Im Rahmen der Vortragsreihe „Der Schöpfung auf der Spur“ in Ober-Ramstadt bei Darmstadt gab der ehemalige Missionsmanager von Rosetta Dr. Manfred Warhaut einen begeisternden Einblick in die Arbeit eines Kometenjägers. Arno Hecker war für Raumfahrer.net dabei und fasst den Vortrag zusammen.
Ein Beitrag von Oliver Karger. Quelle: Arno Hecker / Raumfahrer.net.
Dr. Manfred Warhaut hat viel erlebt in seiner aktiven Zeit bei der ESA. Und er kann erzählen. So begeistert erzählen, dass er den Zuhörer mitnimmt auf die Reise des Kometenjägers. So geschehen am vergangenen Donnerstag in Ober-Ramstadt bei einem Vortrag über die europäische Mission Rosetta, die nun in eine entscheidende Phase tritt.
Manfred Warhaut fing 1987 am ESOC an und begleitete als Head of Mission Operations des ESOC die Rosetta-Mission von Beginn an. „Die Mission begann mit einem Schock“, so Manfred Warhaut. Während eines Vortrags im Januar 2003 vor interessierten Publikum erzählte er vom geplanten Start zum Kometen 46P/Wirtanen erfuhr er von einem Gast, dass die Flüge der Ariane V Trägerrakete bis auf weiteres ausgesetzt werden. Grund war das Versagen des Haupttriebwerks Vulcain 2 der Ariane V Hauptstufe beim Flug V-157. „Damit war der Start zu Wirtanen unmöglich!“, so Warhaut weiter.
Ein neuer Zielkomet musste her und wurde mit 67P/Tschurjumov-Gerasimenko auch gefunden. „Allerdings blieb uns nur weniger als ein Jahr, um eine mehr als 10 Jahre dauernde Mission neu zu planen!“ erläuterte Warhaut weiter. Um Tschurjumov-Gerasimenko möglichst kostengünstig, das heisst mit einer möglichst geringem Treibstoffmenge zu erreichen, musste ein Startfenster im Frühjahr 2004 genutzt werden. „Das die Umplanung der Mission innerhalb eines Jahres so effektiv und erfolgreich umgesetzt werden konnte, war eine unglaubliche Teamleistung. Dies fing an mit der Berechnung der neuen Flugbahn, quasi einem kosmischen Billiardspiel mit drei swing-by Manövern an der Erde und einem am Mars“, gibt Warhaut einen Einblick in die sehr kurzfristige Änderungen.
Beim ersten swing-by an der Erde gewann die Sonde noch einmal so viel Energie, wie sie bereits beim Start von der Ariane-Trägerrakete mit auf den Weg bekam. „Mit der neuen Trajektorie gab es auch Vorbeiflüge an den Asteroiden Šteins und Lutetia, von denen wir wunderbare Fotos erhalten haben. Allein dafür hat sich die Rosetta-Mission schon gelohnt!“. Die lang dauernde Trajektorie bringt auch den Umstand mit, dass Rosetta den Entfernungsrekord eines rein solarbetriebenen Raumfahrzeugs hält. Die größte Entfernung zur Energiequelle Sonne betrug 790 Millionen Kilometer. „In dieser Entfernung konnten die Solarzellen nicht genügend Energie liefern, um alle Bordsysteme in Betrieb zu halten. Daher haben wir Rosetta für zweieinhalb Jahre in den Tiefschlaf versetzt!“ Zweieinhalb Jahre kein Kontakt, kein Lebenszeichen der Sonde und damit auch eine große Ungewissheit. Eine lange Zeit, in der das Projektteam dennoch alle Hände voll zu tun hatte. „Personal verlässt das Team und damit auch Wissen über Systeme und Erfahrung, neue Mitarbeiter kommen hinzu.“ Während der bisherigen Mission von zehn Jahren gab es eine neue Computergeneration im Bodensegement – Hard- und Software wurde ausgetauscht und angepasst.
Im Januar 2014 war es dann soweit. Rosetta sollte durch eine kleines internes „Beep!“ wieder aufwachen – Raumfahrer Net berichtete live. „Es herrschte atemlose Spannung im Kontrollraum. Im Vorfeld hatten wir im Team gewettet, zu welcher Uhrzeit Rosetta aufwacht und die Zeiten alle auf Zettel geschrieben. Doch der Zeitpunkt, zu dem wir das Signal erwartet hatten, verstrich. Erst zwanzig Minuten verspätet sahen wir das erlösende Signal! Natürlich lagen wir alle mit unserer Wette daneben. Eine Kollegin meinte darauf hin trocken: ‚Na, ist doch klar, Mädchen kommen doch immer später!‘.“ Auslöser für die Verzögerung war ein Neustart des Bordcomputers, was sich jedoch nicht als problematisch herausstellte.
Kurz vor der finalen Annäherung an Tschurjumov-Gerasimenko musste ein Bremsmanöver durchgeführt werden, um die Relativgeschwindigkeit zum Kometen zu reduzieren, immerhin um etwa 800 m/s. „Zwischenzeitlich hatte sich herausgestellt, dass es ein Leck im Treibstoffsystem gibt. Wir hatten weniger Treibstoff als erwartet und die Gefahr war groß, dass wir beim vorgesehenen Druck von 17 bar auf den Triebwerken noch mehr davon verlieren.“ Als sicher wurde ein Druckbereich von 8 bis 11 bar eingestuft. „Und unsere erstklassigen Spacecraft Operations Engineers haben es tatsächlich geschafft und nun kreisen wir, pardon, kreist Rosetta um den Kometen und liefert fantastischen Aufnahmen und hoffentlich auch Erkenntnisse über die Frühphase unseres Sonnensystems.“
Ein wichtiger Schritt dazu ist die direkte, chemische Untersuchung des Kometenmaterials. Dies soll mit dem Lander Philae geschehen. Dazu wurden in den letzten Wochen mit der größten Annäherung von Rosetta an 67P bis auf 10 km Detailaufnahmen der möglichen Landegebiete erstellt. „Die Reaktion des Landeteams auf die Fotos war eindeutig: ‚Alle schlecht!’“ Entweder sind die Lichtverhältnisse nicht ausreichend, weil zu viele Schattenflächen vorhanden sind oder es ist zu uneben im Bereich des Landeskreises von 500 m Durchmesser. Essentiell wichtig ist der gravitative Einfluss auf die nur 120 kg schwere Landesonde, um eine möglichst störungsfreie Annäherung gewährleisten zu können. „Eine Kugelform von 67P wäre toll, leider ist er eine Erdnuss!“, schmunzelte Manfred Warhaut. „Wir hoffen, das Beste für die Landung, aber ob sie erfolgreich sein wird, steht noch buchstäblich in den Sternen.“
Momentan sind alle Systeme von Philae in einwandfreiem Zustand. In den Tagen vor der Ablösung vom Orbiter werden noch zahlreiche Systemtests durchgeführt und „der Lander auf Herz und Nieren geprüft“. Wenn dann das finale ‚Go!‘ am 12.11. gegeben wird, wird Philae vom Rosetta-Orbiter aus einer Höhe von etwa 20 km über der Kometenoberfläche abgestoßen und sich senkrecht auf 67P mit etwa 1 m/s zubewegen, um sich beim Aufsetzen mit den Harpunen zu verankern. Sollte eines der Systeme nicht bereit sein, dann wird Philae nicht ausgeklinkt. Im weiteren Verlauf gibt es alle 14 Tage wieder die Möglichkeit für einen Landeversuch. „Das allerdings auch nicht beliebig lange“, beschreibt Warhaut eine mögliche Gefahr für den Orbiter, „da mit der weiteren Annäherung von 67P an die Sonne die Aktivität des Kometennukleus zunimmt.“ Bei einer weiteren Annäherung des Orbiters erhöht sich die Gefahr einer Beschädigung von Instrumenten und Bordsystemen durch das vom Kometenkern freigesetzte Material. „Die einen wollen möglichst nah ran, um den Lander gut absetzen zu können, die anderen am liebsten weit weg, um die Systeme zu schützen. Da 67P bereits jetzt aktiver ist als erwartet, soll die Entfernung für die Landung auf 22,5 km vergrößert werden.“ Die erste Panoramaaufnahme nach der hoffentlich geglückten Landung soll bereits am gleichen Abend veröffentlich werden. Weitere Aufnahmen werden dann in den darauf folgenden Tagen ebenfalls freigegeben.
Zum Abschluss des Vortrags zieht Manfred Warhaut das Fazit, dass „eine Landung auf einem Komenten eine der vielen Premieren ist, die bei dieser Mission gewagt werden. Sie ist riskant und kann schiefgehen. Doch auch eine nicht geglückte Landung wird den wissenschaftliche Wert der gesamten Mission nicht in Frage stellen. Rosetta ist bereits jetzt ein großartiger Erfolg.“
Raumfahrer.net wird die Landung von Philae auf 67P/Tschurjumov-Gerasimenko natürlich begleiten und live berichten.
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