Nach einem langen gemeinsamen Weg ist für die ESA-Sonde Huygens nun der Augenblick gekommen, sich von dem NASA-Mutterschiff Cassini zu trennen und das letzte Stück ihrer Reise zu Titan allein anzutreten.
Ein Beitrag von Axel Orth. Quelle: ESA/JPL.
Heute Nacht, in wenigen Stunden, durchtrennt Cassini nach sieben Jahren und 3,2 Milliarden Kilometern die verbindende Nabelschnur und stößt Huygens mit einem sanften Stoß von sich ab, wartet einen halben Tag, macht einige Kontrollbilder der sich langsam entfernenden Titan-Landesonde und ändert dann ihren eigenen Kurs.
Dies ist auch zwingend notwendig. Denn da Huygens kein eigenes Antriebssystem besitzt und von der Trennung an eine rein ballistische Flugbahn verfolgt, nur bestimmt von den Anziehungskräften der umgebenden Himmelskörper, musste Cassini auf einen Kollisionskurs mit Titan gesteuert werden, um Huygens korrekt auszurichten. In 20 Tagen, am 14. Januar Bordzeit, wird Huygens in die Titanatmosphäre eintreten, und dann wird sich zeigen, ob die Vorstellungen der Ingenieure, wie man eine Titan-Abstiegs und -Landesonde konstruiert, richtig waren.
„Wir haben grünes Licht für die Trennung. Das gemeinsame Team von ESA und NASA hat sein Möglichstes getan, um die Trennung vorzubereiten. Wir sehen dem 14. Januar entgegen und erwarten, dann im Raumfahrt-Operationszentrum ESOC in Darmstadt Daten von Huygens zu empfangen.“ sagte Claudio Sollazzo, der ESA-Chef des Huygens-Operationsteams im JPL in Pasadena/Kalifornien.
Bis kurz vor der Trennung hält das Lagekontrollsystem von Cassini die Sonde auf die Erde ausgerichtet. Der Zeitplan der Trennung (laut Missionsbeschreibung „Titan C flyby“ des JPL) aus Sicht der Erde in europäischer Zeit:
3:55 UhrCassini beginnt, sich in die Abstoßposition zu drehen. Abbruch der Kommunikation mit der Erde.
4:02 Uhr Drehung beendet. Feinregulierung der Abstoßposition.
4:07:50 Uhr Abschalten des Lagekontrollsystems.
4:08:00 Uhr Trennung! Die verbindenden Bolzen werden gesprengt. Ein vorgespannter Federmechanismus wird frei gegeben, der Huygens mit einer Differenzgeschwindigkeit zu Cassini von etwa 0,3 Meter pro Sekunde in Richtung auf Titan abstößt und sie gleichzeitig in eine lagestabilisierende Rotation von etwa 7 Umdrehungen pro Minute versetzt. Die „Nabelschnur“, die die beiden Sonden sieben Jahre lang verband und Huygens‘ Batterien bis zuletzt auflud, wird gekappt. Der gesamte Vorgang dauert nur etwa 0,15 Sekunden. Huygens ist nun auf sich allein gestellt.
4:13 Uhr Die Trennung bringt Cassini durchaus in leichte Schwierigkeiten. Denn gemäß den Gesetzen der Dynamik hat das Abstoßen des über 300 Kilogramm schweren Sondenkörpers das Mutterschiff in eine gewisse Taumelbewegung versetzt, die nun durch Wiedereinschalten des Lagekontrollsystems abgefangen wird.
4:17 Uhr Enttaumeln beendet. Cassini wendet sich wieder der Erde zu.
4:30 Uhr Wiederaufnahme der Kommunikation mit der Erde und Überspielen der während der Trennung aufgezeichneten Telemetriedaten. Die früheste Bestätigung der erfolgreichen Trennung wird das Fehlen der Huygens-Temperatursensoren sowie der Abfall der Temperatur an Cassini-Sensoren sein, die bisher von Huygens überdeckt waren und nun direkt dem Weltraum ausgesetzt sind.
Das möglichst genaue Einnehmen der Abstoßposition ist von entscheidender Bedeutung für das Gelingen der Mission. Man kann es sich an der Sportart Curling (siehe unten) veranschaulichen: So wie der Spieler zusammen mit dem Stein genau auf das Ziel zu gleitet und den Stein schließlich mit einem letzten behutsamen Schubs auf den Weg zum Ziel schickt, muss auch Cassini die Sonde Huygens auf den Weg zu Titan schicken. Nur muss Spieler Cassini über eine Entfernung von vier Millionen Kilometer hinweg zielen, und Stein Huygens braucht 20 Tage bis zum Ziel. Höchste Präzision ist also gefragt, sonst geht Huygens ins Leere und der ganze Aufwand war umsonst. Andererseits ist die Himmelsmechanik heutzutage eine ziemlich exakte Wissenschaft, der luftleere Raum verhält sich eigentlich sehr berechenbar, und das Lagekontrollsystem von Cassini ist derart genau und effizient, dass ihm die knapp sechs Minuten, die es zum Zielen Zeit hat, ausreichen.
Die Dynamik des Abstoßvorgangs ist schon vor Jahren genau durchgerechnet und simuliert worden. Selbst die Differenzgeschwindigkeit durch das Abstoßen wurde dabei berücksichtigt, und die Ausrichtung von Huygens wurde so kalkuliert, dass Huygens 20 Tage später in optimaler Lage für einen Atmosphäreneintritt einen bestimmten Punkt 1270 Kilometer über Titan erreicht. So weit kann man es exakt berechnen. Aber knapp darunter beginnt die Titanatmosphäre und damit die Unsicherheiten…
„Wir müssen dann mit Geduld den spannendsten Teil unserer Mission abwarten, wenn Cassini die Daten von Huygens zurück zur Erde senden wird. Der Abstieg wird weniger als zweieinhalb Stunden dauern, und wenn die Sonde den Aufschlag auf der Oberfläche überlebt, können wir mit bis zu zwei weiteren Stunden wissenschaftlicher Ergebnisse rechnen, bevor die Bordbatterien erschöpft sind.“ sagte Jean-Pierre Lebreton, Missionsmanager und Projektwissenschaftler der ESA.
Es kann los gehen.