Europäische Physikalische Gesellschaft würdigt bahnbrechende Forschung zu solaren Neutrinos mit dem „Giuseppe und Vanna Cocconi-Preis 2021“. Eine Pressemitteilung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Die Europäische Physikalische Gesellschaft (EPS) hat heute bekannt gegeben, dass sie den „Giuseppe und Vanna Cocconi-Preis 2021“ an die Borexino-Kollaboration vergeben wird: Damit würdigt sie deren bahnbrechende Beobachtungen von solaren Neutrinos, die als Botschafter verschiedener Kernfusionsprozesse in der Sonne dienen. Durch ihre Arbeiten konnte die Borexino-Kollaboration, zu der auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Exzellenzclusters PRISMA+ der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zählen, zahlreiche Informationen über die beiden im Inneren der Sonne ablaufenden Fusionsprozesse gewinnen – die Proton-Proton-Reaktion und den so genannten CNO-Zyklus. Die Preisverleihung findet im Rahmen der diesjährigen virtuellen „European Physical Society Conference on High Energy Physics“ (EPS-HEP-Konferenz) am 26. Juli 2021 statt.
Um Energie zu erzeugen, wandelt die Sonne als gigantischer Fusionsreaktor kontinuierlich Wasserstoff in Helium um – diesen Prozess bezeichnen Forscher auch als Wasserstoffbrennen. Dabei nutzt die Sonne im Wesentlichen zwei Wege: Die Proton-Proton-Reaktion (pp-Reaktion) startet mir der direkten Verschmelzung zweier Wasserstoffkerne und über die Zwischenstufe Deuterium entsteht schließlich Helium. An der zweiten Reaktionskette sind hingegen die schwereren Elemente Kohlenstoff (C), Stickstoff (N) und Sauerstoff (O) beteiligt. Sie wird daher als CNO-Zyklus oder auch Bethe-Weizsäcker-Zyklus bezeichnet. Während in leichten Sternen wie der Sonne die pp-Reaktion dominiert, ist der CNO-Zyklus in schweren und heißeren Sternen der Hauptprozess zur Energiegewinnung.
Botschafter aus dem Sonnenfeuer
Bei allen Fusionsprozessen im Innern der Sonne entstehen neben Helium und gewaltigen Mengen Energie, die die Sterne leuchten lässt, auch unzählige Neutrinos. Milliardenfach erreichen sie die Erde und durchdringen sie normalerweise ungehindert. Das Borexino-Experiment kann solche Neutrinos aufspüren und analysieren. Während die Kollaboration in den letzten Jahren Neutrinos aus mehreren Reaktionen entlang der pp-Kette nachweisen konnte, hat sie kürzlich explizit Neutrinos aus dem CNO-Zyklus identifiziert, die im Vergleich deutlich weniger zahlreich sind. Damit hat sie den ersten experimentellen Beweis für das Auftreten des CNO-Zyklus in der Sonne erbracht. Mehr noch: Die Ergebnisse ebnen darüber hinaus den Weg für ein besseres Verständnis der elementaren Zusammensetzung des Sonnenkerns insbesondere im Hinblick darauf, wie häufig neben Wasserstoff und Helium schwerere Elemente wie eben Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff im Sonnenplasma zu finden sind – Forscher sprechen hier von der „Metallizität“.
„Wir haben durch unser Experiment inzwischen ein recht vollständiges Bild von den Vorgängen im Sonneninneren bekommen“, sagt Prof. Dr. Michael Wurm, Neutrinophysiker bei PRISMA+ und Mitglied der Borexino-Kollaboration. „Das ist der gemeinsame Verdienst von zahlreichen Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt. Dass dies nun mit dem Guiseppe und Vanna Cocconi Preis gewürdigt wird, freut mich sehr.“
Über den Borexino-Detektor
Der Borexino-Detektor sammelt seit 2007 Daten zu den solaren Neutrinos. Er befindet sich im größten unterirdischen Labor der Welt, den Laboratori Nazionali del Gran Sasso in Italien. Das Herzstück des Borexino-Detektors ist ein extrem dünnwandiger, kugelförmiger Nylonballon, der 280 Tonnen einer speziellen Szintillatorflüssigkeit enthält. Nur einige hundert Mal am Tag kommt es vor, dass ein Neutrino mit dem Detektormaterial wechselwirkt. Dann entstehen winzige Lichtblitze, die von rund 2.000 extrem empfindlichen Photosensoren erfasst werden.
Um sicher zu gehen, dass die detektierten Signale tatsächlich von Neutrinos stammen, müssen die Wissenschaftler andere mögliche Signalquellen ausschalten oder bei der Datenanalyse herausfiltern – vor allem die natürliche Radioaktivität und die Störung durch kosmische Strahlung, hier vor allem Myonen. Denn obwohl sich der Tank abgeschirmt unter einer 1.400 Meter dicken Gesteinsschicht im Gran-Sasso-Bergmassiv in der Nähe von Rom befindet, können einige Myonen ihn dennoch erreichen. Durch radioaktive Zerfälle können sie Signale hervorrufen, die sich auf den ersten Blick nicht von einem echten Neutrinosignal unterscheiden lassen. Die Spezialität der Mainzer Gruppe in der Borexino-Kollaboration ist es, ausgeklügelte Analysetechniken zu entwickeln, die helfen, solche Untergrund-Ereignisse zu unterdrücken, um so die seltenen Neutrinosignale sicher identifizieren zu können.
Über den Guiseppe und Vanna Cocconi Preis
Die EPS vergibt den „Guiseppe und Vanna Cocconi Preis“ seit 2011 alle zwei Jahre. Mit dem Preis zeichnet sie einen herausragenden Beitrag zur Astroteilchenphysik und Kosmologie aus den letzten fünfzehn Jahren aus. Der Preis wird für experimentelle, theoretische oder technologische Arbeiten vergeben, ausgezeichnet werden eine oder mehrere Einzelpersonen oder eine oder mehrere Kollaborationen.
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