Kurz vor dem Einschwenken in einen niedrigeren Orbit bildete die Kamera der Raumsonde DAWN die Oberfläche des Zwergplaneten Ceres am 23. Mai 2015 in einer zuvor nicht erreichten Auflösung ab. Dabei zeigten sich Strukturen, welche an Kraterketten erinnern, die aber durchaus auch anderen geologischen Ursprungs sein könnten.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: DLR, Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, JPL. Vertont von Peter Rittinger.
Bereits am 6. März 2015 erreichte die von der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA betriebene Raumsonde DAWN ihr zweites und finales Forschungsziel – den im Asteroidengürtel unseres Sonnensystems gelegenen Zwergplaneten (1) Ceres. Seit dem April 2015 fertigt die Framing Camera – das unter der Leitung von Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen entwickelte und betriebene Kameraexperiment an Bord der Raumsonde – Aufnahmen von der Oberfläche des Zwergplaneten an, welche eine zuvor nicht erreichte Auflösung der dortigen Strukturen erlauben und die für jede Menge Diskussionsbedarf unter den an dieser Mission beteiligten Wissenschaftlern sorgen.
Ein Beispiel hierfür sind diverse helle Flecken auf der Oberfläche von Ceres, bei denen es sich sehr wahrscheinlich um lokal begrenzte Eisablagerungen handelt. Neben gefrorenem Wasser, welches die Planetologen auch unter der Oberfläche von Ceres vermuten, kommen hierfür jedoch auch helle Salzminerale in Frage (Raumfahrer.net berichtete). Aber auch eine Aufnahme, welche bereits am 23. Mai 2015 aus einer Entfernung von 5.100 Kilometern angefertigt und mit dem eine Auflösung von 480 Metern pro Pixel erreicht wurde, zeigt Oberflächenstrukturen, welche zurzeit noch nicht eindeutig erklärt werden können. Eigentlich wurde die entsprechende Aufnahme für Navigationszwecke angefertigt, um die Raumsonde sicher und auf einer vorbestimmten Route an ihr Ziel zu dirigieren. Trotzdem enthüllen die zu diesem Zweck angefertigten Aufnahmen auch wissenschaftlich relevante Informationen.
„Wir erkennen eine ungewöhnlich große Ansammlung von kleinen runden Strukturen auf engem Raum – dazu gehören kleinere so genannte Sekundär-Krater, die bei großen Einschlägen durch das dadurch ausgeworfene Material entstanden sind, aber auch längere linienförmige Anordnungen und sehr wahrscheinlich Einsturzsenken“, so Prof. Ralf Jaumann vom Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin-Adlershof, einer der Mitarbeiter des Kamerateams der DAWN-Mission. „Ähnliche Strukturen gibt es zwar auf den Eismonden von Jupiter und Saturn, aber nicht in dieser Dichte.“
Einer der am 23. Mai 2015 von der Framing Camera abgebildeten Impaktkrater – es handelt sich dabei um einen der größeren Krater auf der nördlichen Hemisphäre von Ceres sowie die unmittelbar südlich davon gelegene Region zwischen 13 und 51 Grad nördlicher Breite und 182 und 228 Grad östlicher Länge – verfügt über einen Durchmesser von etwa 110 Kilometern. In seinem Inneren sind zahlreiche weitere, allerdings deutlich kleinere Krater sowie ein ausgeprägter Riss auf der Oberfläche zu erkennen.
Bei einer genaueren Betrachtung lassen sich unterhalb des großen Kraters zudem verschiedene Ketten kleinerer Krater erkennen. Zum Teil liegen diese so dicht bei einander, dass sie wie in die Länge gezogene ‚Schrammen‘ erscheinen. Derartige Kraterketten treten auch auf anderen Himmelskörpern innerhalb unseres Sonnensystems wie zum Beispiel dem Mond der Erde, dem Mars und mehreren Asteroiden und weiteren Monden auf. Auch der Protoplanet (4) Vesta – das erste Ziel der DAWN-Mission – verfügt über derartige Strukturen.
Oftmals entstehen derartige Kraterketten als Folge eines heftigen Impakts, der zunächst einen großen Krater in die Oberfläche reißt. Im Rahmen dieses Vorgangs wird zudem Material in die Höhe geschleudert, welches anschließend wieder auf die Oberfläche trifft und gegebenenfalls weitere, allerdings kleinere Krater erzeugt. Planetologen bezeichnen derartige Strukturen als Primär- beziehungsweise Sekundärkrater.
„Sekundärkrater sind nützliche Werkzeuge bei der Altersbestimmung von Oberflächenstrukturen“, erklärt Dr. Thomas Platz vom MPS, ein weiterer Mitarbeiter des Framing-Camera-Teams. Diese kleineren Krater finden sich zum Teil in großer Entfernung zu dem für ihre Entstehung verantworten Primärkrater, sind aber genauso alt wie dieser. Strukturen, welche die Sekundärkrater überdecken oder unter ihnen hervorschauen, können so im Vergleich zu dem Primärkrater datiert werden. „Auf diese Weise wird es möglich, das Alter weit entfernter Oberflächen zu einander in Beziehung zu setzen“, so Dr. Platz. Diese Methode wird auch als Crater Counting bezeichnet.
Ob die Kraterketten auf der Oberfläche von Ceres, welche auf der aktuellen Aufnahme zu erkennen sind und zum Teil in derselben Richtung verlaufen, alle zu ein und demselben Primäreinschlag gehören, ist jedoch noch unklar.
Derzeit wird von den an dieser internationalen Weltraummission beteiligten Wissenschaftlern intensiv diskutiert, durch welche exakten Prozesse diese vielen kleinen Krater genau entstanden sein könnten. Prof. Jaumann hält es dabei für denkbar, dass es sich bei diesen runden Strukturen um Einsturzsenken handeln könnte, welche sich unabhängig von einem Impaktereignis gebildet haben.
„Hinter dieser Oberfläche steckt sehr wahrscheinlich eine geologisch komplexe Geschichte: Zum einen sind wohl Projektil-Teilchen aus anderen Kratern dort eingeschlagen und hinterließen kleinere Sekundär-Krater, zum anderen deutet der Riss darauf hin, dass es Bewegungen im Kraterboden selbst gegeben hat“, so Prof. Jaumann weiter. „Im Untergrund von Ceres könnten Risse vorhanden sein, in die von der Oberfläche loses Material hineinrutscht“, so ein Lösungsansatz für die Entstehung dieser Strukturen.
Für die eingehendere Untersuchung dieser Strukturen und deren Erklärung sind jedoch weitere Bilddaten notwendig, welche über eine noch höhere Auflösung als bisher gegeben verfügen. Bis dahin müssen die beteiligten Wissenschaftler allerdings noch ein paar weitere Tage Geduld aufbringen. Den nächst niedrigeren Orbit um Ceres wird DAWN erst am 6. Juni 2015 erreichen. Ab dann wird die Raumsonde den Zwergplaneten bis zum 30. Juni auf einer über die beiden Pole von Ceres verlaufenden Umlaufbahn alle drei Tage in einer Entfernung von nur noch etwa 4.400 Kilometern umrunden. Um in diesen so genannten „Survey Orbit“ zu gelangen, sind derzeit die Ionen-Triebwerke der Raumsonde in Betrieb, wodurch bedingt gegenwärtig keine weitere Aufnahmen mit dem Kamerasystem möglich sind.
„Wenn wir in diesem Orbit ankommen, beträgt die Auflösung unserer Fotos 400 Meter pro Pixel – damit und mit der dann viel besseren dreidimensionalen Auflösung werden wir die Strukturen besser analysieren können“, so Prof. Jaumann weiter. Die beteiligten Wissenschaftler hoffen, durch diese dann anzufertigenden Aufnahmen einige der bisherigen Rätsel über die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte dieses Zwergplaneten entschlüsseln zu können.
Die DAWN-Mission wird vom Jet Propulsion Laboratory (JPL) der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA geleitet. Die University of California in Los Angeles ist für den wissenschaftlichen Betrieb der Mission verantwortlich. Das Kamerasystem an Bord der Raumsonde wurde unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin-Adlershof und dem Institut für Datentechnik und Kommunikationsnetze in Braunschweig entwickelt und gebaut. Das Kameraprojekt wird finanziell von der Max-Planck-Gesellschaft, dem DLR und der NASA (JPL) unterstützt.
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- DAWN at Ceres (4,2 MB, engl.)
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- MPS (engl.)