Seit 1799 hatten Astronomen über dem Problem der Mondbeule gegrübelt. Frühere Berechnungen auf der Basis der aktuellen, annähernd kreisförmigen Umlaufbahn des Mondes um die Erde konnten die Größe der Ausbuchtung nicht erklären. Nun haben Wissenschaftler erstmals ein schlüssiges Konzept vorgelegt.
Ein Beitrag von Hans J. Kemm. Quelle: Ian Garrick-Bethell (University of California, Santa Cruz) et al.:Science.
Die Gestalt des Mondes gleicht mehr der eines dreiachsigen Ellipsoids als der einer Kugel. An den Polen ist er etwas abgeplattet mit einem Durchmesser von 3.472 km und die in Richtung der Erde weisende Äquatorachse ist etwas größer als die darauf senkrecht stehende Polachse. Der Äquatorwulst ist auf der erdabgewandten Seite dabei noch deutlich größer als auf der erdnahen Seite.
Zwischenzeitig haben ganze Generationen von Gelehrten versucht dies Phänomen zu erklären. Eine Richtung war, dass diese Beule entstanden ist, wie wir Erdenbewohner es kennen von der Tide. Die Anziehungskraft von Mond und Erde sowie die Fliehkraft der Erde bewegen das Meerwasser. Auf der mondnahen Seite der Erde ist die Anziehungskraft des Mondes stärker als die Fliehkraft der Erde. Dadurch wird hier das Meerwasser zum Mond hingezogen, es entsteht Flut. Auf der vom Mond abgekehrten Seite der Erde ist aber die Fliehkraft der Erde größer als die Anziehungskraft des Mondes. Deshalb entsteht auch hier ein zweiter Wasserberg – die Flut. Aus den dazwischen liegenden Gebieten fließt das Wasser fort. Dort herrscht Ebbe.
Zentrifugalkraft der Erde = Anziehungskraft des Mondes. Auf der dem Mond zugekehrten Seite der Erde ist die Anziehungskraft aufgrund der etwas geringeren Entfernung zum Mond um einen kleineren Betrag stärker (Zenitflut). Auf der abgekehrten Seite ist sie entsprechend schwächer als die Zentrifugalkraft (Nadirflut).
Bis dahin kamen alle Erklärungen, aber die Sache hatte den Haken, dass nämlich bei der Tide es sich um bewegliches Wasser handelt, aber bei der Mondbeule um massives Gestein und das noch in großer Dimension.
Wissenschaftler vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) hatten vor der Mondbeulen-Studie bereits die Oberflächenform des Jupitermondes Europa exakt analysiert, bei dem eine Eisschicht auf einem flüssigen Ozean treibt. Außerdem nutzten die Astronomen für ihre Untersuchungen Messdaten der Mondsonden Lunar Reconaissance Orbiter und Kaguya.
Sie kamen dann zu dem Ergebnis: Die Erhebung in der Mondoberfläche lässt sich durch eine einfache mathematische Formel beschreiben. Gezeitenkräfte haben die Oberfläche des Erdtrabanten geformt.
Der Erdtrabant kreiste 100 Millionen Jahre nach seiner Entstehung auf einer stark elliptischen Bahn um die Erde. Der Abstand zwischen ihnen war damals erheblich kleiner. In dieser Zeit bestand der Mond noch aus flüssigem Gestein, so dass das Spannungsfeld aus den Kräften von Erde und Sonne zu einer deutlichen Verformung des noch jungen Himmelskörpers führte. Die Gravitation der Erde verformte durch Gezeitenkräfte die Mondoberfläche. An den Polen des Erdtrabanten wirkten die Gezeitenkräfte besonders stark, wodurch die Kruste dort immer dünner wurde. Die dicksten Stellen der Kruste befinden sich dagegen in den Regionen, die auf einer Linie mit der Erde liegen. Als das Magma nach und nach erstarrte, blieb die ungewöhnliche Verformung erhalten. Der Mond behielt demnach seine erstarrte Beule bei, während er über Jahrmillionen hinweg seine Umlaufbahn um die Erde veränderte. Zurzeit entfernt er sich jedes Jahr um knapp 4 Zentimeter.
Ein wesentlicher Punkt bleibt aber ungeklärt. Der Tiden-Effekt ist immer symmetrisch, und die Flutberge formen sich jeweils auf den ihnen gegenüberliegenden Seiten. Bei unserem Mond scheint aber die Beule nur auf der erdabgewandten Seite zu bestehen. Hier versuchten die Astronomen eine Erklärung zu finden, die aber nicht ganz schlüssig ist. Die Form und die Größe der Beule auf der erdnahen Seite könnte sich in den vergangenen 4 Milliarden Jahren durch geologische Prozesse des Mondes verändert haben. Hier sind wohl noch weitere Überlegungen notwendig.