Am letzten Tag des Startfensters hob Samstag nachmittag europäischer Zeit die Atlantis ab und startete zu einem lang erwarteten Flug, mit dem der Ausbau der ISS endlich wieder aufgenommen wird.
Ein Beitrag von Axel Orth. Quelle: Spaceflight Now.
Nach zwei Wochen, in denen sie von einem Antennenproblem, einem Blitzeinschlag, einem Tropensturm, einer angeschlagenen Brennstoffzellenpumpe und dem fast schon routinemäßigen Ärger mit einem Treibstoffsensor im externen Tank am Boden festgehalten wurde, flammten um 11:14 Uhr Ortszeit die Haupttriebwerke der Atlantis endlich auf, Sekunden später gefolgt von den Feststoffboostern. Es war der fünfte Anlauf zum Start am letzten Tag des Startfensters. Hätte es nicht geklappt, dann hätte nicht nur der Start der Atlantis weiter nach hinten verschoben werden müssen, sondern auch der Start der nächsten russischen Sojuskapsel. Dieser Ärger mit den Russen konnte also in letzter Minute vermieden werden, als das Startglück den Amerikanern doch noch hold war.
„Brent, es sieht so aus, als ob euer langes Warten ein Ende hat“, funkte Startdirektor Mike Leinbach der Crew ein paar Minuten vor dem Start hinüber. „Wir wünschen euch alles Glück der Welt und sehen euch in zwei Wochen hier wieder.“
„Wir wissen diese Worte und die Anstrengungen für diesen Start zu würdigen“, antwortete Commander Brent Jett. „Es hat jetzt fast vier Jahre, zwei ‚Return to Flight‘-Missionen und enorm viel Arbeit von Tausenden von Leuten gekostet, den Ausbau der ISS wieder aufzunehmen.“
Was dann folgte, war eine spektakuläre Show: Auf dem weißglühenden Strahl ihrer Auspuffgase reitend, schoss die schwer beladene Raumfähre mit einer Vertikal-Beschleunigung von 0 auf 200 km/h in 10 Sekunden in den Himmel, durchschnitt die Wolken über dem Cape Canaveral und rollte um ihre Längsachse, um die Flugbahn zur ISS einzunehmen. Eine Kamera auf dem externen Tank lieferte dramatische Livebilder, wie der Shuttle die Küste von Florida unter sich zurück ließ, als er sich über dem Atlantik in den Himmel schraubte.
NASA-Administrator Griffin sagte: „Was Sie heute gesehen haben, war ein tadelloser Countdown, ein majestätischer Start, und es war schön, hier zu sein. Dieses Raumfahrzeug ist viele Jahre lang nicht mehr geflogen und nicht alles, was in den letzten Wochen passiert ist, war einfach. Aber heute war es ein makelloser Tag.“
Dies ist einer der kompliziertesten Flüge in der Geschichte der Space Shuttles. Commander Brent Jett und seine fünf Besatzungsmitglieder werden mit Unterstützung der drei Mann an Bord der Raumstation einen 17 Tonnen massigen und neun Meter langen, mit Solarzellen bestückten Ausleger im Wert von über 370 Millionen Dollar am Laborkomplex montieren. Drei Weltraumausstiege sind geplant, um die elektrischen und die Kühlsysteme anzuschließen und die gigantischen Paneele zu entfalten. Und dies ist nur die erste einer ganzen Serie ähnlich schwieriger Missionen.
„Meiner Meinung nach rangiert jeder der Shuttle-Flüge in den nächsten 12 bis 18 Monaten ganz oben auf der Komplexitätsrangliste aller jemals geflogenen Missionen, eingeschlossen die Hubble-Serviceflüge“, sagte Paul Hill, Missionsmanager vom Johnson Space Center. „Die Tatsache, dass wir 18 Monate lang eine ganze Serie von Missionen durchführen, von denen jede einzelne absolut entscheidend ist für die nächste Mission, macht diese 18 Monate zweifellos zu den kompliziertesten in der Geschichte der bemannten Raumfahrt, die wir je erlebt haben.“
„Wir sind zuversichtlich, dass die NASA in den nächsten paar Tagen, und auch paar Jahren, unserer Nation, unseren Partnern und unseren Freunden in der Welt beweisen wird, dass es das Warten und die Mühen wert war. Wir sind bereit, die Arbeit aufzunehmen“, ergänzte Shuttle-Manager Wayne Hale.
Bei diesem Flug kam wieder dieselbe Konfiguration des externen Tanks wie beim letzten Flug der Discovery zum Einsatz. Und wieder lösten sich, wie in Videoaufnahmen zu sehen war, Schaumstücke und auch ein Stück Eis vom Tank, allerdings wieder erst deutlich nach der kritischen Zwei-Minuten-Grenze, in der der Shuttle noch durch die tieferen, dichteren Schichten der Atmosphäre rast und abfallende Gegenstände so stark abgebremst werden, dass sie beim Auftreffen auf Shuttle-Hitzeschildkacheln Schaden anrichten können. Mag sein, dass die Schaumverkleidung jetzt so stabil ist, dass sie erst nach minutenlanger Belastung durch die mit Überschallgeschwindigkeit vorbeiströmende, mit wachsender Höhe immer kältere Luft mürbe wird.
Das Video zeigte auch, dass die außen am externen Tank montierte Leitung für flüssigen Sauerstoff nach dem Ablösen des Shuttles in erheblichem Maße hin und her schwang. Eine früher übliche, aerodynamische Schaumstoffverkleidung wird ja mittlerweile nicht mehr aufgebracht, um die Schaumstoffprobleme weiter zu reduzieren. Dadurch ist aber auch die stützende Wirkung auf die Leitung entfallen. Inwieweit die Schwingungen der Leitung ein Problem darstellen, muss noch geklärt werden.
Zur Zeit laufen noch die Sichtungen und Untersuchungen der Shuttle-Außenhaut, ob es wirklich keine Schäden gegeben hat und ob folglich die Atlantis zur Landung frei gegeben werden kann. Bis dahin ist aber noch reichlich Zeit, in der die vereinigten Crews von Shuttle und ISS ihr volles Programm hoffentlich erfolgreich absolvieren werden. Der Shuttle hat bereits an der ISS angedockt und den Solarzellen-Ausleger entladen. Wir werden Sie darüber in unserem ISS Weekly Report und gegebenenfalls im Portal weiter informieren.