Borexino-Experiment: Neue Daten zu Geoneutrinos

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Borexino-Kollaboration haben neue Ergebnisse zur Messung von Neutrinos vorgelegt, die aus dem Innern der Erde stammen. Die schwer fassbaren „Geisterteilchen“ interagieren nur äußerst selten mit Materie, was den Nachweis schwierig macht. Eine Pressemitteilung des Forschungszentrums Jülich.

Quelle: Forschungszentrum Jülich.

Blick ins Innere des Borexino-Detektors. (Bild: Borexino Collaboration)
Blick ins Innere des Borexino-Detektors. (Bild: Borexino Collaboration)

Mit dem Update konnten die Forscher nun auf 53 gemessene Ereignisse zurückgreifen – beinahe doppelt so viele wie bei der vorherigen Auswertung der Daten des Borexino-Detektors, der 1.400 Meter tief unter der Erdoberfläche im Gran-Sasso-Massiv bei Rom gelegen ist. Die Ergebnisse geben einen exklusiven Einblick in Prozesse und Verhältnisse im Erdinneren, die bis heute immer noch rätselhaft sind.

Unser Planet leuchtet, auch wenn es mit dem bloßen Auge nicht zu sehen ist. Grund dafür sind Geoneutrinos, die in radioaktiven Zerfallsprozessen im Innern der Erde entstehen. Jede Sekunde durchdringen etwa eine Million davon jeden Quadratzentimeter der Erdoberfläche. Das Borexino-Instrument im größten Untergrundlabor der Welt, das Laboratori Nazionali del Gran Sasso in Italien, ist einer der wenigen Detektoren weltweit, die in der Lage sind, die spukhaften Teilchen zu erfassen.

Bereits seit 2007, also seit über zehn Jahren, sammeln Forscher mit Borexino Daten über Neutrinos. Bis 2019 konnten sie doppelt so viele Ereignisse wie zum Zeitpunkt der letzten Auswertung im Jahr 2015 registrieren – und die Unsicherheit der Messungen von 27 auf 18 Prozent herunterschrauben, was auch auf neue Analysemethoden zurückzuführen ist.

„Geoneutrinos sind die einzigen direkten Spuren der radioaktiven Zerfälle, die irgendwo im Inneren der Erde stattfinden und die einen noch unbekannten Teil der Energie erzeugen, die die gesamte Dynamik unseres Planeten antreibt“, erklärt Livia Ludhova, eine der beiden aktuellen wissenschaftlichen Koordinatoren von Borexino und Leiterin der Neutrino-Gruppe des Instituts für Kernphysik am Forschungszentrum Jülich.

Das Diagramm zeigt Geoneutrinos aus dem Erdinneren, die vom Borexino-Detektor gemessen wurden, was zu den endgültigen Energiespektren führt. Die x-Achse zeigt die Ladung (Anzahl der Photoelektronen) des Signals, als Maß für die in den Detektor eingebrachte Energie; die y-Achse zeigt die Anzahl der gemessenen Ereignisse. (Bild: Borexino Collaboration)
Das Diagramm zeigt Geoneutrinos aus dem Erdinneren, die vom Borexino-Detektor gemessen wurden, was zu den endgültigen Energiespektren führt. Die x-Achse zeigt die Ladung (Anzahl der Photoelektronen) des Signals, als Maß für die in den Detektor eingebrachte Energie; die y-Achse zeigt die Anzahl der gemessenen Ereignisse. (Bild: Borexino Collaboration)

Den Forschern der Borexino-Kollaboration ist es gelungen, das Signal von Geoneutrinos aus dem Erdmantel, der sich unter der Erdkruste befindet, über den bekannten Beitrag des oberen Erdmantels und der Erdkruste – der so genannten Lithosphäre – zu bestimmen.
Die Verhältnisse im Inneren der Erde sind in vielerlei Hinsicht einzigartig im gesamten Sonnensystem. Man denke etwa an das intensive Magnetfeld, die unablässige vulkanische Aktivität, die Bewegung der tektonischen Platten und die sogenannte Mantelkonvektion. Die Frage, aus welchen Quellen sich die innere Wärme der Erde speist, beschäftigt Wissenschaftler bereits seit über 200 Jahren.

„Die Hypothese, dass in der Tiefe keine Radioaktivität mehr vorhanden ist, kann jetzt mit 99-prozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden. Das ermöglicht es nun zum ersten Mal, einen Mindestgrenzwert für die Uran und Thorium Häufigkeiten im Erdmantel festzulegen“, konstatiert Livia Ludhova.

Die Werte sind für unterschiedliche Erdmodell-Rechnungen interessant. So lässt sich mit hoher, konkret: 85-prozentiger Wahrscheinlichkeit daraus ableiten, dass radioaktive Zerfallsprozesse im Inneren der Erde mehr als die Hälfte der inneren Wärme der Erde erzeugen. Die andere Hälfte stammt zum Großteil noch aus der ursprünglichen Formation unseres Planeten. Radioaktive Prozesse in der Erde stellen demnach einen nicht zu vernachlässigenden Teil der Energie bereit, die Vulkane, Erdbeben und das Erdmagnetfeld antreibt.

Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin Phys. Rev. D publiziert. Die Veröffentlichung stellt über die neuen Resultate hinaus eine umfassende physikalische und geologische Analyse vor, die für die nächste Generation von Flüssig-Szintillator-Detektoren zur Messung von Geoneutrinos hilfreich sein wird. Die nächste Herausforderung für die Forschung mit Geoneutrinos besteht nun darin, Geoneutrinos aus dem Erdmantel mit größerer Präzision zu messen: vielleicht mit Detektoren, die an verschiedenen Positionen auf unserem Planeten verteilt sind. Ein solcher Detektor wird der JUNO-Detektor in China sein, an dem die Jülicher Neutrino-Gruppe ebenfalls beteiligt ist. Der Detektor wird um einen Faktor 70 größer sein als Borexino, was dazu beiträgt, dass schon in einer kurzen Zeitspanne eine höhere statistische Signifikanz erreicht werden kann.

Originalpublikation:

Comprehensive geoneutrino analysis with Borexino
M. Agostini, K. Altenmüller, S. Appel, V. Atroshchenko, Z. Bagdasarian, D. Basilico, G. Bellini, J. Benziger, D. Bick, G. Bonfini, D. Bravo, B. Caccianiga, F. Calaprice, A. Caminata, L. Cappelli, P. Cavalcante, F. Cavanna, A. Chepurnov, K. Choi, D. D’Angelo, S. Davini, A. Derbin, A. Di Giacinto, V. Di Marcello, X.F. Ding,h,l, A. Di Ludovico, L. Di Noto, I. Drachnev, G. Fiorentini, A. Formozov, D. Franco, F. Gabriele, C. Galbiati, M. Gschwender, C. Ghiano, M. Giammarchi, A. Goretti, M. Gromov, D. Guanti, C. Hagner, E. Hungerford, Aldo Ianni, Andrea Ianni, A. Jany, D. Jeschke, S. Kumaran, V. Kobychev, G. Korga, T. Lachenmaier, T. Lasserre, M. Laubenstein, E. Litvinovich, P. Lombardi, I. Lomskaya, L. Ludhova, G. Lukyanchenko, L. Lukyanchenko, I. Machulin, F. Mantovani, G. Manuzio, S. Marcocci, J. Maricic, J. Martyn, E. Meroni, M. Meyer, L. Miramonti, M. Misiaszek, M. Montuschi, V. Muratova, B. Neumair, M. Nieslony, L. Oberauer, A. Onillon, V. Orekhov, F. Ortica, M. Pallavicini, L. Papp, Ö. Penek, L. Pietrofaccia, N. Pilipenko, A. Pocar, G. Raikov, M.T. Ranalli, G. Ranucci, A. Razeto, A. Re, M. Redchuk,w, B. Ricci, A. Romani, N. Rossi,1, S. Rottenanger, S. Schönert, D. Semenov, M. Skorokhvatov, O. Smirnov, A. Sotnikov, V. Strati, Y. Suvorov, R. Tartaglia, G. Testera, J. Thurn, E. Unzhakov, A. Vishneva, M. Vivier, R.B. Vogelaar, F. von Feilitzsch, M. Wojcik,M. Wurm, O. Zaimidoroga, S. Zavatarelli, K. Zuber, G. Zuzel

Phys. Rev. D (21 January 2020), DOI: 10.1103/PhysRevD.101.012009

Synopsis in Physics: Earth As a Neutrino Source (21 January 2020)

Weitere Informationen:

Die Ergebnisse gehen auf eine großangelegte Zusammenarbeit der gesamten Borexino-Kollaboration zurück. Ein großer Teil der Datenanalyse wurde von Sindhujha Kumaran im Rahmen ihrer Masterarbeit und ersten Teils ihrer Doktorarbeit unter der Leitung von Livia Ludhova erbracht. Darüber hinaus gibt es noch 3 weitere Koautoren, nämlich Zara Bagdasarian, Ömer Penek und Mariia Redchuk, die ebenfalls zur Neutrinogruppe am Jülicher Kernphysikalischen Institut (IKP) gehören.

Neutrino-Gruppe, Institut für Kernphysik, Forschungszentrum Jülich

Neutrino-Physik, Institut für Kernphysik, Forschungszentrum Jülich

Borexino-Experiment

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