzung von Shijian 10 nahm 2004/2005 Fahrt auf, dann geriet das Projekt wegen Strukturreformen in der chinesischen Raumfahrt jedoch bald ins Stocken. 2011 wurden die Arbeiten im Rahmen eines strategischen Programms für zu priorisierende Aspekte der Weltraumwissenschaften (Strategic Priority Program on Space Science) wieder intensiviert.
Ein Teil der Experimente werden an Bord der Rückkehrkapsel wieder zur Erde gelangen. Acht Experimentiereinrichtungen mit dem Schwerpunkt Physik verbleiben bis zum zerstörerischen Wiedereintritt im All, in der Rückkehrkapsel untergebracht sind Experimente mit dem Schwerpunkt Biologie sowie das SCCO.
Die Landung soll in der Inneren Mongolei erfolgen, wo in der Vergangenheit auch die Kapseln bemannter und unbemannter Shenzhou-Raumschiffe niedergingen. Bislang landeten die Rückkehrkapseln von konstruktiv mit Shijian 10 unmittelbar verwandten chinesischen Satelliten in der Provinz Sichuan. Nach Angaben der NSSC gab es bis dato 24 derartige Rückführungen aus dem All.
Shijian 10 ist katalogisiert mit der NOARD-Nr. 41.448 und als COSPAR-Objekt 2016-023A.
Diskutieren Sie mit im Raumcon-Forum: