Die ESA-Sonde Venus Express (VEX) beendet ihre achtjährige Mission mit einer Serie von Atmosphärenbremsmanövern. Lag die größte Annäherung an die Venus in der Regel über 200 Kilometern, hat man diese in den letzten Tagen schrittweise auf 132,7 Kilometern gesenkt. Damit stößt man mit der Sonde in verschiedenster Hinsicht in neue Grenzbereiche vor.
Ein Beitrag von Roland Rischer. Quelle: ESA Rocket Science Blog.
Nach einer Vorbereitungs- (Walk-in-) Phase begannen die jetzigen Aerobrake-Manöver von Venus Express offiziell am 18. Juni 2014 mit einem Perizentrum (niedrigster Punkt eines Orbits) von 136 Kilometer. Venus Express absolvierte am 25. Juni 2014 die bis dahin niedrigste Flughöhe von 132,7 Kilometern. Die Höhenangabe wurde inzwischen vom Flugdynamik-Team beim European Space Operation Center (ESOC) in Darmstadt bestätigt. Sie ist leicht niedriger als im Vorfeld angekündigt, 133 Kilometer sollte die Untergrenze sein.
Offensichtlich will man sich aber noch etwas weiter nach unten tasten. Einen Atmosphärenwiderstand von bis zu 0,55 Newton/Quadratmeter möchte man der Sonde zumuten. Das wäre dann schon an der vermuteten Belastungsobergrenze. Die Planung war hinsichtlich des Maximums etwas unkonkret. Abhängig von den Zustandsdaten nach jedem Umlauf sollte Venus Express einem Atmosphärendruck von höchstens 0,4 bis 0,6 Newton/Quadratmeter ausgesetzt werden. Noch wenige Tage zuvor hat man in rund 140 Kilometer Höhe mit Hilfe der Beschleunigungsmesser an Bord einen Druck von 0,13 Newton/Quadratmeter ermittelt, was einen Eindruck von Zunahme der Atmosphärendichte über wenige Kilometer Absenkung gibt.
Kräfte des Atmosphärenwiderstandes in dieser Größenordnung sind aus Sicht der Flugingenieure jedoch nicht die eigentliche Herausforderung. Sehr viel stärkeres Augenmerk muss man laut Colin Wilson von der Universität Oxford (Department of Atmospheric, Oceanic and Planetary Physics) auf die Temperaturentwicklung an verschiedenen Bauteilen der Sonde legen. Venus Express streift die oberen Atmosphärenschichten mit 36.000 Stundenkilometern oder 10 Kilometer pro Sekunde. Dadurch schnellt die Temperatur der in Flugrichtung liegenden Flächen extrem schnell an. Am 24. Juni stieg die Temperatur an den Solarpaneelen während der rund 100 Sekunden im Perizentrum um 70 Grad Celsius. Zur Flugvorbereitung hatte man die Paneelen durch Minimierung der auf sie wirkenden Sonnenstrahlung auf minus 100 Grad Celsius abgekühlt. Während des kurzen Fluges in niedrigster Höhe schnellte diese auf plus 10 bis 15 Grad Celsius.
Für die Solarzellenpaneele ist dieser Wert an sich kein Problem. Bei Sonnenausrichtung sind auf den Oberflächen 50 Grad Celsius üblich. Bedenklich ist eher der rapide Anstieg, weil ein unterschiedliches Temperaturaufnahme- und -dehnungsverhalten einzelner Komponenten zu mechanischen oder anderen Fehlern führen kann. Ab 350 Grad Celsius würde beispielsweise die Wärmeisolierfolie der Sonde geschädigt. Wenn derartige Temperaturen drohen, müsste über das Risiko eines Verlustes der Wärmekontrolle und damit über die Funktionsfähigkeit von Venus Express nachgedacht werden.
Die Aerobrake-Manöver von Venus Express stellen nicht nur eine Herausforderung an Technik und die autonome Steuerungsfähigkeiten der Sonde. Zur Vorbereitung gehört auch die regelmäßige Bereitstellung eines Weltraumwetterberichtes durch das Space Weather Coordination Center (SSCC) der ESA in Belgien. Im Rahmen der Venus-Aerobrakes liefert das SSCC erstmals für einen fremden Planeten Weltraumwetterprognosen. Da die Sonnenaktivität großen Einfluss auf die Atmosphärendichte und Strahlung in großen Höhen hat und diese wiederum die Flugbahn beeinflussen können, ist es notwendig, die Weltraumwetterdaten zur jedem Zeitpunkt zu kennen. Seit Mai werden von den VEX-Flugoperateuren die täglichen Weltraumwetterberichte des SSCC bei der Auswertung der Flugdaten berücksichtigt. Adam Williams, Stellvertretender VEX-Flugleiter am ESOC in Darmstadt, rechnet allerdings nicht damit, dass die Aerobrake-Umläufe, die unter der Annahme üblicher Sonnenaktivität geplant wurden, korrigiert werden müssen. Die Wetterdaten sind in erster Linie wichtig, weil damit nachträglich ein eventuell unerwartetes Verhalten der Sonde erklärt werden könnte. Im Ernstfall, etwa wenn die Strahlung die der Navigation dienenden Sternensensoren lahmzulegen droht, könnte man aber auch korrigierend eingreifen.
Die Weltraumwetterrohdaten werden von verschiedenen ESA- und NASA-Satelliten so schnell wie möglich an das SSCC geliefert. Hinzu kommen Daten von Sonnenbeobachtungsstationen am Boden (Expert Service Centres). Beim SSCC hat man den Anspruch, täglich einen Bericht über augenblickliche Weltraumwetterlage und eine Kurzfristprognose der Sonnenaktivitäten und ihre Auswirkungen auf die Venus-Atmosphäre abzugeben. Bei unerwarteten Sonnenaktivitäten wird zusätzlich ad hoc eine Kurzanalyse verfasst. Weltraumwetterberichte für die Erde und ihre nähere Umgebung sind, so Juha-Pekka Luntama vom Büro für das Space Situational Awareness-Programm der ESA, inzwischen durchaus Routine. In Sachen Venus bringen sie aber einige neue Herausforderungen mit sich. Da ist zum einen die Planetenstellung, die Venus läuft momentan rund 59 Grad vor der Erde um die Sonne, und zum anderen die komplexe Venus-Atmosphäre. Das Problem – es fehlt ein sonnenbeobachtender Satellit zwischen Sonne und Venus. Entsprechend müssen die Weltraumwettervorhersagen bezüglich der Erde für die Venus angepasst werden. Die auch beim Weltraumwetter üblichen Prognoseunsicherheiten werden dadurch eher noch größer.
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