Ein internationales Team hat einen fernen Ausbruch kosmischer Radiowellen entdeckt, der weniger als eine Millisekunde dauerte. Dieser „schnelle Radioblitz“ (FRB) ist der bisher fernste, der je registriert wurde. Eine Pressemitteilung des ESO Science Outreach Network (ESON).
Quelle: ESON 19. Oktober 2023.
19. Oktober 2023 – Die Quelle wurde mit dem Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO) in einer Galaxie lokalisiert, die so weit entfernt ist, dass ihr Licht acht Milliarden Jahre gebraucht hat, um uns zu erreichen. Der Radioblitz ist auch einer der energiereichsten, die je beobachtet wurden; in einem winzigen Bruchteil einer Sekunde gab er die äquivalente Energiemenge von 30 Jahren der Gesamtemission unserer Sonne frei.
Die Entdeckung des Ausbruchs, genannt FRB 20220610A, wurde im Juni des letzten Jahres vom ASKAP-Radioteleskop in Australien gemacht [1] und übertraf den bisherigen Distanzrekord des Teams um 50 Prozent.
„Mit dem ASKAP-Antennenfeld konnten wir genau bestimmen, woher der Ausbruch kam“, erläutert Stuart Ryder, Astronom von der Macquarie University in Australien und einer der Hauptautoren der heute in der Fachzeitschrift Science veröffentlichten Studie. „Dann haben wir [mit dem VLT der ESO] in Chile nach der Quellgalaxie gesucht [2] und haben festgestellt, dass sie älter und weiter entfernt ist als jede andere bisher gefundene Radioblitz-Quelle und wahrscheinlich innerhalb einer kleinen Gruppe verschmelzender Galaxien liegt.“
Die Entdeckung bestätigt, dass schnelle Radioblitze dazu verwendet werden können, die „fehlende“ Materie zwischen Galaxien zu messen und somit eine neue Möglichkeit bieten, das Universum zu „wiegen“.
Aktuelle Methoden zur Schätzung der Masse des Universums liefern widersprüchliche Antworten und stellen das Standardmodell der Kosmologie infrage. „Wenn wir die Menge an normaler Materie im Universum zählen – den Atomen, aus denen wir alle bestehen – stellen wir fest, dass mehr als die Hälfte von dem, was heute vorhanden sein sollte, fehlt“, sagt Ryan Shannon, Professor an der Swinburne University of Technology in Australien, der die Studie ebenfalls leitete. „Wir vermuten, dass sich die fehlende Materie im Raum zwischen den Galaxien verbirgt, aber sie ist vielleicht so heiß und diffus, dass sie mit üblichen Techniken nicht sichtbar ist.“
„Schnelle Radioblitze erkennen dieses ionisierte Material. Selbst in einem nahezu perfekt leeren Raum können sie alle Elektronen sehen, und das ermöglicht es uns, zu messen, wie viel Materie zwischen den Galaxien ist“, erklärt Shannon.
Das Auffinden entfernter schneller Radioblitze ist entscheidend für die genaue Messung der fehlenden Materie des Universums, wie der verstorbene australische Astronom Jean-Pierre (J-P) Macquart 2020 nachgewiesen hat. „J-P hat gezeigt, dass je weiter ein schneller Radioblitz entfernt ist, desto mehr diffuse Gase er zwischen den Galaxien nachweisen kann. Dies wird jetzt als Macquart-Beziehung bezeichnet. Einige kürzlich aufgetretene schnelle Radioblitze schienen diese Beziehung zu brechen. Unsere Messungen bestätigen, dass die Macquart-Beziehung bis über die Hälfte des bekannten Universums hinausreicht“, erläutert Ryder.
„Während wir immer noch nicht wissen, was diese massiven Ausbrüche von Energie verursacht, bestätigt die Studie, dass schnelle Radioblitze häufige Ereignisse im Kosmos sind und dass wir sie verwenden können, um Materie zwischen Galaxien zu erkennen und die Struktur des Universums besser zu verstehen“, ergänzt Shannon.
Das Ergebnis stellt die Grenze dessen dar, was heute mit Teleskopen erreicht werden kann, obwohl Astronomen in Kürze über Mittel verfügen werden, um noch ältere und fernere Ausbrüche zu erkennen, ihre Quellgalaxien zu bestimmen und die fehlende Materie des Universums zu messen. Das internationale Square Kilometre Array Observatory baut derzeit zwei Radioteleskope in Südafrika und Australien, die Tausende von schnellen Radioblitzen auspüren können, einschließlich sehr entfernter, für die aktuelle Einrichtungen blind sind. Das Extremely Large Telescope der ESO, ein 39-Meter-Teleskop im Bau in der chilenischen Atacama-Wüste, wird eines der wenigen Teleskope sein, das in der Lage ist, die Quellgalaxien von Ausbrüchen noch weiter entfernt als FRB 20220610A zu studieren.
Endnoten
[1] Das ASKAP-Teleskop gehört der CSIRO, der nationalen Wissenschaftsagentur Australiens, und wird von ihr auf dem Land der Wajarri Yamaji in Westaustralien betrieben.
Weitere Informationen
Diese Forschungsarbeit wurde in einem Artikel mit dem Titel „A luminous fast radio burst that probes the Universe at redshift 1“ vorgestellt, der in Science erscheinen wird.
Das Team besteht aus S. D. Ryder (Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften, Macquarie University, Australien [SMPS]; Forschungszentrum für Astrophysik und Raumtechnologien, Macquarie University, Sydney, Australien [ASTRC]), K. W. Bannister (Nationale Einrichtung für Teleskope in Australien, Organisation für Wissenschaft und Industrieforschung, Weltraum und Astronomie, Australien [CSIRO]), S. Bhandari (Niederländisches Institut für Radioteleskopie, Niederlande; Gemeinsames Institut für Very Long Baseline Interferometry in Europa, Niederlande), A. T. Deller (Zentrum für Astrophysik und Supercomputing, Swinburne University of Technology, Australien [CAS]), R. D. Ekers (CSIRO; Internationales Zentrum für Radioastronomie-Forschung, Curtin Institute of Radio Astronomy, Curtin University, Australien [ICRAR]), M. Glowacki (ICRAR), A. C. Gordon (Zentrum für interdisziplinäre Erforschung und Astrophysik, Northwestern University, USA [CIERA]), K. Gourdji (CAS), C. W. James (ICRAR), C. D. Kilpatrick (CIERA; Abteilung für Physik und Astronomie, Northwestern University, USA), W. Lu (Abteilung für Astronomie, University of California, Berkeley, USA; Theoretical Astrophysics Center, University of California, Berkeley, USA), L. Marnoch (SMPS; ASTRC; CSIRO; Australisches Forschungsrat-Zentrum für allumfassende Astrophysik in 3 Dimensionen, Australien), V. A. Moss (CSIRO), J. X. Prochaska (Abteilung für Astronomie und Astrophysik, University of California, Santa Cruz, USA [Santa Cruz]; Kavli-Institut für Physik und Mathematik des Universums, Japan), H. Qiu (SKA Observatory, Jodrell Bank, Vereinigtes Königreich), E. M. Sadler (Sydney Institute for Astronomy, School of Physics, University of Sydney, Australien; CSIRO), S. Simha (Santa Cruz), M. W. Sammons (ICRAR), D. R. Scott (ICRAR), N. Tejos (Institut für Physik, Pontificia Universidad Católica de Valparaíso, Chile) und R. M. Shannon (CAS).
Über die ESO
Die Europäische Südsternwarte (ESO) befähigt Wissenschaftler*innen weltweit, die Geheimnisse des Universums zum Nutzen aller zu entdecken. Wir entwerfen, bauen und betreiben Observatorien von Weltrang, die Astronominnen und Astronomen nutzen, um spannende Fragen zu beantworten und die Faszination der Astronomie zu wecken, und wir fördern die internationale Zusammenarbeit in der Astronomie. Die ESO wurde 1962 als zwischenstaatliche Organisation gegründet und wird heute von 16 Mitgliedstaaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Finnland, Irland, Italien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, der Schweiz, Spanien, der Tschechischen Republik und dem Vereinigten Königreich) sowie dem Gastland Chile und Australien als strategischem Partner unterstützt.
Der Hauptsitz der ESO und ihr Besucherzentrum und Planetarium, die ESO Supernova, befinden sich in der Nähe von München in Deutschland, während die chilenische Atacama-Wüste, ein wunderbarer Ort mit einzigartigen Bedingungen für die Himmelsbeobachtung, unsere Teleskope beherbergt. Die ESO betreibt drei Beobachtungsstandorte: La Silla, Paranal und Chajnantor. Am Standort Paranal betreibt die ESO das Very Large Telescope und das dazugehörige Very Large Telescope Interferometer sowie Durchmusterungsteleskope wie z. B. VISTA. Ebenfalls am Paranal wird die ESO das Cherenkov Telescope Array South betreiben, das größte und empfindlichste Gammastrahlen-Observatorium der Welt. Zusammen mit internationalen Partnern betreibt die ESO auf Chajnantor APEX und ALMA, zwei Einrichtungen zur Beobachtung des Himmels im Millimeter- und Submillimeterbereich. Auf dem Cerro Armazones in der Nähe von Paranal bauen wir „das größte Auge der Welt am Himmel“ – das Extremely Large Telescope der ESO. Von unseren Büros in Santiago, Chile, aus unterstützen wir unsere Aktivitäten im Land und arbeiten mit chilenischen Partnern und der Gesellschaft zusammen.
Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsländern (und einigen weiteren Staaten) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.
Fachartikel
pdf: https://www.eso.org/public/archives/releases/sciencepapers/eso2317a.pdf
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