Wenige Tage vor dem Start beschreibt Mars Express-Systemingenieur John Reddy die letzten Vorbereitungen der Missionsspezialisten auf der Erde.
Autor: Michael Stein
Ein Raumschiff auf dem Weg zum Mars von der Erde aus zu steuern ist wie das Fahren der Rallye Monte Carlo – per Fernsteuerung von einem geschlossenen, fensterlosen Raum aus! Und wir müssen außerdem das Auto kaufen, die Bedienungsanleitung lesen, eine Reihe von Aktionen vorbereiten und das Rennen beenden, ohne wegen Treibstoffmangel liegen zu bleiben oder einen Unfall zu bauen! Angesichts des startbereiten Raumschiffs auf der Startrampe in Baikonur werden die intensiven Anstrengungen leicht vergessen, mit denen man sich zur Zeit auf den Flug von Mars Express nach dem Start vorbereitet.
Unser Team beim European Space Operations Centre (ESOC) in Darmstadt muss den „Flug“ der Raumsonde unter realistischen Bedingungen trainieren und auf jede Eventualität vorbereitet sein.
Die Kontrolle von Mars Express (MEX) wird von dem so genannten Flight Control Team (FCT) erledigt, das vor Reihen von Konsolen im Mission Control Centre (MCR) sitzen, von wo aus sie Kommandos zur Raumsonde senden und die Telemetriedaten vom MEX überwachen können. Dieses Team setzt sich aus dem Spacecraft Operations Manager und einer Gruppe von Ingenieuren unter der Leitung des Flight Operations Director zusammen. Das Team ist in zwei Schichten aufgeteilt, um eine 24-Stunden-Abdeckung während des Flugs der Raumsonde über die Bodenstationen in New Norcia (Australien) und dann Kourou (Französisch-Guayana) zu gewährleisten. Sie werden von Vertretern der Herstellerfirmen und des Mars Express-Projektteams unterstützt.
Das Training wird in Form von so genannten Simulationskampagnen (SIM) durchgeführt, in deren Rahmen das Mission Control Center an einen „Raumsonden-Simulator“ angeschlossen ist, der das tatsächliche Verhalten der realen MEX-Systeme simulieren kann. Er akzeptiert Kommandos vom MCR und erzeugt Telemetriedaten in derselben Weise wie Mars Express während des Fluges.
Mit Hilfe der Simulationen wird das FCT dafür trainiert, um beim Auftreten von Problemen effektiv reagieren zu können. Eine typische Simulation konzentriert sich auf Aktivitäten während eines bestimmten Ereignisses (zum Beispiel die erste Kontaktaufnahme mit der Raumsonde nach dem Start). Während einer dieser Simulationsläufe speist der so genannte Simulationsoffizier Fehler in das System ein um dem FCT die Möglichkeit zu geben, Aktionen zur Behebung dieser Probleme zu üben. Diese simulierten Fehler beschränken sich nicht auf Ausfälle der MEX-Elektronik sondern auch auf Ereignisse bei ESOC wie zum Beispiel einem Feueralarm im Mission Control Room, durch den das gesamte Team in ein anderes Kontrollzentrum umziehen muss!
Während der gesamten Übungen reagiert das Team, als ob eine echte Raumsonde in Gefahr wäre. Manchmal vergessen wir in der Hitze des Gefechts, dass es sich um eine Simulation handelt, und es ist nicht selten, dass man während solcher „Gefahrenmomente“ das Essen verpasst.
Am Ende der Simulation wird eine Nachbesprechung abgehalten, in der jeder Beteiligte eine Einschätzung seines Verhaltens abgibt. Diese Besprechungen sind oft recht hitzig. Jedes Mitglied des Teams ist sich über die Bedeutung seiner Rolle für den Erfolg der Mars Express-Mission im klaren. Es wird viel Selbstkritik geübt, da jeder seinen Beitrag so gut wie möglich erbringen möchte. Die SIM-Kampagnen sind eine wichtige Übung zur Ausbildung des Teamgeistes.
Die Simulationen für den Start und die frühe Operationsphase begannen Anfang dieses Jahres und gehen nun zuende. Nach dem Start am 2. Juni 2003 werden vergleichbare Simulationen für die nächsten wichtigen Phasen der Mission wie die Trennung von Beagle 2 und der Eintritt von Mars Express in den Mars-Orbit durchgeführt werden.
Aber von da an gibt es keine weiteren Simulationen mehr. Es ist Realität. Wir werden ein reales Raumschiff auf seinem Weg zum Mars kontrollieren – die erste europäische Mission zu einem anderen Planeten.
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