Der Saturnmond Rhea ist von einer extrem dünnen, aus Sauerstoff und Kohlendioxid bestehenden Atmosphäre umgeben. Zu diesem Ergebnis kam ein internationales Forscherteam, welches entsprechende, von der Raumsonde Cassini im Verlauf der letzten Jahre gesammelte Daten ausgewertet hat.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: JPL, Science, Planetary Society.
Die jetzt entdeckte Atmosphäre um den zweitgrößten Mond des Planeten Saturn, des etwa 1.530 Kilometer durchmessenden Rhea, wird laut der Forschungsergebnisse durch eine stetig erfolgende chemische Zersetzung von Wassereis, welches sich auf der Oberfläche des Mondes befindet, gebildet. Dieser Zersetzungsprozess wird durch eine regelmäßige Bestrahlung, verursacht durch das Magnetfeld des Saturns ausgelöst. Die sich im Verlauf dieses Prozesses bildende extrem dünne Exosphäre aus Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid macht Rhea für die Wissenschaftler zu einem bisher einzigartigen Forschungsobjekt innerhalb des Saturn-Systems.
Der größte Saturnmond, der etwa 5.150 Kilometer durchmessende Titan, verfügt zwar ebenfalls über eine Atmosphäre, welche sogar deutlich dichter ausfällt, allerdings besteht diese in erster Linie aus Stickstoff und Methan. Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid sind dagegen in der Titan-Atmosphäre kaum vertreten.
„Rhea entpuppt sich damit als viel interessanter, als wir uns bisher vorgestellt haben“, so Linda Spilker, eine Projektwissenschaftlerin der Cassini-Mission vom Jet Propulsion Laboratory (JPL) in Pasadena/Kalifornien. „Diese neue Entdeckung von Cassini offenbart ein weiteres Mal die Vielfalt der Saturnmonde und gibt uns zudem erneute Hinweise darauf, wie sich diese einstmals gebildet und entwickelt haben.“
In der aktuellen Studie kombinierten die beteiligten Wissenschaftler die Daten von zwei wissenschaftlichen Instrumenten der Raumsonde, dem Ion and Neutral Mass Spectrometer (INMS) und dem Cassini Plasma Spectrometer (CAPS), welche im Rahmen von drei dichten Vorbeiflügen an dem Saturnmond am 26. November 2005, am 30. August 2007 und am 2. März 2010 gesammelt wurden. CAPS erfasste dabei klare Signaturen von positiven und negativen Ionenflüssen, welche die Masse von Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid aufwiesen. Parallel dazu wies das INMS Sauerstoffmoleküle in einer Dichte von rund 50 Milliarden Molekülen pro Kubikmeter nach. Die Konzentration des Kohlenstoffdioxids betrug dagegen laut dieser Messungen etwa 20 Milliarden Moleküle pro Kubikmeter.
Damit fällt die Konzentration von Sauerstoffmolekülen in der Exosphäre von Rhea etwa fünf Billionen mal geringer aus als in der irdischen Atmosphäre. Gleichzeitig liegt sie allerdings auch etwa 100 höher als die entsprechenden Molekülkonzentration bei dem Erdmond oder bei dem innersten Planeten unseres Sonnensystems, dem Merkur. Die erfolgten Messungen zeigen zudem, dass die so schon extrem dünne Exosphäre um Rhea nicht überall gleichmäßig verteilt ist. Über der von der Sonne beschienenen und damit auch wärmeren Mondhemisphäre fällt sie deutlich dichter aus. Das detektierte Kohlenstoffdioxid scheint sich dabei fast ausschließlich auf dieser Seite des Mondes zu konzentrieren. Eine eventuelle Erklärung für dieses Phänomen wäre laut den Wissenschaftlern, dass das Kohlenstoffdioxid auf der von der Sonne abgewandten und somit auch kälteren Mondseite relativ schnell kondensiert und aus diesem Grund bisher nicht von den Instrumenten der Raumsonde erfasst werden konnte.
Die Wissenschaftler vermuten, dass der nachgewiesene Sauerstoff in erster Linie von der nachlaufenden Hemisphäre von Rhea freigesetzt wird. Wie auch der Mond der Erde wenden die meisten Monde des Saturns dem Planeten immer die gleiche Seite zu. Die bei der Bewegung um den Saturn von den Planeten abgewandten Seiten der Monde werden auch als die sogenannten „nachlaufende Hemisphären“ bezeichnet. Die Oberfläche von Rhea ist von einer Eisschicht bedeckt. Vom Magnetfeld des Saturn ausgehende energiereiche Teilchen „bombardieren“ dabei speziell diese nachlaufende Hemisphäre der Mondoberfläche. Durch dieses Bombardement wird eine chemische Reaktion in Gang gesetzt, welche in erster Linie diese Bereiche der Mondoberfläche verändert. Im Rahmen dieses Prozesses wird dabei das dort befindliche Wassereis aufgespalten und der darin befindliche Sauerstoff freigesetzt.
Weniger sicher sind sich die Wissenschaftler dagegen bisher über den Ursprung des detektierten Kohlenstoffdioxids. Eine Möglichkeit für dessen Vorhandensein in der Mond-Exosphäre besteht darin, dass es im Rahmen eines permanent ablaufenden Entstehungsprozesses aus sauerstoff- und kohlenstoffhaltigen chemischen Verbindungen, welche auf der Mondoberfläche abgelagert sind, unter der Einwirkung von ionisierender Strahlung direkt auf der Oberfläche des Mondes gebildet wird und dann in die Umgebung entweicht. Als Quellen kommen hierfür zum Beispiel organische Moleküle oder kohlenstoffhaltige Minerale in Frage, welche im Laufe der Zeit durch die Einschläge von Kometen oder Meteoriten auf die Mondoberfläche gelangt sind. Es ist aber auch denkbar, dass das Kohlenstoffdioxid bereits seit der Entstehungsphase unseres Sonnensystems in dem auf dem Mond vorhandenen Eis gebunden ist und durch einen seitdem permanent erfolgenden Ausgasungsprozess langsam von dort entweicht.
„Wie genau das Kohlenstoffdioxid freigesetzt wird, ist bisher noch ein Rätsel“, so Geraint Jones vom University College in London/Großbritannien, welcher ebenfalls als Wissenschaftler an der Cassini-Mission beteiligt ist. „Aber mit Hilfe der vielfältigen Palette an Instrumenten an Bord der Raumsonde, welche den Mond sowohl aus der Ferne als auch aus unmittelbarer Nähe untersuchen können, hoffen wir, auch dieses Rätsel lösen zu können.“
„Die neuen Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine aktive, komplexe und auf Sauerstoff basierende Chemie in unserem Sonnensystem und sogar im gesamten Universum durchaus üblich sein könnte“, so Ben Teolis, ein weiterer Wissenschaftler des Cassini-Teams vom Southwest Research Institute in San Antonio/USA und Hauptautor der Studie. „Eine solche Chemie könnte eine Voraussetzung für die Entstehung von Leben im Universum sein. Allerdings deuten alle bisherigen Messergebnisse der Sonde darauf hin, dass Rhea viel zu kalt ist, um dort das Vorhandensein von flüssigem Wasser zu ermöglichen. Flüssiges Wasser ist jedoch für die Entstehung von Leben wie wir es kennen zwingend notwendig.“ Rhea scheidet somit trotz der gegebenen anscheinend guten chemischen Bedingungen nach dem bisherigen Stand der Kenntnisse als ein potentieller Kandidat für die Heimat von exobiologischen Lebensformen aus.
Unabhängig davon könnte ein entsprechender Prozess der Bildung von Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid, sollte er denn die Regel sein, eine komplexe Chemie auf den Oberflächen vieler eisiger Körper im Universum auslösen, welche eventuell über bessere Umgebungsbedingungen verfügen. Wenn der durch eine Bestrahlung von Wassereis freigesetzte Sauerstoff auf irgend eine Weise unter die Oberfläche eines Himmelskörpers gerät, welcher zudem über einen unterirdischen Ozean aus flüssigem Wasser verfügt, so könnte dies zu einer Umgebung führen, welche deutlich bessere Umweltbedingungen für die Entstehung komplexer organischer Verbindungen und, daraus resultierend, auch von Lebensformen darstellt.
Bereits vor der Auswertung der Daten von Rhea kam die Vermutung auf, dass auch dieser Mond eventuell über eine sauerstoffhaltige dünne Atmosphäre verfügen könnte. Entsprechende sauerstoffhaltige Exosphären waren in der Vergangenheit bereits in der Umgebung der mit Eis bedeckten Jupitermonde Europa und Ganymed entdeckt worden. Für deren Nachweis verwendeten die Wissenschaftler in der Vergangenheit Daten der Jupitersonde Galileo sowie Aufnahmen des Weltraumtelskops Hubble. Auch der im Bereich der Jupitermonde befindliche Sauerstoff, so die Analysen der Wissenschaftler, wird durch die Einwirkung von Strahlung auf das an der Oberfläche der Monde befindliche gefrorene Wassereis freigesetzt, welche in diesen Fällen aus dem Bombardement mit geladenen Teilchen aus der Magnetosphäre des Jupiters resultiert.
Ein weiterer Grund für eine entsprechende Annahme lag darin, dass die Raumsonde Cassini auch in der Umgebung einiger hauptsächlich aus Eis bestehenden Ringe des Saturns in den vergangenen Jahren bereits Sauerstoff nachweisen konnte. Die aktuellen Forschungsergebnisse bezüglich der Exosphäre von Rhea deuten nun darauf hin, dass auch noch andere Eismonde des Saturn über eine solche dünne Atmosphäre verfügen könnten. Ein Kandidat hierfür wäre unter anderem Rheas „Schwestermond“ Dione, dessen Oberfläche über eine ähnliche Zusammensetzung wie die Oberfläche von Rhea verfügt.
Die nächste Gelegenheit für eine ausführlichere Untersuchung der Exosphäre um Rhea wird sich am 11. Januar 2011 ergeben. An diesem Tag wird die Raumsonde Cassini des Mondes im Rahmen eines gezielten Vorbeifluges in einer Entfernung von etwa 76 Kilometern mit einer Geschwindigkeit von 8 Kilometern pro Sekunde passieren. Der nächste gezielte Überflug über dem Mond Dione wird dagegen am 12. Dezember 2011 in einer Höhe von etwa 99 Kilometern erfolgen. Dabei wird Cassini eine Geschwindigkeit von 8,7 Kilometern pro Sekunde erreichen.
Die hier kurz vorgestellte Studie von dem Team um Ben Teolis wurde am 25. November 2010 in der Online-Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Science“ publiziert.
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