Am 16. Februar 2011 hob um 22:51 Uhr MEZ eine Ariane 5 ES vom europäischen Weltraumstartplatz Kourou in Französisch-Guayana mit dem zweiten europäischen ATV (Automated Transfer Vehicle) „Johannes Kepler“ ab, um es auf den Weg zur Internationalen Raumstation (ISS) zu bringen.
Ein Beitrag von Daniel Schiller, Thomas Weyrauch und Günther Glatzel. Quelle: Arianesapce, DLR, ESA. Vertont von Peter Rittinger.
Das ATV ist das erste Raumschiff der europäischen Raumfahrtagentur (ESA) und dient der autonomen Versorgung der ISS. Mit ihm liefert die europäische Weltraumagentur ihren Beitrag zum internationalen Betrieb der Raumstation. Es kann am russischen Teil der Station selbständig andocken und bis zu sechs Monate mit der ISS verbunden bleiben. Daraus ergeben sich hohe Sicherheitsanforderungen, da es praktisch Teil der bemannten Station sein wird. Neben der Versorgung mit Sauerstoff, Wasser, Treibstoffen und Lebensmitteln wird das ATV auch Bahnkorrekturen der ISS durchführen. Johannes Kepler wurde jetzt als zweites solches Raumfahrzeug im Rahmen der 200. Mission einer europäischen Ariane-Rakete in den Weltraum gebracht.
Als sich Kourou durch die Erdrotation unter die Bahn der ISS hindurch bewegte, hob die Ariane 5 ES um 22:50:55 Uhr MEZ (18:50:55 Uhr Ortszeit Kourou) ab. Nach 142 s Flugzeit wurden in 66 km Höhe die beiden Feststoffbooster abgeworfen. 69 s später wurde die Nutzlastverkleidung abgetrennt. Nach 8:52 Minuten Flugzeit schaltete sich die Hauptstufe ab. 12 s nach dem Abschalten zündetet die Oberstufe ihr Triebwerk für 8:13 Minuten, um das ATV 2 in eine elliptische Umlaufbahn zu befördern. Zirka 20 Minuten nach dem Abheben von Kourou passierte das Gespann aus EPS-Oberstufe und Raumschiff Mitteleuropa. Beim Erreichen des erdfernsten Punkts der Bahn wurde die Oberstufe erneut für 27 s gezündet, um einen annähernd kreisförmigen Orbit in rund 260 km Höhe zu erzeugen. 63:54 Minuten nach dem Start wurde das ATV 2 endgültig ausgesetzt. Während seines Transports in den Orbit waren in den Systemen des ATV 2 keine Alarme aufgetreten.
Die EPS-Oberstufe wurde anschließend ein drittes und letztes Mal gezündet, um sie in der Atmosphäre über dem Pazifik verglühen zu lassen. Das ATV 2 nahm Verbindung mit einem US-amerikanischen Bahnverfolgungs- und Datenrelaissatelliten (TDRS) auf, um eine kontinuierliche Kommunikation mit den Bodenstationen herzustellen. Rund 20 Minuten nach dem Aussetzen wurden die vier Solarzellenausleger entfaltet und daraufhin das GPS-System von „Johannes Kepler“ aktiviert. In den nächsten Stunden wird schrittweise die weitere Inbetriebnahme des Raumschiffs erfolgen. Derweil beginnt „Johannes Kepler“ auf seiner niedrigeren Umlaufbahn die Aufholjagd zur ISS.
Die Gesamtmasse des ATV 2 betrug beim Start 20.010 kg. Damit war es die schwerste jemals von einer Ariane-Rakete transportierte Nutzlast. Die in der ES-Version benutzte Ariane 5 ist eine spezielle Weiterentwicklung. In ihr werden Systeme der beiden Versionen G+ und ECA eingesetzt. Maximal soll sie 21 Tonnen Nutzlast auf auf eine 300 km hohe Bahn mit einer Neigung von 51,6 Grad bringen können. Von den etwas über 20 Tonnen des ATV 2 entfallen 7.000 Kilogramm auf Nachschub für die ISS. Die Zusammensetzung der Fracht in den Tanks und der druckbeaufschlagten, rund 45 Kubikmeter großen Abteilung eines ATVs kann je nach Missionsanforderung des Transportschiffs variabel gestaltet werden. Für die Mission von Johannes Kepler wurde folgende Fracht verladen:
- rund 1.600 kg „trockene“ Fracht
- 100 kg reiner Sauerstoff
- 4.534 kg Treibstoff für das ATV, von dem ein Teil für Bahnkorrekturen der Station verwendet wird.
- 860 kg Treibstoff sind für die Tanks des Sarja-Moduls
Am 24. Februar 2011, so die aktuellen Planungen, wird das ATV 2 an der ISS andocken. Auf dem Weg dorthin wird es vom ATV-CC genannten Kontrollzentrum der französischen Raumfahrtagentur (CNES) in Toulouse überwacht und gesteuert.
Seit dem Erstflug 2008 wurden viele und teilweise erhebliche Veränderungen am Raumfahrzeug vorgenommen. Eine der wichtigsten betrifft die thermische Isolation gegenüber der Umgebung. Sie bedeckt einen Großteil des Raumschiffs und besteht aus mehreren Lagen. Beim Erstflug hatte sie sich teilweise vom Rumpf des „Jules Verne“ genannten Schiffs gelöst. Daraufhin hatte man Befestigung und Herstellung des Isolationsmaterials neu entwickelt und qualifiziert. Es enthält nun weniger Gaseinschlüsse, wodurch es sich nicht mehr aufblähen kann. Außerdem wurde die Anzahl der Befestigungsounkte mit dem Rumpf drastisch erhöht.
Weitere Modifikationen betreffen die Frachtregale, die deutlich leichter sind als die Vorgängermodelle und damit mehr Nutzfracht erlauben. Auch an der Steuerungssoftware wurden mehr als 1.000 Änderungen vorgenommen. Neu ist auch, dass nur wenige Tage vor dem Start noch Ladung ins Innere des Raumschiffs transportiert werden konnte. Dies geschah in aufrechter Position durch die Luke im Kopplungssystem des Frachters. Dazu wurde ein kleiner Lift verwendet, der eine einzelne Person und das Frachtgut in das Innere von „Johannes Kepler“ erlaubte. In diesem Falle wurden immerhin noch 430 kg zugeladen, darunter auch frische Lebensmittel für die Besatzung der Internationalen Raumstation.
Wenn JoKe in einigen Monaten von der Station abgekoppelt hat und abgebremst wird, soll in etwa 60 Kilometern Höhe eine US-Kapsel freigesetzt werden, die von der ISS vor dem Ablegen ins Trockenfrachtabteil des Frachters gebracht wird. Sie gelangte mit dem japanischen Frachter Kounotori 2 (HTV 2) erst vor wenigen Tagen zur Station. Der sogenannte „Reentry Breakup Recorder“ (REBR) soll Daten aufzeichnen, die einerseits das Zerbrechen des ATV beim Wiederentritt in die Erdatmosphäre dokumentieren, andererseits Kraftmessungen bei der Abbremsung in der letzten Flugphase durchführen.
Das ATV 2 alias Johannes Kepler ist katalogisiert mit der NORAD-Nr. 37.368 bzw. als COSPAR-Objekt 2011-007A.
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