ATV – Erfolgreicher Aufbruch ins All

Am 09. März 2008 hob um 5.03 Uhr MEZ eine Ariane 5 ES vom europäischen Weltraumstartplatz Kourou in Französisch-Guayana mit dem ersten europäischen ATV (Automated Transfer Vehicle) „Jules Verne“ zur ISS ab.

Ein Beitrag von Daniel Schiller. Quelle: ESA.

Startablauf

ESA
Logo der „Jules Verne“-Mission
(Bild: ESA)

Als sich Kourou durch die Erdrotation unter die Bahn der ISS hindurch bewegte, hob die Ariane 5 ES um 5:03 MEZ ab. Nach 132 s Flugzeit wurden in 66 km Höhe die beiden Feststoffbooster abgeworfen. 70 s später wurde die Nutzlastverkleidung abgetrennt. Nach 8:48 Minuten Flugzeit schaltete sich die Hauptstufe ab. 13 s nach dem Abschalten zündetet die Oberstufe ihr Triebwerk für 8:05 Minuten, um das ATV in eine elliptische (136 x 260) km-Umlaufbahn zu befördern. Zirka 20 Minuten nach dem Abheben von Kourou passierte das Gespann aus EPS-Oberstufe und Raumschiff Mitteleuropa. Beim Erreichen des erdfernsten Punkts in 260 km Höhe wurde die Oberstufe erneut für 30 s gezündet, um einen kreisförmigen Orbit in 260 km Höhe zu erzeugen. 66:32 Minuten nach dem Start wurde das ATV endgültig ausgesetzt. Die EPS-Oberstufe wurde 148 Minuten nach dem Start ein drittes und letztes Mal gezündet, um sie in der Atmosphäre über dem Pazifik verglühen zu lassen. Nach dem Aussetzen nahm das ATV Verbindung mit den amerikanischen TDR-Satelliten auf, um eine kontinuierliche Kommunikation mit den Bodenstationen herzustellen. 30 Minuten nach dem Aussetzen wurden die Solarzellen entfaltet und daraufhin das GPS-System aktiviert. In den nächsten Stunden wird schrittweise die weitere Inbetriebnahme des Raumschiffs erfolgen.

ESA, Stefan Corvaja
Start von Jules Verne.
(Bild: ESA, Stefan Corvaja)

Nach dem Aussetzen Jules Vernes´ beginnt jetzt auf seiner niedrigeren Umlaufbahn die Aufholjagd zur Internationalen Raumstation. Jules Verne wird sich aber nicht direkt zur ISS begeben, sondern erst eine verlängerte Freiflugphase durchführen, in der alle Systeme und Prozeduren auf dem Jungfernflug erprobt werden. Außerdem muss das Space Shuttle Endeavour vorher seine Mission STS-123 abschließen, da während einer Shuttlemission keine automatischen Dockmanöver vorgenommen werden dürfen. Im Detail stehen folgende Manöver an:

  • 9. März – 18. März: Orbitanhebung bis zum Erreichen einer Warteposition ca. 2000 km entfernt von der ISS.
  • 12. März: Kollisionsvermeidungstest zur Verifikation der Sicherheitssysteme und -prozeduren.
  • 27. März: Annäherung an die ISS für Demonstrationsmanöver
  • 29. März: Rendezvousversuche mittels GPS und anschließendes Fluchtmanöver
  • 31. März: Rendezvousversuche mittels GPS und optischer Navigation und anschließendes Fluchtmanöver
  • 3. April: Andockmanöver an die ISS

Während der Demonstrationsversuche werden mehrfach Zwischenstopps in 3.500 m, 250 m, 20 m und 12 m Entfernung zur Raumstation eingelegt. Jeder dieser Haltepunkte dient der Sicherheit, Jules Verne wird jedesmal erneut überprüft werden und seine automatischen Abbruchprozeduren demonstrieren. Dabei wird es jeweils zum letzten Haltepunkt zurückkehren. Außerdem werden so genannte „virtuelle“ Kopplungen simuliert. Während der Freiflugphase wird das ATV mittels GPS navigieren. Im Endanflug nutzt es ein Lasersystem, um Reflektoren am Heck des russischen Moduls Swesda zu beleuchten. Aus den Reflektionsbildern bestimmen die Bordrechner Position, Lage und Relativbewegung zur ISS. Die endgültige Kopplung am 3. April 2008 selbst soll über russischem Territorium erfolgen, um dem Flugleitzentrum in Moskau direkte Überwachungsmöglichkeiten zu geben. Die Kontrolle selbst erfolgt aber aus Toulouse in Frankreich.
ATV

EADS AStrium
Künstlerische Darstellung von ATV und Oberstufe während des Fluges.
(Bild: EADS Astrium)

Das ATV ist das erste Raumschiff der ESA und dient der autonomen Versorgung der ISS. Mit ihm liefert die europäische Weltraumagentur ihren Beitrag zum internationalen Betrieb der Raumstation. ATV kann am russischen Teil der Station selbständig andocken und bis zu sechs Monate mit der ISS verbunden bleiben. Daraus ergeben sich hohe Sicherheitsanforderungen, da es praktisch Teil der bemannten Station sein wird. Neben der Versorgung mit Luft, Wasser, Treibstoffen und Lebensmitteln wird das ATV auch Bahnkorrekturen der ISS durchführen können.

Die Gesamtmasse des ATV beträgt maximal 20.470 kg. 10.470 kg stellen die Leermasse des Raumschiffs dar. Als Nutzlast kommen maximal 9.500 kg hinzu, welche sich auf Trockengüter, Lebensmittel, ISS-Treibstoff und ATV-eigenen Treibstoff verteilen. Die Zusammensetzung der einzelnen Komponenten kann je nach Missionsanforderung variabel gestaltet werden. Insgesamt wird für die Raumstation im Endausbau mit einem jährlichen Nachschubbedarf von bis zu 45 Tonnen gerechnet, welcher durch Logistikflüge aller Partner abgedeckt werden muss. Nach Abschluss der Mission können von der ISS bis zu 6.500 kg Abfälle mitgenommen werden, die gemeinsam mit dem ATV in der Atmosphäre verglühen.

ESA
Künstlerische Darstellung des ATV-Anflugs auf die ISS.
(Bild: ESA)

Für die Mission von Jules Verne wurde folgende Fracht verladen:

  • 1.324 kg „trockene“ Fracht (ca. 500 kg Lebensmittel, 80 kg Kleidung, Ersatzteile, …)
  • 856 kg Treibstoff für die ISS
  • 39 kg Helium zur Druckbeaufschlagung der Treibstofftanks
  • 19,2 kg reiner Sauerstoff
  • 280 kg Wasser für den russischen Teil der ISS
  • 5.858 kg Treibstoff für das ATV, von dem aber nur ein Teil für Bahnkorrekturen der Station verwendet wird.

Bisher wurden fünf Flüge des ATV bestellt, mit der Option auf vier weitere. Außerdem bestehen Konzepte, das ATV für Europas bemannte Raumfahrt weiterzuentwickeln.

Ariane 5 ES
Für diese Mission musste die europäische Trägerrakete Ariane 5 weiter entwickelt werden. Die Version ES kombiniert Systeme der beiden Versionen G+ und ECA und kann 21 Tonnen Nutzlast auf auf eine 300 km hohe Bahn mit 51,6° Inklination transportieren. Die Hauptstufe verwendet das Haupttriebwerk Vulcain 2, die verbesserte Oberstufe EPS-V wurde strukturell verstärkt und nutzt das wiederzündbare Triebwerk Aestus. Außerdem wurde die Flugsoftware angepasst, um der veränderten Dynamik der Rakete mit hoher Nutzlast und neuer Schwerpunktlage Rechnung zu tragen. Zur Verfolgung des Fluges wurden neue Bodenstationen im Atlantik in Betrieb genommen.

Bei den folgenden ATV-Missionen soll der Einschuss direkt in eine 300-km-Bahn geschehen. Nur für Jules Verne wurde ein 260-km-Orbit als Ausgangsbahn gewählt, um während der langen Test- und Demonstrationsphase ausreichend „Spielraum“ für Bahnmanöver zur ISS zu haben.

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