Genau wie in Kourou, ist in Noordwijk Nieselregen, als ich gegen 4.30 h morgens dort ankomme. Trotz dieser unchristlichen Zeit versammeln sich bis zu 100 Leute – ESA-Mitarbeiter, Journalisten und ein paar vereinzelte Raumfahrtfans – im Erasmus-Center des ESA-Technologiezentrums ESTEC, um den Start des ATV „Jules Verne“ live mitzuerleben.
Autor: Kirsten Müller
Anders als beim Space Shuttle gibt es beim ATV kein Startfenster von mehreren Minuten. Das ATV muss also punktgenau starten , um den günstigsten Rendezvous-Zeitpunkt mit der ISS abzupassen. Auf die Minute genau erfolgt dann auch der Start, der von ESA TV live übertragen wird und dem wir auf mehreren Großleinwänden folgen können.
Das ESA-Technologiezentrum ESTEC hat bei der ATV-Entwicklung eine wichtige Rolle gespielt. Nachdem das ATV bei EADS Astrium in Bremen gebaut worden war, ist es im Juli 2004 mit einem Airbus-Frachtflugzeug „Beluga“ und dann mit einem Schiff nach Noordwijk transportiert und bis zum Sommer 2007 bei ESTEC einer Reihe von Tests unterzogen worden. Beide Teile, sowohl das ATV Service Module mit den Motoren, den Treibstofftanks und der Flugelektronik als auch der Integrated Cargo Carrier, in dem die Fracht transportiert wird, wurden getestet. So wurden sie zum Beispiel auf elektromagnetische Interferenzen hin überprüft, das heißt, es wurde untersucht, ob die einzelnen elektronischen Komponenten einander beeinflussen. Dem war nicht so, also wurden als nächstes auf einem Rütteltisch und in der Akustikkammer die mechanischen und akustischen Bedingungen simuliert, denen das ATV beim Start auf der Ariane 5 ausgesetzt sein würde. Nachdem das ATV auch diese Tests mit Bravour bestanden hatte, ist es schließlich drei Wochen lang im Large Space Simulator im Vakuum Temperaturen zwischen -150 ˚C und +150 ˚C ausgesetzt worden, genau wie sie im Weltraum herrschen, um zu sehen, ob es diesen Bedingungen standhält. Insgesamt dauerten diese Tests drei Jahre, bis das ATV im Sommer 2007 Noordwijk verließ und mit dem Schiff nach Französisch Guayana transportiert wurde.
Diesen Morgen sehen die Beteiligten also, wie das Ergebnis ihrer jahrelangen Arbeit hervorragend alle Phasen des Starts hinter sich bringt. Sowohl der Start als auch das Zünden der oberen Stufe gegen 5:13 Uhr, der Beginn der ballistischen Phase um 5:20 Uhr und das Abtrennen des ATV von der oberen Raketenstufe um 6:09 Uhr MEZ klappen wie am Schnürchen. Regelmäßig bekamen wir Live-Bilder aus dem Startkontrollzentrum von Kourou mit Kommentaren von ATV-Programmverantwortlichen zu sehen.
Für einige der Anwesenden ist der spannendste Moment des Morgens das Auseinanderfalten der Solarzellenpaneele gegen 6:35 Uhr. Diese sind nämlich bei Dutch Space im benachbarten Leiden entwickelt worden. Mit dem Kommentar des französischen ESA-Astronauten Jean-Francois Clervoy aus Kourou lässt sich auch dieser Vorgang verfolgen. Als auch dies fehlerfrei erfolgt, ist das ATV völlig betriebsbereit und es kann auf eine erfolgreiche Startsequenz zurückgeblickt werden.
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