Anlässlich der Eröffnung der Herstellungshalle hat das Luft- und Raumfahrtunternehmen Boeing ihrem kommerziellen Raumschiff CST-100 den offiziellen Namen Starliner gegeben.
Autor: Martin Knipfer. Quelle: NASA, NSF, Boeing.
Nach dem Ende des Space Shuttle-Programms 2011 sind US-amerikanische Astronauten dazu gezwungen, mit den russischen Sojus-Raumschiffen zur Internationalen Raumstation ISS zu fliegen. Obwohl sich diese Praxis bewährt hat, streben die Vereinigten Staaten in Zukunft einen unabhängigen bemannten Zugang zur Station an. Um die Kosten dafür in einem vertretbaren Rahmen zu halten, setzt die US-amerikanische Luft- und Raumfahrtagentur NASA auf einen innovativen Ansatz: Die Agentur startet nicht mehr selbst Raketen ins All, sondern kauft sich Flüge zur Raumstation bei privaten Unternehmen. Die Raumschiffe dieser privaten Raumfahrtfirmen müssen jedoch noch entwickelt werden. Diese Arbeiten fördert die NASA im Rahmen des Commercial Crew-Programmes mit mehreren Milliarden Dollar. Zwei Firmen haben inzwischen die begehrten Verträge erhalten: Das kalifornische Start-Up SpaceX und der „big player“ Boeing. Neben dem oben genannten politischen Ziel soll durch das Commercial Crew-Programm auch die wissenschaftliche Arbeit an Bord der ISS verbessert werden: Jedes Raumschiff bringt vier NASA-Astronauten zur Station, wodurch die Besatzung an Bord auf sieben aufgestockt werden soll. So steht doppelt so viel Zeit für wissenschaftliche Experimente zur Verfügung.
Boeing setzt bei dem Raumschiff auf ein zweckmäßiges Design: Der Fokus liegt auf einem sicheren, automatisierten Transport von Astronauten zur ISS und wieder zurück zur Erde. Das Raumschiff ist in zwei Sektionen eingeteilt: Das Servicemodul und die eigentliche Raumkapsel. Das Servicemodul versorgt das Raumschiff mit Strom, Luft sowie vielem mehr und treibt es an. In der Raumkapsel können bis zu sieben Passagiere Platz nehmen (bei Flügen zur ISS werden es nur vier sein), sie verfügt über einen Hitzeschild und Fallschirme zur sicheren Landung auf der Erde. Doch trotz der recht konservativen Auslegung verfügt das Raumschiff über zahlreiche innovative Features: Die Landung erfolgt -anders als etwa bei dem Apollo-Raumschiff- nicht im Wasser, sondern mithilfe von Airbags und Fallschirmen an Land. So wird die Bergung und die Aufbereitung vereinfacht, denn die Kapsel soll nach dem Flug erneut gestartet werden können. Auch die Fertigung der Kapsel soll dadurch vereinfacht werden, dass man bei der Struktur auf Schweißnähte verzichtet. Die Rettungstriebwerke sind in dem Servicemodul integriert, wodurch im Vergleich zu einem separaten „Turm“ Gewicht eingespart wird. Im Inneren verfügen die Astronauten über Samsung-Tablets, WLAN und eine spezielle LED-Beleuchtung.
Bis vor Kurzem hieß dieses Raumschiff noch CST-100 (Crew Space Transport 100), nach der sogenannten Karman-Linie, der Grenze zum Weltraum, die auf 100 km über der Erde festgelegt ist. Mittlerweile wurde dem Raumschiff ein deutlich eingängigerer Name gegeben: Starliner. Dieser Name wurde im Rahmen der Eröffnung der C3PF (Commercial Crew and Cargo Processing Facility) am 4. September bekanntgegeben. Dabei handelt es sich um eine Halle auf dem Gelände des Kennedy Space Centers in Florida, in der der Starliner gebaut, betankt und aufbereitet werden soll. Zuvor hieß die C3PF noch OPF-3 (Orbiter Processing Facility 3), da hier über 20 Jahre lang Space Shuttle-Orbiter zwischen den Flügen gewartet wurden. Boeing hat altes Shuttle-Equipment demontiert und die Halle mittlerweile modernisiert und umgebaut. In der „High Bay“ wird die Raumkapsel zusammengebaut und aufbereitet, für jeden Schritt in der Prozedur gibt es einen eigenen Bereich. In dem vorherigen „Engine Shop“, in dem die Haupttriebwerke des Shuttles gewartet wurden, wird nun das Servicemodul zusammengebaut. Die erste Druckkabine des Starliners wird bereits zusammengebaut, so sind etwa schon die beiden „Dome“ aus Aluminium angekommen, die die Struktur bilden. Auch wenn diese Raumkapsel nie ins All fliegen wird, ist sie für die Entwicklung des Starliners von großer Bedeutung, weil so die Fertigungsmethoden überprüft werden können. Dieser Strukturtestartikel wird danach einer Reihe von Tests unterzogen, bis er dann 2017 bei einem Test des Rettungssystems eingesetzt wird.
Nach dem Bau in der C3PF wird der Starliner zum Startplatz transportiert. Obwohl das Raumschiff theoretisch auf jeder ausreichend leistungsfähigen Rakete starten könnte, werden die Flüge zur ISS mit einer Atlas V erfolgen. Dieser Träger hat sich als äußerst zuverlässig herausgestellt. Momentan laufen bei der Betreiberfirma ULA (United Launch Alliance) Arbeiten, um die Atlas V zu manraten, die Rakete also für bemannte Flüge geeignet zu machen. Gleichzeitig muss die Infrastruktur am Startplatz SLC-41 modifiziert werden. Zu diesen Arbeiten zählt die Errichtung eines Zugangsturms, mit dem die Astronauten in die Raumkapsel an der Spitze der Rakete einsteigen können. In diesem Zugangsturm sind moderne Datenverarbeitungs- und Kommunikationssysteme untergebracht und vor den Abgasen der Rakete geschützt, neben einem Aufzug verfügt er auch über Annehmlichkeiten, die wohl nur ein Astronaut mit schwerem Raumanzug wertschätzen wird, wie breitere Gänge oder Ecken, bei denen man schwerer in jemanden hineinstolpern kann. Auch wird der Turm mit einem Evakuierungssystem ausgestattet, mit dem man im Notfall wie bei einer Seilbahn schnell in ein gepanzertes Fahrzeug nach unten fahren kann.
Das Fundament für den Zugangsturm wurde bereits fertiggestellt. Der tatsächliche Turm wird in mehreren Kilometern Entfernung zum Startplatz in sieben einzelnen Segmenten gebaut. Die Segmente werden dann zwischen den regulären Starts der Atlas V auf dem Startplatz miteinander verbunden, sodass sie den Turm bilden. Das erste Segment, das zwei Stockwerke beinhaltet, ist inzwischen dort angekommen und soll nächste Woche installiert werden. Nachdem der Turm steht, wird oben ein Zugangsarm angebracht, der vor dem Start zu dem Starliner geschwenkt wird, damit die Astronauten einsteigen können.
Bis der Starliner tatsächlich zu den Sternen fliegen wird, dauert es noch eine Weile: 2017 sollen zwei Testflüge stattfinden, ein unbemannter und ein bemannter. Bei dem bemannten Testflug, bei dem der Starliner auch an der ISS andocken wird, werden zwei Astronauten an Bord sein: Einer wird von Boeing, der andere von der NASA gestellt. Inzwischen hat die NASA vier Astronauten ernannt, die Boeing und SpaceX dabei helfen sollen, ihre Raumschiffe zu entwickeln und dafür trainiert werden, sie zu fliegen. Außerdem werden sie den Pool bilden, aus dem die NASA die Astronauten auswählt, die bei den bemannten Testflügen an Bord sein dürfen. Es handelt sich bei ihnen um Bob Behnken, Eric Boe, Doug Hurley und Suni Williams. Alle vier waren Testpiloten, bevor sie Astronauten wurden. Auch haben sie beeindruckende Weltraum-Erfahrung vorzuweisen: Jeder der vier ist zweimal zur ISS geflogen: Behnken, Boe und Hurley mit dem Space Shuttle, Williams einmal mit dem Shuttle und einmal mit der russischen Sojus. Bald werden sie mit der nächsten Generation US-amerikanischer Raumschiffe in den Weltraum zurückkehren.
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