Am Montag veröffentlichte Raumfahrer.net einen offenen Brief, gerichtet an führende Wissenschaftler der Rosetta-Mission. Die ESA hat mittlerweile geantwortet. Internationale Medien haben berichtet. Wir danken für den breiten Zuspruch. Wir werden den begonnenden Dialog fortführen.
Ein Beitrag von Karl Urban. Quelle: Raumfahrer.net.
Sehr geehrter Herr Sierks, liebe Rosetta-Veranwortliche,
wir sind eine Gruppe von Menschen, die Ihre Arbeit wertschätzen. Wir interessieren uns für Raumfahrt und Astronomie. Wir sind überwiegend Laien – und doch sind wir süchtig. Süchtig nach Informationen aus dem All, nach neuen Bildern. Wo immer etwas passiert, sind wir hautnah dabei. Wir verfolgen jeden Raketenstart auf NASA TV. Wir laden uns die Rohbilder von Curiosity herunter, um daraus selbst Anaglyphen oder Panoramen zu basteln. Wir tun das nicht, um Forschern wie Ihnen Konkurrenz zu machen. Das könnten wir auch nicht. Wir tun das, weil wir das Gefühl lieben, an Wissenschaft teilhaben zu können.
Lieber Herr Sierks, am 6. August beginnt für uns das Raumfahrtereignis des Jahres. Wir werden jeden Orbit von Rosetta um Tschurjumow-Gerasimenko verfolgen. Wir werden jubeln und bei Problemen bangen. Die europäische Raumfahrt vollbringt aus unserer Sicht derzeit etwas Einmaliges, was bisher niemand versucht hat. Wir wissen um die Risiken der Raumfahrt und erkennen sie an, auch wenn solche Missionen viel Steuergeld kosten. Wir verstehen, dass ein raketengebremster Marsrover bei allem Risiko genauso notwendig ist wie ein Kometensatellit samt Lander.
Was wir dagegen überhaupt nicht nachvollziehen können ist die gegenwärtige Öffentlichkeitsarbeit der europäischen Wissenschaftler bei Institutionen wie der ESA und beim MPS. Uns stört Ihre derzeitige Politik, nach der Bilder über Monate von der Öffentlichkeit ferngehalten werden. Uns stört, dass nur winzige Häppchen sofort in die Öffentlichkeit gelangen sollen von vielen Gigabytes, die ab August vom Kometen 67P kommen.
Kam nur wegen der unvorsichtigen Raumfahrtagentur CNES vorzeitig an die Öffentlichkeit: Die ungewöhnliche Form des Zielkometen von Rosetta. Obwohl die zu schnell veröffentlichte Pressemitteilung sofort wieder offline war, verbreitete sich dieses Bild wie ein Lauffeuer im Web. (Bild: ESA / Rosetta / MPS for OSIRIS Team MPS / UPD / LAM / IAA / SSO / INTA / UPM / DASP / IDA) |
Eine solche Datenweitergabe ist aus unserer Sicht eine Öffentlichkeitsarbeit aus dem letzten Jahrtausend.
Damals genügte es, wenige Bilder an Journalisten zu streuen, die sie dann gelegentlich auf Titelseiten druckten. Rosetta verfolgen heute dagegen Millionen Menschen über das interaktive Internet. Sie wollen nicht nur möglichst in Echtzeit von der Mission erfahren. Sie sind es längst von anderen Weltraummissionen gewöhnt: Foto-Aufnahmen von Cassini, Opportunity oder Curiosity werden von den beteiligten Wissenschaftlern im Roh-Format nahezu in Echtzeit im Internet bereitgestellt. Das Rosettateam verschickt dagegen bisher nur winzige Häppchen. Gegenüber amerikanischen Missionen scheint Rosetta (und vor allem ihre Kameraexperimente) hinter verschlossenen Türen stattzufinden, wo die Öffentlichkeit nur durchs Schlüsselloch luken darf.
Wir verstehen, dass Wissenschaftler solcher internationalen Missionen miteinander konkurrieren. Wir verstehen, dass nicht sofort alle Rohdaten ins Internet gelangen können, weil Sie und Ihre Kollegen teilweise seit Jahrzehnten an diesem Projekt arbeiten, das jetzt Früchte tragen soll. Wir erkennen an, dass es einen Kompromiss geben muss zwischen dem Interesse der beteiligten Forscher und uns, der für Ihre Arbeit aufgeschlossenen Öffentlichkeit.
Wir erwarten aber, dass seitens der ESA, dem DLR, dem MPS und anderer Institute überhaupt über solche Kompromisse nachgedacht wird. Wir wünschen uns, dass in vermeintlich eher unkritischen Phasen wie der aktuellen (Anflug mit gerade pixelgroßem Kometen) nicht im Abstand von Wochen wenige Bilder ins Netz gestreut werden. Wie fordern, dass auch nach der Ankunft niedrig aufgelöste Bilder ohne hohen wissenschaftlichen Wert in Echtzeit veröffentlicht werden, ähnlich der Webcam von Mars Express. Wir fordern, dass nicht die Konkurrenz zwischen einzelnen Kameras an Bord Rosettas (OSIRIS und NavCam) dazu führen, dass Bilder zurückgehalten werden, wie kürzlich von ESA-Missionsmanager Fred Jansen zugegeben.
Lieber Herr Sierks, wir vertreten einen großen Teil der raumfahrtinteressierten Öffentlichkeit in Deutschland. Das Portal Raumfahrer.net besuchen täglich mehr als 5000 Menschen. Das übertrifft die Abrufzahlen des DLR-Portals und der deutschsprachigen ESA-Seite. Wir repräsentieren zwar nur einen kleinen Teil der internationalen Raumfahrtfans. Doch auch die US-Enthusiasten blicken sehr besorgt auf Ihre Informationspolitik. Wir wünschen uns, dass das OSIRIS-Team gemeinsam mit Ihren Kollegen einen Weg findet, die Öffentlichkeit stärker und regelmäßiger einzubinden. Wir versprechen, dass es der Raumfahrt nicht schaden wird – denn nur gemeinsam können wir den Rest der Gesellschaft überzeugen, dass eine Milliarde Euro für eine Kometensonde sehr gut investiertes Geld sind. Denn eine gut eingebundene Fangemeinde ist heute unabdingbar, um auch für zukünftige, noch umzusetzende Weltraummissionen eine wohlgesinnte breite Öffentlichkeit zu schaffen. Und eine gut informierte Internetgemeinde ist dabei weit effizienter als jede nett bebilderte Titelseite einer Tageszeitung. Das ist unser Versprechen.
Herr Sierks, wir drücken die Daumen für Rosettas heiße Phase im Kometenorbit. Und wir hoffen wie Sie, dass die Mission auch weite Teile der Gesellschaft inspirieren wird, wie es einst die erste Mondlandung und kürzlich die Landung von Curiosity tat. Wir fürchten uns wie Sie davor, dass das Interesse an der Raumfahrt zurückgeht. Das sollten wir gemeinsam versuchen zu verhindern. Eine zeitnahe Freigabe der durch die OSIRIS-Kamera angefertigten Aufnahmen würde die Erfüllung dieser Zielsetzung in unseren Augen ungemein erleichtern.
Mit freundlichen Grüßen
Der Vorstand des Raumfahrer Net e.V.
Thomas Weyrauch
Oliver Karger
Ilka Meuer
Simon Plasger
Karl Urban
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